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Frustrierend oder super? Über die Arbeit von UN-Jugenddelegierten
Die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. und das Deutsche Nationalkomitee für internationale Jugendarbeit organisieren seit 2005 die Auswahl der beiden Jugenddelegierten für die Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York. Dort vertreten sie die Interessen der deutschen Jugend und dürfen die Delegierten der 192 UN-Mitgliedstaaten in einer Rede direkt ansprechen. Wer mitmacht muss zwischen 18 und 25 Jahren alt sein und kann sich auf eine Auszeit von Schule oder Studium einstellen. Denn zur Vorbereitung auf die Generalversammlung gehen die beiden Delegierten fünf Monate lang auf eine Deutschlandtour, während der sie mit Jugendlichen über Themen wie Armut, Bildung oder Beschäftigung sprechen. Ziel ist es, den "Ansichten Jugendlicher aus Deutschland auf internationalem Parkett Gehör zu verschaffen". So sagt es Jan Munz, der im Jahr 2006 Jugenddelegierter war. Er sprach während seines Aufenthaltes in New York auch mit jetzt.de-Mitarbeiter Sebastian Klein über die Wirkung, die die Arbeit hat: "Man muss das realistisch sehen", sagte Jan, "hier gehen die Dinge schon sehr, sehr langsam voran – aber man kann trotzdem was bewegen. Wichtig ist nicht so sehr, wie viel sich der Stein bewegt, sondern dass er sich bewegt." Jans Kollegin Christina sprach im vergangenen Jahr mit der Süddeutschen Zeitung über ihre Aufgabe. Hier Auszüge aus dem Interview. Mehr als 60 Prozent aller Jugendlichen interessieren sich nicht für Politik; das ist ein Ergebnis der neuen Shell-Studie. Wie ist das, wenn man durchs Land fährt und kaum einer hört zu, Frau Apel? Apel: Das habe ich völlig anders erlebt! Zusammen mit Jan habe ich in 16 Städten bundesweit mit Jugendlichen diskutiert. Ich habe damit gerechnet, dass wir auf viele treffen, die sagen: „Was wollt ihr? Da hab ich keinen Bock drauf!” War nicht so. Und da wir grad bei Vorurteilen sind: Die Hauptschüler haben oft ebenso aktiv mitdiskutiert wie die Politikstudenten. Und sie haben gleich gesagt: „Uns geht es ziemlich gut in Deutschland. Sprecht auch für die armen Länder, nicht nur für uns.” Was bewegt die Jugendlichen in Deutschland am meisten? Apel: Beschäftigung, ganz klar. Alle wollen eine Perspektive haben. Sie möchten einen Arbeitsplatz in Aussicht haben, auf eigenen Füßen stehen. [...] Richtig ernst scheint die Bundesregierung Jugenddelegierte nicht zu nehmen. Seit 30 Jahren fordern die UN Staaten auf, Jugendliche zu schicken; erst seit 2005 sind deutsche Vertreter dabei. Apel: Vielleicht hat keiner richtig verstanden, was für eine Chance darin liegt. Lange hat da auch keiner davon gewusst. Berliner Studenten haben die Bundesregierung darauf aufmerksam gemacht. International ist das keine Ausnahme: Von 192 Staaten haben 2005 nur 30 Jugenddelegierte geschickt. Das ist schon traurig. Anders als andere Jugenddelegierte dürfen die deutschen Vertreter nicht vor der Vollversammlung sprechen. Apel: Ja, leider. Monatelang haben wir dafür gekämpft. Die Bundesregierung will wohl vorsichtig einsteigen, das Programm läuft ja erst im zweiten Jahr. Wir hoffen aber, dass unsere Nachfolger eine Rede halten dürfen (Anmerkung der Redaktion: Im Jahr 2007 durften die deutschen Delegierten reden. Hier der Link zur Rede). Natürlich ist es imposant, wenn – wie im vergangenen Jahr – die schwedische Jugendministerin das Mikro in der Vollversammlung an die Jugenddelegierte übergibt. Aber was sind die paar Minuten gegen drei Wochen auf den Gängen des UN-Gebäudes? Auf den Fluren passiert sowieso das Wesentliche. Wie pirscht man sich eigentlich an Diplomaten heran? Apel: Gucken, was ein guter Moment ist und dann nix wie hin. Wir haben uns in der vergangenen Woche mit Jugenddelegierten anderer Länder in Oslo getroffen, um auch darüber zu sprechen. Als heißer Tipp wurde der Weg zur Caféteria gehandelt. Am besten ist es, wenn man es schafft, einen festen Termin mit einem Diplomaten zu bekommen. Das ist aber schwierig. Niemals sollte man sie direkt nach ihrem Statement vor der Vollversammlung ansprechen, da haben sie andere Dinge im Kopf. Aber sie vor der Tür abpassen, das geht schon. [...] Kann man Botschafter nicht anrufen für Termine? Wäre doch einfacher. Apel: Den deutschen UN-Botschafter Thomas Matussek haben wir natürlich angeschrieben, und er hat uns eingeladen. Wer sonst noch wichtig für uns ist, erfahren wir erst aus den Vorträgen in der Vollversammlung. Wir sehen das realistisch: Das Thema Jugend läuft bei den UN so nebenher. Viele dort wissen nicht, dass es uns gibt. Andere sehen keinen Sinn darin. Dabei machen Kinder und