Fast 100 Tage nach der Wahl gibt es in Österreich eine neue Regierung: eine Große Koalition aus der konservativen ÖVP und den Sozialdemokraten (SPÖ), bisher in der Opposition. Viele Ösis sind erleichtert über die Vereidigung des neuen SPÖ-Kanzlers Alfred Gusenbauer und seiner Kabinettstruppe. Schließlich bedeutet die Einsetzung der neuen Regierung das Ende eines monatelangen Hickhacks um mögliche Partei-Konstellationen und die endgültige Gewissheit: Österreich kann auch ohne rechte Parteien regiert werden.
Fanny Rasul geht trotzdem demonstrieren gegen „rot-schwarz“, sie ist die Pressesprecherin von „GrAS“ („Grüne alternative StudentInnen), die Mehrheitsfraktion (25,3 %) der Österreichischen Hochschülerschaft (entspricht dem ASta in Deutschland). Die 22-jährige studiert in Wien Politikwissenschaft und geht mit der vermeintlichen Wenderegierung hart ins Gericht.
stefan-biro
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[b]Fanny, ihr wolltet den Regierungswechsel, jetzt ist er da. Wo ist das Problem?[/b]
De facto haben wir jetzt eine Regierung mit rotem Bundeskanzler, sonst bleibt alles wie gehabt. Ich möchte das mal am Thema Studiengebühren festmachen: Seit 2001 haben wir in Österreich Studiengebühren von 363,36 Euro pro Semester, das hat uns die ÖVP damals eingebrockt. Die SPÖ hat sich als führende Oppositionspartei gegen diese Studiengebühren stark gemacht, weil sie nun einmal sozial ungerecht sind, was hinreichend belegt ist: Wegen der Studiengebühren ist der Prozentsatz von Arbeiterkindern an Universitäten im Vergleich zu dem von Akademiker-Kindern enorm zurückgegangen. Daher hat Gusenbauer die Abschaffung der Gebühren zum zentralen Anliegen seines Wahlkampfes gemacht, er hat versprochen, das zur Koalitionsbedingung zu machen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Illustration: Julia Schubert
Fanny Rasul (leider von hinten) mit Megaphon im Audimax der Uni Wien
[b]Jetzt ist Gusenbauer Kanzler. Was ist mit den Studiengebühren passiert?[/b]
Nichts ist passiert. Gusenbauer hat sich über den Tisch ziehen lassen. Die ÖVP tritt für die Studiengebühren ein, das ist allgemein bekannt. Da wäre es aus meiner Sicht ein logischer Schritt gewesen, hätte die SPÖ den Verhandlungstisch verlassen, sobald sie das schwarz auf weiß hatte. Das hat sie nicht getan. Was ich damit sagen möchte: Es hätte niemals zu dieser Regierung kommen dürfen. Nach sieben Jahre in der Opposition, in denen die SPÖ so sehr gewettert hat gegen diese neoliberale, menschenverachtende Politik, verkauft sie jetzt all ihre Ideale, nur um den Bundeskanzler zu stellen.
[b]Die SPÖ hat also ihr Wahlversprechen nicht eingehalten?[/b]
Ja, aber nicht nur das. Wahlversprechen zu brechen, das ist eine Sache, was uns aber noch viel mehr auf die Barrikaden treibt: Jetzt wird versucht, das Ganze so zu verkaufen, als ob die Studiengebühren doch abgeschafft würden, was schlichtweg gelogen ist. Richtig ist: Wer in Zukunft 60 Stunden pro Semester einen sozialen Dienst erledigt, bekommt die Studiengebühren zurückerstattet. Aber das ist Augenwischerei. Wenn man die 363.36 Euro Studiengebühr nämlich auf die 60 Stunden runterrechnet, entspricht das einem Stundenlohn von sechs Euro.
[b]Was heißt das?[/b]
Die Studenten werden vom Staat ausgebeutet. Außerdem ist bis heute nicht geklärt, was zum Beispiel im Krankheitsfall passiert, oder ob es für die Studenten eine Supervision gibt, etwa bei Jobs in der Sterbebegleitung, wie sie von der SPÖ vorgeschlagen wurden. Die Studenten werden regelrecht verhöhnt und sind zu Recht sauer.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Illustration: Julia Schubert
Spielte im Wahlkampf die soziale Karte: Neo-Bundeskanzler Gusenbauer
[b]Demnach müsste es fraktions-übergreifenden Protest gegen die Große Koalition geben. Tatsächlich tut sich aber vor allem GrAS hervor, die Studenten-Organisation der Grünen.[/b]
Das stimmt. Leider ist die Protestkultur der österreichischen Studenten nicht sonderlich stark ausgereift. Wir haben zum Beispiel seit Montag die Parteizentrale der SPÖ besetzt, einfach, um mal ein Zeichen zu setzen. Diese Besetzung findet leider kaum Zuspruch bei den anderen Fraktionen, was uns ein bisschen traurig macht. Für die ist die Hochschülerschaft halt mehr ein Service für Studenten und kein Instrument, um Druck auf die Politik auszuüben.
[b]Was habt ihr noch vor?[/b]
Wir sind jetzt an die 150 Studenten und setzen alles daran, noch eine letzte Nacht in der SPÖ-Zentrale durchmachen. Anschließend werden wir geschlossen zum Ballhausplatz ziehen, wo die Regierung vereidigt wird. Dort ist eine große Demo angesagt, zu der sich auch die anderen Studenten-Fraktionen angekündigt haben. Gemeinsam werden wir dann dafür sorgen, dass die Regierung Gusenbauer einen ähnlichen Spießrutenlauf erlebt, wie ihn die Regierung Schüssel 2000 erlebt hat, als sie entgegen ihrer Versprechungen mit der rechtspolitischen FPÖ von Jörg Haider paktiert hat.
[i]Fotos: privat, reuters[/i]