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Die schrecklichsten Mitbewohner der Welt: Folge 18
Wohnsituation: Zweier-WG zur Zwischenmiete; Mitbewohner = Vermieter
Geschlecht und Alter des Mitbewohners: männlich, Mitte 30
Horror-Stufe: 8 von 10
Am Abend, bevor ich in mein Auslandssemester startete, kaufte ich einen Whiskey für 25 Euro, den sich mein zukünftiger Mitbewohner und Vermieter vorab gewünscht hatte – in Schweden sei der so teuer. Bei meiner Ankunft überreichte ich ihm den Schnaps als Geschenk, ich wollte eine gute Basis für unser Zusammenleben schaffen. Beim Skype-Gespräch hatte er entspannt gewirkt.
Doch dann bekam ich erstmal eine etwa dreißigminütige Einweisung, was wie zu putzen sei. Er zeigte mir die vier unterschiedlichen Zahnbürsten im Bad, die ich zum Reinigen sämtlicher Rillen verwenden sollte und erklärte, die Klobrille möge ich bitte auch jede Woche abmontieren und in der Badewanne reinigen. In der blitzend sauberen Küche hingen zahlreiche Post-its mit freundlichen Hinweisen wie „Clean the stove after every use“ – signiert mit Name und Smiley.
Am ersten Morgen wurde ich von heftigen Würgegeräuschen geweckt. Ich ging davon aus, dass mein Mitbewohner an einer Magen-Darm-Infektion litt. Doch er verließ bald das Haus und sagte mir abends, dass es ihm gut ginge. Kurz darauf verschwand er allerdings wieder im Bad und erzeugte Geräusche, die schon beim Zuhören Halsschmerzen hervorriefen. Auf meine Frage, ob es ihm wirklich gut ginge, erwiderte er nur, dass er wohl etwas in den Hals bekommen habe. Dieses Ritual weckte mich fortan jeden Morgen und untermalte so manches Abendessen akustisch.
Nach vier Tagen ließ er sich zum ersten Mal ins Krankenhaus einliefern, da er scheinbar eingesehen hatte, dass dieses Geröchel nicht ganz normal war. Zwei Tage später war er zurück, aber in den folgenden fünf Wochen ging er noch weitere zwei Mal für mehrere Tage ins Krankenhaus, um Bluttests machen zu lassen und zu leiden. Einmal bekam ich Anweisungen, welche der gefühlt tausend unterschiedlichen vorrätigen Medikamente aus seinem Küchenschrank ich ihm ins Krankenhaus bringen sollte. Ein anderes Mal bat er mich, seinen Rücken zu massieren, denn er war ja so verspannt. Dies lehnte ich aber entschieden ab.
Ansonsten brauchte er zwischen den Krankenhausaufenthalten Ruhe. Außer, wenn er mit seinen Verwandten in Indien und den USA telefonierte (so konnte er zeitzonenmäßig immer mit jemandem telefonieren) – und zwar sehr laut. Wenn er gerade telefonierend durch die Wohnung lief und mich dabei im Gang sah, hielt er mir einfach sein Smartphone vors Gesicht und sagte „Say hello to my sister“ oder mit wem er da auch gerade skypte. Nach „Hello“ und „How are you?“ war die Konversation zwischen seinen Verwandten und mir aber meist beendet – wir kannten uns ja nicht. Doch das Smartphone blieb dann noch schmerzlich lang vor meinem Gesicht und wir schwiegen uns an.
Er litt auch an digitaler Paranoia. Sein W-Lan Passwort umfasste an die hundert Zeichen
Er duldete keine Kompromisse und kommentierte wirklich alles, was ich tat – schlimmer noch: Er wusste auch noch alles besser und stellte seine ganz eigenen Regeln auf. Für knapp zwei Monate fand eine Bekannte von ihm Unterschlupf und wohnte in seinem Zimmer, er lebte während dieser Zeit im Wohnzimmer. Sie und ich bezahlten Miete, er verdiente daran. Von Anfang an war vereinbart, dass meine Freunde mich besuchen und hier schlafen dürften. Er änderte spontan allerdings seine Meinung und verbot mir, Besuch zu bekommen.
Manchmal rief er mich aus meinem Zimmer. Dann wusste ich, dass ich wieder irgendwas falsch geputzt hatte oder er bei seinen Kontroll-Aktionen ein Staubkorn an der Unterseite des Staubsaugers gefunden hatte. Der Putzzwang und seine andauernde Krankengeschichte und Würge-Tradition reihten sich ein in eine digitale und teils auch analoge Paranoia. Sein W-Lan Passwort umfasste an die hundert Zeichen und wenn ich die Wohnung verließ, sollte ich aufpassen, dass die Nachbarn nicht in den Flur schauen konnten.
Irgendwann erfuhr ich, dass für ihn eine arrangierte Ehe in Indien anstand. Was wie eine sichere Nummer klingt, entpuppte sich als sehr aufwändige Angelegenheit, die im Beziehungsdrama endete. Dabei wurde ich ganz nebenbei zum Wedding-Coach, der vor jedem Skype-Gespräch mit diversen Verwandten der Braut (bis hin zum Großonkel x-ten Grades) Tipps für adäquates Verhalten geben sollte. Auch einer Modenschau vor dem ersten persönlichen Treffen sollte ich beiwohnen.
Doch all diese Bemühungen zahlten sich am Ende leider nicht aus, denn die vorgesehene Braut machte sich aus dem Staub und hinterließ eine Notiz bei ihrer Familie: „Wenn ihr mich zwingt, komme ich nicht wieder“. Verständlich.
Bei diesem Text handelt es sich um den Beitrag unserer Leserin Verena Berthold.
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