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Wahlkolumne (Folge 9): Das Idol

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Eines meiner ersten Interviews führte ich mit den Kaiser Chiefs. Ich war noch sehr jung und die Band weit entfernt von ihrem Mallorca-Hit „Ruby“. Die Typen aus Leeds gehörten zu diesem Zeitpunkt zu meinen absoluten Lieblings-Anschmacht-Künstlern, dementsprechend rotwangig wartete ich auf einer verschlissenen Couch in der Münchner Muffathalle. Leider lief das Interview völlig aus dem Ruder, Ricky Wilson war ein echtes Arschloch. Ich verließ den Backstage-Raum total niedergeschlagen und formte einen wichtigen Grundsatz für meine berufliche Zukunft: „Never meet your idols!“
 
Was das mit dieser Kolumne zu tun hat? Nun, auch Gesche Joost bewundere ich sehr. Das ist die superschlaue Kommunikations-Professorin aus Peer Steinbrücks Wahlkampfteam, der jetzt schon angedichtet wird, sie könnte die erste deutsche „Internetministerin“ werden. Sie ist 38, kümmert sich um Netzpolitik und kennt sich in digitalen Gefilden tatsächlich aus, obwohl sie aus der Design-Ecke kommt. Sie war mit 33 schon Professorin und erforscht zum Beispiel, warum Bohrmaschinen nicht pink sind. Würde sie auch noch singen, wäre sie in einer Liga mit Amanda Palmer. Als ich die Chance bekam, für meine Suche nach der Wahlentscheidung einen Tag mit ihr zu verbringen, wollte ich deshalb erstmal ablehnen. Zu groß die Wahrscheinlichkeit, dass auch hier mein Bewunderungsluftschloss zerstört wird. Außerdem ist sie bestimmt vor allem aus einem Grund in Steinbrücks Team: um Leute wie mich zu beeindrucken, junge Frauen, für die das Internet kein Neuland ist. Auf so einen durchschaubaren Move will ich nicht hereinfallen. Andererseits: So nah werde ich nie wieder an sie rankommen. Also treffe ich mich mit ihr und ihrem Tross vor dem Hauptgebäude der SZ. Gleich wird sie eine Blattkritik für die Kollegen aus dem Politik-Ressort und dem Feuilleton halten.
 
Als Gesche Joost aus dem Taxi steigt, hat sie schon gewonnen, ohne dass ich genau weiß, warum. Sie ist entspannt und kokettiert nicht mit ihrer Aufgabe. Wenn sie lacht, lacht das ganze Gesicht. Hätte sie keine Ohren, würde sie im Kreis lachen. Wir unterhalten uns kurz über Ursula von der Leyen, die eben auf der DLDwoman, einer der wichtigsten Frauenkonferenzen weltweit, gesprochen hat. Und finden beide: Die hat so penetrant viel Energie, dass man schon vom Hinschauen erschöpft ist. Eigentlich würde ich mit Frau Joost jetzt lieber einen Kaffee trinken gehen. Aber erst referiert sie über ihre netzpolitischen Ansichten.
 
Das Treffen mit ihr gestaltet sich nicht annähernd so wie das Drama mit Ricky Wilson. Nach dem gemeinsamen Mittagessen (Spinatnockerln) hat sie immer noch nichts gesagt, wofür ich sie nicht mögen würde. Ihre Meinung zu NSA (unmöglich), aktueller Netzpolitik (total veraltet) und darüber, wie viel Vorwissen die Bürger in Sachen Datenschutz mitbringen sollten (bitte verständlicher erklären) entspricht meiner. Also reiße ich mich am Riemen: Die macht Politik, die ist ein Menschenfänger. Die hat Rhetorik-Seminare besucht! Fall nicht drauf rein, Loetzner! Sei mal negativ voreingenommen! Aber mein Misstrauen bekommt keine Chance.
 
Nächster Programmpunkt auf Joosts Terminkalender: Mit einem Vertreter der Telekom über den deutschen Internet-Ausbau sprechen. Ja, es gibt tatsächlich in Deutschland noch ganze Dörfer, die nicht am Netz sind. Unvorstellbar, oder? Eigentlich hätten noch mehr Experten kommen sollen, aber der Tagungsraum in der SPD-Geschäftsstelle bleibt weitgehend leer. Super, wie man sich hier in München für Netzpolitik interessiert. Komischerweise bin ich enttäuschter als Frau Joost. Die diskutiert freundlich ohne affige Seitenhiebe über die Finanzierung des Internet-Ausbaus. Der ist der Telekom mit 80 Milliarden Euro nämlich zu teuer, deshalb hat sich die Arbeitsgruppe um Frau Joost ein eigenes Finanzierungsmodell ausgedacht: Bürgerfonds – mit einem Zinssatz von 2,5 Prozent. Für alle Laien-Anleger da draußen: Das ist ein Hammerzins im Moment, das sollte man unbedingt machen, egal ob damit der Internetausbau oder Autobahn-Krötentunnel finanziert werden.
 
Ich finde immer noch nichts zu meckern. Schlimmer: Ich bin noch beeindruckter als vorher. Sie nimmt alles sehr ernst und sucht Lösungsvorschläge. Ihre unaufdringliche Art unterscheidet sie massiv von anderen Politikern und deren Gockel-Gehabe. Vielleicht sollte die SPD mal anfangen, sie auf Wahlplakate zu drucken. Angeblich darf Peer Steinbrück ja eh nicht mehr von denen runterlächeln, weil er zu unsympathisch ist. Das könnte der Partei helfen. Von so jemand fühle ich mich nämlich angemessen vertreten.
 
Ob sie wohl damals auch die Kaiser Chiefs gehört hat?

Text: michele-loetzner - Illustration: katharina-bitzl

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