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Woher der Hass? Materielles 590371
Neulich kam im Radio ein Weihnachtsgewinnspiel. Ein O-Ton aus einem Straßeninterview wurde eingespielt, eine Frau sagte: „Also ich finde das Wichtigste zu Weihnachten ja PIEPS und ich finde es immer besser, PIEPS zu verschenken als Dinge.” Die Zuhörer mussten dann raten, welches Wort ausgepiepst war. Was die Auflösung war, habe ich nicht mehr mitbekommen. Ich musste in den Karstadt, Geschenke besorgen. Aber vermutlich hat die Frau „Zeit” gesagt oder „Kinder“ oder so. Eigentlich ist es auch egal, was genau sie gesagt hat. Der Satz „Ich finde es immer besser PIEPS zu verschenken als Dinge“ kann so stehen bleiben und spricht für sich selbst.
Denn an Weihnachten finden wir plötzlich alles, selbst PIEPS, besser als verblödete Dinge, als Zeug, als (Ieh!) Materielles. Das ist die angesagte Weihnachtsmeinung, der Opinion-Trend unterm Mistelzweig, dieses Jahr wie jedes Jahr: Dinge sind blöd, besonders als Geschenke. Worum es wirklich geht: sich Zeit füreinander nehmen, mal wieder gute Gespräche führen, Nähe spüren. So Sachen aus den Refrains moderner Kirchenlieder. Freundeskreise verabreden zu Weihnachten, sich nichts zu schenken (man hat ja genug), Pärchen weisen ihre Bekannten an, statt Geschenken dieses Jahr einfach nur eine Spende an Homöopathen ohne Grenzen zu überweisen.
Diese konsum- und materialismuskritischen Anwandlungen bekommt jeder mal, deswegen gilt Entrümpeln ja gerade auch als Trend, weil man sich dabei angeblich wieder auf das Wesentliche besinnt. Andere Leute probieren sogar aus, wie das ist, ein Jahr lang gar nichts zu kaufen. Seit langem wird behauptet, wir seien inzwischen im Post-Materialismus angekommen und deswegen würden jetzt statt schicker Autos und teurer Uhren ideelle Status-Symbole zählen.
Dabei ist das Unsinn und das Materielle ist im Großen und Ganzen immer noch beliebt. Die Liebe hat sich nur verschoben: Mittlerweile wollen die Leute nichts Billiges aus Plastik mehr, sondern nur noch wertige Gegenstände, am besten mit Zertifikaten oder aus der Manufaktur. Sie kaufen wie verrückt hässliche iPhones oder Designklassiker für Küche und Bad („Meine Klobürste hab ich damals auf svpply entdeckt, von so einem japanischen Designer, der eines der großen Vorbilder von Jonathan Ive ist!“). Dass es jetzt weniger, dafür teurere Dinge sind, auf die wir abfahren, das zeigt ja nur, dass die Liebe zum Materiellen noch größer geworden ist.
Nur einmal im Jahr fällt den Leuten der Hass aufs Materielle wieder ein, zu dem sie sich dann sofort bekennen. Aber woher dieser Hass ausgerechnet an Weihnachten, dem Fest der Liebe? Was macht die Dinge in der Weihnachtszeit plötzlich so hassenswert? Dass sie alle nach Zimt riechen? Dass überall Rentier-Geweihe draufgeschraubt wurden?
Vielleicht liegt es am Schenken. Zu Weihnachten werden die Dinge verschenkt, den Rest des Jahres behält man seine Jonathan-Ive-Klobürsten für sich selbst. Womöglich hassen die Leute nicht etwa die Dinge, sondern nur das Verschenken von Dingen. Von Adorno stammt ein kurzer Text mit dem Titel „Umtausch nicht gestattet”, in dem er sich vor mehr als 60 Jahren schon darüber beklagt hat, dass die Menschen zu doof zum Schenken seien. „Wirkliches Schenken”, schrieb Adorno damals, „hatte sein Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten.“ Würden aber die Leute heutzutage etwas verschenken, dann höchstens das, was sie selbst gerne hätten. Nur in billiger. Sie gehen dabei vor „mit widerwilliger Vernunft, unter sorgfältiger Innehaltung des ausgesetzten Budgets, skeptischer Abschätzung des anderen und mit möglichst geringer Anstrengung“. Man könnte sagen: mit Hass.
Adornos Antwort auf den Satz von der Radiofrau, auf „Ich finde es immer besser PIEPS zu verschenken als Dinge“, würde übrigens lauten: Es ist doch gerade die Kunst, tolle materielle Geschenke zu machen, die uns so fehlt. Denn wer nicht mehr schenken kann, bei dem verkümmern „jene unersetzlichen Fähigkeiten, die nicht in der Isolierzelle der reinen Innerlichkeit, sondern nur in Fühlung mit der Wärme der Dinge gedeihen können”. In Fühlung mit der Wärme der Dinge, schöner kann man nicht sagen, was ein gutes materielles Geschenk ausmacht.