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Woher der Hass? Hannover
Jeder wohnt irgendwo, deswegen ist der Wohnort ein gutes Smalltalk-Thema, wenn man mal im Aufzug steckenbleibt. Man kann dann ein paar regionale Spezifika behaupten und austauschen, bis der Aufzugsmonteur kommt: In Köln, da sind alle so offen. In Berlin sind sie zwar unfreundlich, aber herrlich direkt. In Westfalen so trocken und erdig. Eigentlich gibt’s über jeden Ort was Nettes zu sagen. Außer über Hannover. Hannoveraner haben bei der Verteilung regionaler Eigenheiten Pech gehabt: Sie sind besonders langweilig. Und betreiben besonders viel Gemauschel.
Wer „langweiligste Stadt Deutschlands“ bei Google eintippt, bekommt von der Suchmaschine Hannover vorgeschlagen. Die Stadt hat es tatsächlich geschafft, in unserem mit Biederkeit nicht geizenden Land als besonders bieder aufzufallen. Als Beleg dafür werden gerne Christian und Bettina Wulff herangezogen. Bieder war ihr Klinkerhaus in Großburgwedel am Rande von Hannover, bieder ist Bettinas Tribal-Tattoo, bieder ist sogar noch die Trennung der beiden („Trennung, so Normcore!“).
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Es ist die Mischung. Sie macht die Leute rasend.
Aber wenn’s nur das wäre. Wer „Abzocker“ bei der Google-Bildersuche eintippt, dem wird etwas weiter unten das Bild des Unternehmers Carsten Maschmeyer angezeigt. Maschmeyer ist mit dem Image von Hannover verflochten, weswegen die Stadt jetzt als Hort der undurchsichtigen Geschäfte und des Eine-schmutzige-Hand-wäscht-die-andere-schmutzige gilt. Maschmeyer hat sein Geld mit dem „Finanzvertriebsdienstleister“ AWD gemacht, dessen Geschäftsgebaren immer wieder kritisiert wurden. Jetzt gibt es wieder neue Vorwürfe gegen ihn. Es geht um zwei Millionen Euro, die Riester-Rente und Gerhard Schröders Autobiografie, also um dieses ganze biedere Hannover-Zeug.
Deswegen sieht man jetzt ständig Fotos von Maschmeyer mit seinem Freund Schröder in der Zeitung, so wie vor einiger Zeit ständig Fotos von Maschmeyer mit Christian Wulff zu sehen war. Irgendwie sehen die Männer auf diesen Fotos immer so aus, als würden sie gerade herummauscheln. Vielleicht liegt’s einfach am Licht in Hannover, dass man da so mauschelige Fotos macht. Weil dann auch noch Hell’s Angels in der Stadt ihr Unwesen treiben, hat sich ein böses Wort etabliert: die Maschsee-Mafia, benannt nach dem Maschsee, dem anderen Hannoveraner Wahrzeichen neben Mauschelei und Langeweile.
Der Fall Hannover scheint eindeutig: lebenslänglich mit anschließender Langeweileverwahrung. Dabei ist, jetzt mal unter uns, in Hamburg auch nicht viel mehr los als in Hannover. Und auch in München wird viel gemauschelt. „Und was heißt schon New York? Großstadt ist Großstadt; ich war oft genug in Hannover“, hat Arno Schmidt einmal geschrieben. Warum wird Hannover also so übel genommen, was wir anderswo einfach als Normalität durchwinken?
Es ist die Mischung. Sie macht die Leute rasend. Wo Biederkeit auf Unmoral trifft, da kennt man kein Erbarmen. Denn Biederkeit brandmarkt den Aufsteiger. Der hat sich vielleicht ein Vermögen zusammengeklaubt, aber er gehört noch lange nicht dazu, ihm fehlen Geschmack, Verbindungen und das Familienwappen. Zwielichtige Geschäfte in den Villen am Starnberger See und in Blankenese – meinetwegen, was soll man in den Villen auch sonst tun. Aber in Hannover? Wie widerlich.
Wenn wir übers Ohr gehauen werden, dann wenigstens von stilsicheren Industriellen mit Sommersitz in den Hamptons, ganz viel old money und exquisitem Kunstgeschmack. Nicht von einem wie Maschmeyer, Gesicht eines Sonnenstudiobesitzers, Sohn einer alleinerziehenden Sekretärin. Dessen Verbindungen dann nicht bis ins Weiße Haus reichen, sondern nur bis zum Sektausschank auf einer Promi-Geburtstagsparty in Niedersachsen. Hinter dem Hass auf Hannover steckt vor allem ein Albtraum: Wer nicht schon reich, privilegiert und geschmackssicher geboren wurde, aber trotzdem nach oben will, der kommt nicht weiter als bis nach Hannover. Und auch dorthin nur mit fragwürdigen Mitteln.
Text: lars-weisbrod - Illustration: daniela-rudolf