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Die schrecklichsten Mitbewohner der Welt: Folge 16
Wohnsituation: Erasmus-WG in Italien
Geschlecht und Alter des Horror-Mitbewohners: weiblich, Anfang 20
Horror-Stufe: 5 von 10
Marie* war der Star unserer Erasmus-WG. Zumindest glaubte sie das. Als ich in der kleinen italienischen Studentenstadt ankam, war die sonnenbankgebräunte Blondine mit dem Schönheitsfleck auf der Wange zum Glück noch gar nicht da. Nachdem ich meinen Koffer drei Stockwerke hochgeschleppt hatte, begrüßten mich oben zwei Mädels Anfang zwanzig. Sara und Anna aus Brüssel.
Am ersten Abend holten wir Pizza, unterhielten uns in der Wohnküche auf Englisch und lachten viel. Es schien super zu laufen. Wir gingen zusammen feiern, reisten mit anderen Erasmus-Studenten durch die Region und kochten gemeinsam. Dann kam Marie.
Sie flog häufig übers Wochenende zurück nach Brüssel. Aber wenn sie da war, wurde es laut in unserer gemütlichen WG auf Zeit. „Putain“, was wörtlich übersetzt „Hure“ heißt, war Maries Lieblingswort. Sie brüllte es zornig durch die Wohnung, wenn die Skype-Verbindung zu ihrem Freund abriss. Sie schleuderte es einem grinsend entgegen, wenn sie sich über sich selbst freute.
Aber je länger Marie in Italien wohnte, desto unzufriedener wurde sie. Und desto mehr war offenbar ihre Umwelt Schuld an ihrer Misere. Eines Abends hatte ich Kommilitonen zum Essen eingeladen. Marie und Sara wollten keinen Fisch – der sei eklig. Sie schmierten sich lieber ein Brot und lästerten auf Französisch – meist über die ruhige Anna, die eigentlich mit ihnen studierte, aber als gebürtige Polin für die beiden Ladies nicht ganz dazu gehörte.
Immer häufiger schlossen sich die blonde Diva und Sara in ihren Zimmern ein. Je kälter der Winter wurde, desto frostiger wurde die Stimmung in unserer WG. Irgendwann begannen Marie und Sara, überall in der Wohnung Zettelchen auszulegen. „Kauf neues Brot“, befahlen sie – obwohl jede von uns für sich selbst einkaufte. „Putz die Wanne“, las ich eines Tages im Bad – obwohl laut Putzplan Marie dran gewesen wäre. Konsequenterweise hatte sie selbst in den vergangenen Monaten nicht einmal geputzt. Ich ignorierte die Aufforderung. Am nächsten Tag ein neuer Zettel: „Putz gefälligst das schmutzige Bad!!!“ Lange, blondierte Marie-Haare klebten in Waschbecken und Badewanne.
Anna verstand so wenig wie ich, was passierte. Marie und Sara hielten ihre Zimmertüren verschlossen. Wenn wir uns im Flur begegneten, ignorierten sie uns oder brüllten Beleidigungen auf Französisch, bevor sie wieder verschwanden. Das schmutzige Geschirr stapelte sich. Eines Tages stand Anna schluchzend vor meiner Tür und sagte: „Ich ziehe aus.“ Sie halte das alles nicht mehr aus, sie fühle sich hier nicht mehr sicher. Ihr Freund eskortierte sie aus der Wohnung. Anna kam nur noch für die Prüfungen nach Italien und schlief dann im Hotel.
Ich blieb zurück. „Es sind ja nur noch vier Wochen“, redete ich mir ein. Eines Abends saß ich auf meinem Bett, als plötzlich ein lauter Knall die Stille zerriss, direkt vor meiner Zimmertür. Ich war wie versteinert und hörte dann Marie laut lachen. Nach einigen Minuten öffnete ich vorsichtig die Tür. Davor lag ein dreckiger Topf, den sie offenbar gegen meine Tür geschleudert hatte. Daneben ein Zettel: „Mach ihn sauber!“ Auf mein Klopfen an ihren Zimmertüren reagierte keine der beiden.
In der Wohnung wollte ich nicht bleiben. Marie wurde immer aggressiver, immer unberechenbarer. Ich rief Anna an, die gerade in der Stadt war. Sie und ihr Freund holten mich ab. Zum Glück war in der WG einer Italienerin, mit der ich mich in der Zwischenzeit angefreundet hatte, gerade ein Bett frei. Und so verbrachte ich die letzten drei Wochen nicht nur mit freundlichen Mitbewohnerinnen, sondern lernte in der kurzen Zeit mehr Italienisch, als ich es in der Erasmus-WG in den Monaten zuvor getan hatte. Marie habe ich nie wiedergesehen.
*alle Namen geändert
Bei diesem Text handelt es sich um den Beitrag einer jetzt-Leserin.
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