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„Weltpolitik ist ernüchternd“
1. Wie man nachts schreibt Wenn auch nur für kurze Zeit, war es ein schönes Ritual geworden: Tagsüber zur UN und nachts schreiben. Die Zeitverschiebung forderte schnelles Arbeiten. Wenn in New York die wichtigen Reden waren, war in Deutschland schon Redaktionsschluss. Also schrieb ich, wenn ich nach der UN nach Hause kam oder ganz früh am Morgen, bevor ich zur UN ging. Während ich in der Generalversammlung saß, ging der Text online. Abends verfolgte ich gespannt die Kommentare. 2. Es stimmt: New York schläft niemals Zwar war ich einerseits traurig, als ich Donnerstag in den Flieger stieg, andererseits aber auch ein bisschen erleichtert. New York ist wirklich berauschend und überwältigt einen an allen Ecken. Aber die Stadt kommt eben nie zur Ruhe. „That city that never sleeps“ bekam für mich eine ganz neue Bedeutung: Die Masse an Menschen, die Lautstärke, die Dichte, all das war mir am Ende ein bisschen zu viel.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Für ihren ersten Auftritt auf der Bühne internationaler Politik, hatte sich Anne extra einen Hosenanzug gekauft. Die Schuhe sind noch vom Abiball. 3. Ohne Visitenkarte bist du niemand Wer in Amerika keine Visitenkarten bei sich trägt, ist so gut wie nicht existent. Nach jedem kleinen Smalltalk wird man nach seiner Karte gefragt. Hab ich nie besessen und bisher nie gebraucht. Nun werde ich mir welche zulegen. Dafür habe ich aus den USA einen ganzen Stapel fremder Visitenkarten mitgebracht. Ich weiß schon gar nicht mehr, wer wer war. 4. Weltpolitik ist ernüchternd Mein inhaltlicher Rückblick auf den Gipfel fällt sehr nüchtern aus. Am Tag nach meiner Rückkehr war ich in Erfurt in der Ausstellung der World Press Fotos. Dort war ein Bild zu sehen, auf dem sich ausgehungerte Bewohner eines Dorfes in Simbabwe über das Fleisch eines Elefanten hermachen, den sie gerade geschossen haben. Mitten in der Wüste, mitten in der Dürre. In Anbetracht solcher Bilder waren die Reden der Staatschefs lächerlich. Würde Dirk Niebel diesen Menschen ins Gesicht sagen, das mehr Geld „ja gar kein Problem“ wäre, Deutschland sich aber zukünftig nicht mehr verpflichtet, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe auszugeben? Würde Angela Merkel ihnen einen Vortrag über "ergebnisorientierte Entwicklungshilfe" halten? Verbuchen die Staatschefs den Gipfel wirklich, ganz persönlich als Erfolg? Die Krisen und Konfliktpunkte der Erde flimmern täglich über die Bildschirme der ganzen Erde. Offensichtlich sind diese Bilder aber nicht genug (oder vielleicht schon zu viel?), um die Dringlichkeit von Entwicklungshilfe zu forcieren. Ich halte die UN nach wie vor für eine wichtige Organisation und zweifle nicht an ihrer Wirksamkeit oder ihrem Nutzen. An den Beispielen Dänemark und Schweden zeigt sich, dass es Länder gibt, die den Vorgaben der Milleniumserklärung nachkommen. Aber der Großteil der Mitgliedsstaaten tut dies eben nicht und da frage ich mich schon, wie verbindlich ein solcher Gipfel, ein solches Dokument ist.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Vor dem Eingangstor zum UN-Gebäude: Ein Plakat mit der Aufschrift „We can end poverty. 2015“. Purer Hohn, findet Anne. 5. Das Abschlussdokument ist purer Hohn Das Abschlussdokument des Gipfels, das übrigens schon vor dem ersten Gipfeltag formuliert war, ist eine große Enttäuschung. Es enthält viele warme Worte, die Entschlossenheit gegen Armut vorzugehen, aber keine konkreten Maßnahmen. Während in der Milleniumserklärung von 2000 noch konkrete Ziele formuliert waren, fehlen diese im neuen Dokument völlig. Selbst von dem Vorsatz der Industriestaaten 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe auszugeben ist nichts mehr zu lesen. Das Ergebnis des Gipfels ist eine große Enttäuschung für die Entwicklungsländer. Vor allem aber ist es peinlich für die großen Industriestaaten, die noch nicht mal ihre Versprechen von vor zehn Jahren erneuern wollten. 6. Die Großen leben auf Kosten der Kleinen Der Präsident des Inselstaates Mikronesien hat in seiner Rede vor den VN vor allem darum gebeten, dass die Entwicklungshilfe das Ziel 7, die ökologische Nachhaltigkeit, nicht aus den Augen verliert. Der Inselstaat im Pazifik droht bei weiter steigendem Wasserspiegel einfach unterzugehen. „Wir sind die, die am wenigsten für den Klimawandel können, aber am meisten unter ihm leiden“, schloss er seine Ansprache.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Am Rande des Gipfels. 7. Journalisten brauchen Ellenbogen Dass man mit einem netten Lächeln allein nicht weit kommt, habe ich schnell gemerkt. Nach der Podiumsdiskussion mit Angela Merkel und Dirk Niebel am ersten Gipfeltag, stürmten die Journalisten mit ihren Mikros und Kameras auf die Politiker los. Wer da nicht die Ellenbogen ausfuhr, wurde überrannt – O-Töne nur für die Hartnäckigen. Zwei Tage später habe ich von dieser Hartnäckigkeit profitiert: Ohne mein ausdauerndes Bitten und Nölen hätte ich wohl keine Eintrittskarte für die Pressetribüne während Obamas Rede bekommen. 8. Alle lieben Obama Zumindest kam mir das während seiner Rede so vor. Totenstill während er sprach, Begrüßungs-, Zwischen- und Abschlussapplaus, so wurde niemand bejubelt. Nach seiner Rede sprang ein Großteil der Politiker und der Journalisten auf und verließ unter großem Getöse den Saal. Japans Präsident, der danach sprach, verstand man noch nichtmal mehr durch die Mikrofonanlage.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wenn Obama spricht, wird es still im Saal. 9. Es gibt Politiker mit Rockstarstauts Das Warten auf einige Politiker glich dem Warten auf Rockstars. Wenn feststand, das ein ranghoher Politiker zu der und der Zeit da und da sein würde, stauten sich an diesem Ort schon lange vorher die Fotografen, Kameramänner und –frauen und Schreiberlinge. Große Aufregung als jener Politiker dann vor die Tür trat: Drängeln, Schubsen, Rufen. Nur die Autogrammkarten haben gefehlt. 10. Ich will Journalist werden Schließlich saß ich, total ermattet, aber glücklich im Flieger und ließ die sechs Tage noch mal Revue passieren. Das Beste, was ich in den Tagen erlebt habe? Das fällt mir schwer zu sagen: Als Journalistin in der UN, das Schreiben, die Prominenz, Obamas Auftritt? Ich weiß es nicht. Aber was ich, nicht zu letzt auch durch diese sechs Tage, ganz sicher weiß: Ich will Journalist werden. Ich will schreiben. Ich brauche nicht unbedingt die Kamera in der Hand, die die erste ist, die Dirk Niebel nach einer Podiumsdiskussion ein Statement abringt. Es sind die Geschichte dahinter, die mich interessieren.