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Woher der Hass? Warteschlangen
Mittagspause im kalten Herz einer deutschen Großstadt, da wo Anwaltskanzleien und Modeketten ganze Straßenzüge verwüstet haben. Es bleibt zum Essen nur „Fast Casual“, so heißt das, wenn man zu Vapiano muss. Vapiano ist eine Systemgastronomie-Kette, die neben „Front-Cooking“ vor allem ein Erlebnis bietet: an den Nerven zehrendes Schlangestehen. Man darf sich nämlich nicht hinsetzen, um auf seine Pasta zu warten, sondern muss sich dem Frischekonzept der Firma beugen, vor zwei Pfannen anstehen und hungrig zugucken, wie zuerst das Essen für Andere zubereitet wird. Dabei rammt einem der Hintermann sein Tablett in den Rücken, während der Vapiano-Koch den Vordermann anschreit, ob er noch extrafrisches Irgendwas auf seine Estiva haben will. Am liebsten würde man als Rache für diese Zustände einfach vor Hunger umkippen und sich auf den Boden legen, aber das wäre natürlich albern und zynisch, weil man dankbar sein sollte, dass in unserem Teil der Welt die Zeiten vorbei sind, in denen Schlangestehen mit existenzieller Not zu tun hatte.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Schlimmes First-World-Problem also; und trotzdem ist die Warteschlange bei Vapiano oder die im Supermarkt oder vor dem Club immer noch ein Feuchtbiotop, in dem der Hass in all seinen Farben blüht. Die Typen, die sich zu ihren Freunden ganz vorne dazustellen – Hass. Leute, die hinter einem standen, aber als die neue Kasse aufmacht, kommen sie da plötzlich vor einem dran – Hass. Männer und Frauen ohne Gewissen, die sich ganz schlicht vordrängeln, „strategisches Positionieren“, wie man es in der Gewissenlosen-Community nennt – Hasshasshass! Queue rage ist der englische Begriff für diesen Gefühlszustand, eine stille Rage, ein leiser Hass, der nach innen geht.
Dass man sich das Schlangestehen ja eigentlich gar nicht antun müsste, weil man eben nicht im kommunistischen Russland oder in einem Flüchtlingslager lebt, sollte einen eigentlich gelassener machen. Genau das ist in der verqueren Logik der First-World-Probleme aber die Wurzel des Übels: Eigentlich hätte man diesen Stress ja vermeiden können! Die schlaueren Kollegen sind in der Mittagspause zum Inder gegangen, wo es immer zackzack geht, und wer sich freitagabends im Supermarkt zwischen seinen Mitbürgern und Kinderriegeln an der Kasse einklemmen lässt, kann sich auch gleich ein T-Shirt anziehen, auf dem steht: „Ich bin ein dummer Mensch, der seine Einkäufe nicht wie ein Alltagsprofi planen kann.“ Die allerdeutscheste Warteschlange ist natürlich der Stau. Wer in ihm feststeckt, war nur wieder zu doof, die Kinder zwei Tage vor Ferienbeginn krankfeiern zu lassen, um 4 Uhr morgens loszufahren und die Route mit der Fähre zu nehmen, die ist nämlich immer frei.
In der Warteschlange trifft sich, wer kurzfristig den Anschluss verloren hat an den gesellschaftlichen Imperativ, immer das Beste rauszuholen und schlauer zu sein als der Rest. Hass lodert in diesen Menschen auf, weil sie womöglich auch noch teure Flüge buchen, den falschen Handytarif haben oder den vollen Steuersatz zahlen. Sie wollen oder können nicht mitmachen beim Immer-ein-bisschen-schlauer-Sein. Die Warteschlange ist die angemessene körperliche Bestrafung für dieses Vergehen.
Text: lars-weisbrod - Illustration: Daniela Rudolf