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„Ich bin akademische Blüte und daher gesellschaftlicher Müll!“

Foto: Ornella Cacace

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Vor bald drei Jahren schmierte eine 17-Jährige ihr kritisches Häufchen ins deutsche Bildungssystem. Naina (@nainablabla) twitterte in einer Januarnacht: „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtanalyse schreiben. In 4 Sprachen.“ Und die Köpfe explodierten. 

Ja, es stimmt, wir haben ein Bildungsproblem. Ich finde es trotzdem wichtig, dass ich Gedichte analysiert und Fremd­sprachen gelernt habe, weil ich glaube, dass Literatur Empathie schulen kann, Fremdsprachen Demenz vorbeugen und abstrakte Bildung den Menschen menschlicher macht. Aber ich nutze heute auch ­einen Steuerberater, einen Versicherungsagenten und habe keine Ahnung von Mietrecht. Ich bin akademische Blüte und daher gesellschaftlicher Müll.

Was war also dran an Nainas Blabla? Als wäre eine zerberstende Säuferblase zur Entleerung gekommen, fing Deutschland an, sich in einem Schwall über Bildung zu unterhalten. War jetzt der Punkt gekommen, alles anders zu machen? Konnte die ­Scheißigkeit der Schule wissenschaftlich nachgewiesen werden? Was zur Hölle war überhaupt Bildung, und konnte so etwas Flüchtiges wie ein Tweet wirklich einen Einfluss haben auf die Trägheit der deutschen Politmasse? Es wurde berichtet und gestritten, von „Deutsche Schulen müssen mehr Wirtschaftswissenschaftler einstellen“ bis hin zu „Oui, Gedichte sind muy gay“.

Meine Mutter sagte früher immer: „Wir haben zu wenig Geld, um nicht in Bildung zu investieren.“ Ich murrte dann: „Aber so wenig Geld haben wir doch gar nicht.“ Und ging in die Musikschule, wo ich das Saxophon zum ersten Mal seit der letzten Stunde aus dem Koffer nahm. Ich hatte eine Playback-Übungs-CD bekommen, die ich zu Hause manchmal laut aufdrehte, damit meine Eltern sich einbilden konnten, ich würde wirklich ausgebildet. Ich phlegmatisches First-World-Gör. Und was kann ich heute? Den Pink Panther ohne Notenblatt spielen und ein Sopran- optisch von einem Altsax unterscheiden, in vier Sprachen. Bravo, Hazel, hier hast ’nen Keks.

Das Schwierige an Bildung ist, dass man sie als umso selbstverständlicher betrachtet, je besser sie einem widerfährt. Es ist Luxus, Schule scheiße finden zu können und darüber zu meckern, dass man auf einem Gebiet zu viel wisse.

Dein Bildungsgrad ist wie das Können eines Schlagzeugers, eingeprügelt von der Schule und deinem Umfeld, einem Per­kussionsmeister, der wahrscheinlich ein Alkoholproblem hat. ­Intelligenz ist des Schlagzeugers Ausdauer, Kraft und Rhythmusgefühl; Neugier ist seine Motivation, immer wieder ein möglichst geiles, neues Set zu pauken. Wissen ist die Summe aller Tracks, die er je gelernt hat, und Können ist, wenn er die Tracks auch tatsächlich spielt. (Deswegen ist die Fähigkeit, zu googeln, auch weder ­Wissen noch Können. Sondern wie eine Playback-CD, die man einlegt, während man so tut, als würde man spielen.) Und je besser ein Schlagzeuger ist, desto weniger fällt er dir auf, aber wehe er verkackt! Du fällst nicht auf, wenn du lesen kannst. Aber als Analphabet bist du so auffällig rückständig, dass viele sich fragen werden, wie du überhaupt überleben konntest.

Heute ist fast drei Jahre später, Naina ist nicht mehr bei Twitter, und ich wage zu behaupten, dass das Bildungssystem in Deutschland sich nicht verbessert hat. Zu viele kleine Schlagzeuger werden zu Jazzmotiven gezwungen, wo es doch echt sinnvoller wäre, erst einen gescheiten Viervierteltakt hinzukriegen. Alle ­kriegen iPads, und die Lehrer wenig Geld. Dabei ist Deutschland eigentlich zu arm, um nicht in echte Bildung zu investieren.

Hazel Brugger ist Comedian und Moderatorin aus der Schweiz. Sie tritt unter anderem als Außenreporterin bei der „heute-show“ des ZDF auf. Sie gewann zum Beispiel den Salzburger Stier und den ­Förderpreis zum Deutschen Kleinkunstpreis 2017.

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