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46 Millionen Menschen leben in moderner Sklaverei
Der "Global Slavery Index 2016" berichtet über moderne Formen der Sklaverei. Finanziert wird er vom australischen Milliardär Andrew Forrest, der einen Großteil seines Vermögens mit Bergbauunternehmen verdient hat. Ein Gespräch.
Mit „Sklaven“ verbinden wir den Bau der Pyramiden oder amerikanische Baumwollplantagen. Wie sieht die „moderne Sklaverei“ aus, die Sie bekämpfen?
Andrew Forrest: Egal ob Prostituierte in Europa, Arbeiter auf Baustellen im Nahen Osten oder Jesidinnen, die vom IS entführt werden – das eine, was die 45,8 Millionen „modernen Sklaven“ gemeinsam haben, ist: Sie können nicht weg. Man hat ihnen ihre Pässe weggenommen, sie oder ihre Familien bedroht, sie in irgendeine Art von Abhängigkeit gezwungen. Sie sind meist reichen Menschen schutzlos ausgeliefert, die sich an ihnen noch mehr bereichern wollen. Wir fassen das unter dem Begriff „moderne Sklaverei“ zusammen, weil all diese Menschen letztlich behandelt werden wie Tiere auf einer Farm. Wer denkt, diese heutige Sklaverei wäre nicht so schlimm, hat verdammt noch mal keine Ahnung.
Sklaverei ist aber doch überall auf der Welt illegal?
Ja, bis auf Nordkorea. Viele Länder haben genug Gesetze gegen moderne Sklaverei. Aber wie immer ist die Realität eine andere. Wann immer ich einen Businesspartner treffe, der sehr billige Arbeitskräfte beschäftigt, frage ich ihn als Erstes: Hast du die Pässe deiner Arbeiter? Ich habe solche Praktiken von Portugal bis Dubai erlebt. Vor allem im Baugewerbe. Gerade in Europa aber findet man auch massenhaft Fälle zum Beispiel in der Sex-Industrie oder unter Flüchtlingen, die sich Schmugglern ausliefern und dann ausgebeutet werden.
Was bedeutet das für die Gesellschaften, in denen solche Ausbeutung üblich ist? Profitiert eine Volkswirtschaft von billiger Arbeitskraft?
Es ist ein Mythos, dass Ausbeutung in irgendeiner Weise gut für Gesellschaften oder Volkswirtschaften ist. Du bist ein positiver Faktor deiner Volkswirtschaft, denn du verdienst Geld und gibst Geld aus. Du trägst zum Bruttosozialprodukt bei. Sklaven hingegen verdienen so gut wie nichts und können somit auch nichts zu einer florierenden Wirtschaft beitragen. Abgesehen davon, dass sie zutiefst deprimierte, bemitleidenswerte Existenzen sind, die leicht selbst kriminell werden, verursachen sie in jedem Fall mehr volkswirtschaftlichen Schaden als Nutzen. Chinas rasantes Wachstum im vorigen Jahrhundert beispielsweise wurde erst möglich, als das Regime den Menschen erlaubte, ihre eigenen Interessen zu verfolgen, und nicht mehr nur abhängig zu leben.
"Wir fanden riesige Sweat Shops, in denen die Sterblichkeit 20 Prozent betrug"
Was bringt einen australischen Milliardär dazu, sich gegen Sklaverei einzusetzen?
Meine Tochter machte 2010 schreckliche Erfahrungen in Nepal, als sie Kinder betreute, die von Menschenhändlern verkauft worden waren. Wir wollten etwas tun und fanden heraus, dass die meisten modernen Sklaven Arbeiter sind, die unter unwürdigen Bedingungen von ihren „Arbeitgebern“ festgehalten werden. Also wollte ich zuerst meine eigene Weste weiß halten. Wir schauten bei allen Zulieferern und Partnern meiner Unternehmen, insgesamt 3500 Firmen. Viele wollten nicht kooperieren. Dennoch fanden wir riesige Sweat Shops, in denen Tausende südindische Arbeiter unter den schlimmsten Bedingungen lebten. Ohne Pässe konnten sie nicht weg, sie bekamen fast kein Geld, und die Sterblichkeit lag bei 20 Prozent. Viele von ihnen überlebten nur wenige Jahre dort. An der Spitze dieser Nahrungskette stand ein großes britisches Unternehmen, das nicht nur mich belieferte, sondern auch viele andere internationale Konzerne. Da merkte ich ganz persönlich, wie groß das Problem ist. Und Bill Gates riet mir einmal: "Wenn Du ein Problem nicht messen kannst, existiert es nicht". Also veröffentlichten wir 2012 den ersten Index.
2014 erntete die Methodik des Global Slavery Index einige Kritik. So etwas wie Ausbeutung zu messen, ist sicherlich nach wie vor sehr schwierig.
Wir und unsere Partner haben für diesen Index mehr als 40 000 persönliche Interviews in 50 Sprachen geführt. Dadurch haben wir valide Daten für 44 Prozent der Weltbevölkerung. Die andere Hälfte versuchen wir mit einem mathematischen Modell zu schätzen. Die statistischen Abweichungen betragen bei solchen Schätzungen weniger als ein Prozent. Nicht perfekt, aber gut genug, um auf Missstände hinzuweisen.
Was kann ich persönlich am anderen Ende der Welt gegen Sklaverei in Asien oder Südamerika tun?
Wie immer ist es erst einmal wichtig, Aufmerksamkeit für dieses Problem zu schaffen. Privat wie politisch. Als Konsument kann man in jedem Geschäft einfach nachfragen, ob der Händler ausschließen kann, dass Sklavenarbeit involviert ist. Und man kann die Politiker auffordern, etwas dagegen zu tun. Denn wenn ein Land wie Deutschland es Großbritannien gleichtut und so etwas wie den dortigen „Modern Slavery Act“ unterzeichnet, also eine Initiative gegen Menschenschmuggel und mehr, dann folgen sicher andere Länder. Zumal auch in Europa besonders Migranten aus dem Süden zunehmend gefährdet sind.
Ihr Ziel ist es, die moderne Sklaverei noch zu Ihren Lebzeiten endgültig abzuschaffen. Heute sind laut Ihrer Studie rein quantitativ mehr Menschen denn je in der Geschichte der Menschheit versklavt. Sind Sie noch optimistisch?
Ja. Als wir zuletzt mit der indischen Regierung über Maßnahmen sprachen, waren wir sicher nicht die beliebtesten Menschen in Delhi. Aber gestern, also einen Tag, bevor die aktuelle Studie veröffentlicht wurde, wurde dort ein Gesetz gegen Menschenhandel erlassen. Auch die großen Religionsführer, der Papst, hohe Imame und so weiter, haben verabredet, dagegen vorzugehen. Die Sklaventreiber müssen verstehen, dass sie sozusagen auf brennendem Boden stehen. Denn die Aufmerksamkeit weltweit wächst.