Jugendliche die Hälfte der Weltbevölkerung aus. Man muss auch nerven können und darf nicht frustriert sein, wenn man von einem Diplomaten dreimal einen Korb bekommt. Wie wird man Jugenddelegierte? Apel: Praxis in der Jugendarbeit, Interesse an den UN und fließend Englisch sind Pflicht. Seitdem ich 17 bin, organisiere ich Jugendfreizeiten und bilde Jugendleiter aus. Im vergangenen Jahr war ich auch schon bei der Unesco-Jugendkonferenz in Paris. Am Ende waren 60 Bewerber in der engeren Auswahl. In Berlin gab es ein Assessment-Center: Getestet wurde, ob wir andere überzeugen können, eine Psychologin hat uns interviewt, und es gab Rollenspiele. Eine Aufgabe hieß: Du siehst einen Diplomaten und willst ihn ansprechen. Wie machst du das?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Christina mit dem einstigen UN-Generalsekretär Kofi Annan. Marah und Jonathan, die UN-Delegierten des Jahres 2007 trafen auf den neuen Generalsekretär Ban Ki-Moon. Mehr dazu hier. Wie sprechen Sie Kofi Annan an? Apel: Mr. Secretary General. Kofi Annan habe ich mit Jan schon bei einer UN-Veranstaltung in Bonn getroffen. Toller Mann! Charismatisch, überlegt, fester Händedruck. Unsere Zielpersonen sind aber die Diplomaten in den Ausschüssen. Bekommen Sie als Jugenddelegierte eigentlich ein Gehalt? Apel: Davon träume ich! Nein, es ist eine ehrenamtliche Funktion für ein Jahr. Alle Kosten, etwa die Fahrt nach New York, werden übernommen. Da wir aber 40 bis 50 Stunden pro Woche arbeiten, können wir nichts mehr nebenher verdienen. Ich habe versucht, Sponsoren zu finden, aber da bin ich gegen geschlossene Türen gerannt. Die Firmen sehen da keinen wirtschaftlichen Nutzen drin. Hanna Labonté, die 2005 Jugenddelegierte war, hat im Online-Tagebuch geschrieben: „Oft fragte ich mich, ob es irgendetwas ändert, dass ich in New York bin.” Ist alles doch nur ein Planspiel? Apel: Der Stein rollt verdammt langsam, und je höher man auf der internationalen Ebene kommt, desto langsamer rollt er. Aber immerhin bewegt er sich, und ich will die Möglichkeit nutzen, ihn weiter anzuschieben. Auf der nächsten Seite liest du, was Jonathan, einer der beiden Delegierten im Jahr 2007 in sein Tagebuch schrieb, als er gerade aus New York zurück kam. Er beschreibt in dem Eintrag auch nochmal das Bewerbungsverfahren um den Job als Jugenddelegierter.
Jet Lag in Berlin! Luftholen für die nächste Etappe … Berlin, Donnerstag, 01. November 07: Nach zwei Tagen zurück in Deutschland sitze ich in meinem WG-Zimmer in Berlin noch immer voller Gedanken und Erinnerungen an New York. So lange erschienen die 3 1/2 Wochen, so kurz waren sie im Endeffekt. Nach 10 Stunden Schlaf zähle ich mich wieder zu den Lebenden und konnte die ersten Geschichten bei unserem Jugenddelegierten-Team heraus plaudern. Nicht nur die unglaublichen Erfahrungen und die tollen Leute, die wir in New York getroffen haben, bewegen mich, sondern die vielen Fragen und Ideen für die Zukunft lassen mich nicht in Ruhe: Wie können wir tausende Jugendliche in Deutschland dazu motivieren sich für diesen Traumjob zu bewerben? Was passiert mit der Resolution? Wie geht es weiter? Wie können wir die Energie der Jugenddelegierten aus allen Ländern am Laufen halten? Wie und wo können wir die Millennium Entwicklungsziele in der Jugendarbeit weiter fördern? Die Ausschreibung dürfte inzwischen in allen Kanälen gelandet sein! Wie schaffen wir es aber tausende Jugendliche zu bewegen sich zu bewerben? Ich kann mich noch selbst gut erinnern, wie ich im letzten Jahr vor der Bewerbung stand. Ufff, ein ganz schönes Stück Arbeit wird verlangt. Auf der anderen Seite erschien die Aufgabe als die Herausforderung meines Lebens. Mit gutem Gewissen kann ich sagen, dass dies Realität wurde und noch weit untertrieben ist! Ein bisschen Mut gehört dazu, aber niemand sollte sich abschrecken lassen! Sonst hätten wohl auch Marah und ich niemals eine Rede vor der UNO-Generalversammlung gehalten! Im Endeffekt ist es gar nicht so schwer: Du musst dich vor allem selbst vorstellen! Zeig wie du dich engagieren kannst, welche Energie und Freude du für den Job mitbringst und wie du dich kritisch und überlegt mit den Inhalten auseinander setzen kannst! Ansonsten steht uns jetzt jede Menge Arbeit bevor: Berichte schreiben und in ganz Deutschland von unseren Erfahrungen und Ergebnissen berichten, die Verhandlungen in New York weiterhin mitverfolgen, Jugenddelegierten-Programm in anderen Ländern unterstützen, insbesondere in Entwicklungsländern, und die Kommunikation mit den anderen Jugenddelegierten weiterführen. Selbstverständlich berichten wir euch hier stets über alle Aktivitäten. Jonathan"
Text: yvonne-gamringer - Foto: privat