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Der Nachtschwärmer-Trick

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Die Augenlider sind schwer. Der Kampf gegen den Schlaf ist kaum zu gewinnen. Zu lang war die Nacht, zu sehr hat das Tanzen alle Energie aus dem Körper gesaugt. In der warmen Stille der S-Bahn hüllt einen die Müdigkeit wie eine gemütliche Decke ein. Man gibt sich geschlagen.

Der Ärger über diesen verlorenen Kampf kommt beim Aufwachen. Die Zielstation ist längst vorbei, die S-Bahn nähert sich der Endstation, und die Chancen, dort gleich wieder eine Bahn in die andere Richtung zu finden, ist zu der späten Stunde nicht gerade groß. Also doch ein Taxi? Mal sehen, wie viel Geld noch übrig ist. Die Hand tastet nach dem Geldbeutel. Plötzlich ist man wieder hellwach - der Geldbeutel ist weg!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



So oder so ähnlich enden in letzter Zeit immer mehr Heimfahrten von Partys in Berlin. Statistiker der Bundespolizeidirektion Berlin haben festgestellt, dass ein beachtlicher Teil der Opfer selig schläft, wenn die Taschendiebe sich über ihre Wertsachen hermachen. „Wir haben etwa 4000 gemeldete Diebstähle im Jahr“, sagt Pressesprecher Sven Drese. „Ein Viertel der Bestohlenen sind mittlerweile Schlafende auf dem Heimweg vom Feiern.“ Die Zahlen sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.
 
Es scheint sich unter Taschendieben also herumgesprochen zu haben, dass es nicht unbedingt ausgeklügelter Ablenkungsmanöver bedarf, um Reisende in Zügen auszunehmen. Es scheint zu genügen, an Wochenenden auf das Feiervolk zu warten, das auf dem Heimweg selig eindöst und nicht mehr mitbekommt, wenn ihnen jemand die Taschen durchsucht. Mittlerweile hat die Taktik der Diebe sogar einen eigenen Namen bekommen: „Nachtschwärmer-Trick“.

Vor allem Leute, die ins Umland unterwegs sind, sind leichte Opfer, weil auf den Strecken zwischen den letzten Stationen spät nachts oft nicht mehr viele Leute unterwegs sind und die Diebe keine Angst haben müssen beobachtet zu werden. Ebenfalls vermehrt treiben sich die Nachtschwärmer-Diebe auf den Linien der Berliner Ringbahn herum, in der mancher ein paar Runden dreht, bevor er aufwacht.

Bundesweite Statistiken über die Nachtschwärmer-Diebstähle gibt es nicht. Die bekannten Zahlen gelten für die Berliner S- und Regionalbahnen. Für die U-Bahnen ist die Landespolizei zuständig, die allerdings nicht erfasst, ob die Bestohlenen geschlafen haben. Bei der Münchner Direktion der Bundespolizei ist der Nachtschwärmer-Trick zwar bekannt, von einer systematischen Spezialisierung der Diebe auf schlafende Party-Heimkehrer will Pressesprecher Berti Habelt aber nicht sprechen: „Das kommt hier auch vor, aber nicht so geballt.“

Sein Berliner Kollege rät, zum Feiern nicht den ganzen Geldbeutel einzupacken, sondern nur das Nötigste mitzunehmen. Außerdem sei es nicht ratsam, Musik zu hören. „Wenn der Dieb Kopfhörer sieht, weiß er schon, dass da wahrscheinlich ein Smartphone oder ein MP3-Player zu holen ist.“ Der beste Schutz gegen die Nachtschwärmer-Diebe ist allerdings ganz simpel: Wach bleiben.

Text: christian-helten - Foto: xginger/photocase.com

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