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Woher der Hass? (1): Prenzlauer-Berg-Muttis
Vor etwa zwei Jahren beschloss der Inhaber eines Cafés an der Schönhauser Allee in Berlin, keine Kinderwagen mehr in seinen Laden zu lassen. Die Mütter aus Prenzlauer Berg prallten fortan gegen einen Betonpoller, wenn sie mit ihren Kinderwagen durch die Tür wollten. Auf der anderen Seite des Pollers standen ihre Gegner und lachten hämisch.
Mit dem Betonpoller in der Tür wurde ein Hass befeuert, der schon lange schwelte in Prenzlauer Berg: der Hass auf die gebildeten, gut situierten Frauen, die dort schwanger sind und Kinder kriegen, ihre Elternzeit in den hübschen Cafés verbringen und (nein, auch dieser Text kommt nicht ohne aus) Latte Macchiato trinken, ihren Kleinen Holzspielzeug kaufen und eine Mitgliedskarte beim LPG Biomarkt haben. Unzählige Artikel und Glossen wurden über sie geschrieben, unzählige Gegenreden verfasst, Beleidigungen ausgesprochen und gekontert, Menschen zogen hin und wurden eine von ihnen (wegen der tollen Infrastruktur), andere zogen weg, um bloß keine zu werden (wegen der Vorurteile), am Ende gab es sogar ein Buch zum Thema, klar.
Aber woher der Hass? Eine mögliche Antwort hat (unter anderem) mit nackten Brüsten zu tun und geht so: Die Prenzlauer-Berg-Mütter sind schreckliche Egoisten, die so sehr auf ihre Kinder und deren Wohl fixiert sind, dass sie alle Regeln des guten Benehmens und Geschmacks außer Acht lassen. Zum Beispiel, indem sie in der Öffentlichkeit stillen. Oder mit ihren Kinderwagen Fluchtwege versperren. Die Mütter gelten als anstrengende „Selbstoptimierer“, die gleichzeitig ihren Nachwuchs optimieren und deswegen über-behüten und über-fördern, und ihre Gegner plädieren trotzig dafür, dass Kinder auch mal auf Plastik beißen dürfen und nicht schon mit drei Jahren Chinesisch lernen sollen.
Eine andere mögliche Antwort hat nichts (auch nicht unter anderem) mit nackten Brüsten zu tun, sondern mit allgemeiner Frustration. Der Hass auf die Mütter ist ein Kompensationshass. Prenzlauer Berg war einmal ein Arbeiter- und Alternativen-Viertel mit günstigen Mieten. Dann wurde saniert und die Akademiker kamen, sie brachten Geld und ihre Gesundheit mit und bekamen Kinder, auf die das ganze Viertel sich einstellte: Kindercafés mit Spucktüchern auf der Karte, mit Dreirädern und Sandkästen. Kindermodeläden. Ein Kindermuseum, ein „KinderConceptStore“. Und Biogemüse an jeder Straßenecke. Diese Infrastruktur und alle, die darin herumlaufen, fallen auf: Die Läden und Cafés sind bunt, die Mütter nehmen viel Platz ein (Kinderwagen!), die Kinder sind laut. Sie alle sind sichtbare Konsequenzen der Gentrifizierung, die man direkt beschimpfen kann. Vor allem die Mütter. Die Läden reagieren ja nur auf die Nachfrage (die von den Müttern kommt), und die Kinder sind noch zu klein und unschuldig (und kommen aus den Müttern). Sie sind die Prügeldamen all derer, die eigentlich auf die Stadt und Stadtplanungspolitik schimpfen wollen, auf Firmen, die Häuser kernsanieren, auf soziale Segregation und das ungerechte Bildungssystem – aber dafür entweder nicht den Schneid, nicht die Kompetenzen oder keinen wöchentlichen Stammtisch haben. Sie sehen die rotwangigen, Yoga-gestählten Selbstoptimierungs-Muttis mit Scheuklappen, die alle Alten, Alternativen und Ausländer aussperren, und projizieren in sie all das hinein, was in deutschen Großstädten ihrer Meinung nach schief läuft. Feindbild completed!
Heute haben die Mütter und ihre Gegner nicht mal mehr den Schwung, gegen einen Betonpoller zu rammen. Die Prenzlauer-Berg-Mütter sind auf der einen Seite des Pollers zum Klischee erstarrt, ihre Gegner auf der anderen. Niemand kann mehr Latte Macchiato bestellen, ohne sich zu schämen, und niemand kann sich dafür schämen, ohne sich für diese Scham zu schämen. Und in 25 Jahren, wenn der Betonpoller längst Geschichte ist, werden wir in allen Medien groß angelegte „Wir Kinder vom Prenzlauer Berg“-Reportagen lesen, sehen und hören, und erfahren, wie die armen Kleinen den Krieg auf dem Kopfsteinpflaster erlebt haben.
Text: nadja-schlueter - Illustratiuon: Daniela Rudolf