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Wahlkolumne (Folge 11): Ungültig wählen aus Protest?
Vor vielen Wochen hatte ich eine seltsame Begegnung: Ich war mit einem Freund verabredet, nach drei Kneipen trafen wir einen Kollegen von ihm, beide promovieren in Philosophie. Wir waren zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich in Schräglage. Bei Bar-Etappe vier oder fünf erzählte ich von dieser Kolumne. Der Nachzügler-Kollege schielte mich an, knallte sein Schnapsglas auf den Tresen und erläuterte mir sowie allen drumherum, dass er seit Jahren ungültig wähle. Aus Protest. Cheers!
Meine Nachfragen prallten an ihm ab, er versuchte seinen Standpunkt zwar philosophisch zu erklären, aber irgendwie funzte das nicht mehr richtig. Nicht, dass ich promillemäßig ein besseres Publikum gewesen wäre. Was ich aber noch weiß: Auf dem Weg nach Hause dachte ich mir: „Wie bescheuert ist das denn? Als ob dieser Protest irgendwen interessiert. Dann kann man auch gleich daheim bleiben.“ Aber ist das wirklich so?
Kurz zu den Fakten: Wann ist ein Stimmzettel überhaupt ungültig? Das Wahllexikon sagt: Wenn mehr Stimmen abgegeben werden als erlaubt sind. Wenn der Stimmzettel durchgestrichen ist. Oder wenn man seinen Namen und seine Telefonnummer draufschreibt. Das Wahlrecht sagt aber außerdem: Ungültige Stimmzettel haben keinen Einfluss auf das Wahlergebnis. Es gibt nur einen Ausnahmefall, nämlich im Berliner Abgeordnetenhaus. Da werden alle Stimmzettel benutzt, um die Fünf-Prozent-Hürde zu errechnen, egal ob gültig oder ungültig. So können ungültige Stimmzettel das Zünglein an der Waage sein, ob eine Partei einzieht oder nicht. Das aber nur am Rande. Wer also glaubt, damit seinem Protest gegen die aktuelle Parteienlage öffentlich Ausdruck zu verleihen, irrt. Und zwar komplett.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Am 22. September ist Bundestagswahl. Bis dahin ist unsere Autorin auf der Suche nach einer vernünftigen Entscheidung. Gar nicht so leicht.
Trotzdem gibt es ein paar Star-Wahlboykotteure, die in Talkshows und Printmedien krawallig propagieren, dass sie ungültig wählen. Der Soziologe Harald Welzer zum Beispiel. Er behauptet in einem Spiegel-Essay: „Allein der Entzug der Zustimmung nötigt die Parteien, sich ihrem Legitimationsverlust zu stellen und sich daran zu erinnern, wer in der Demokratie der Souverän ist.“ Äh, nein. Denn der Zettel landet im Papierkorb. Es wird sich wohl kaum ein Politiker denken: „Oh, die Ungültigwähler haben mich nicht lieb, daran muss ich was ändern!“
Wie viele Menschen ungültig gewählt haben, wird ja auch in keiner Fernsehsendung am Wahlabend genannt oder überhaupt irgendwo thematisiert. Einzig die Höhe der Wahlbeteiligung gilt als Richtwert für das Interesse der Bevölkerung. Und auch da ist nicht zu unterscheiden, ob das ein Protest ist oder ob die Leute schlicht zu faul sind, um sonntags zur Urne zu marschieren. Außerdem: Frau Merkel ist es grad recht, wenn Leute nicht zum Wählen gehen oder ungültig abstimmen. Dann bleibt nämlich sicher alles so wie es ist. Historisch betrachtet wählen die Deutschen nämlich nur dann die SPD oder kleinere Parteien, wenn es echte Aufregerthemen gibt. Man erinnere sich: Gerhard Schröder hat 2002 vor allem deshalb eine zweite Amtszeit bekommen, weil er den USA die Zustimmung zum Irak-Krieg verweigerte. Da hatten die Leute nämlich Angst und Gerd haute werbewirksam auf den Tisch. Im Moment aber scheint im europäischen Vergleich bei uns alles bene. Griechenland, Spanien, Italien... Mann, geht's uns gut!
Man könnte sich den Gang zur Urne also sparen, wenn man ungültig wählen will. Eigentlich. Vor ein paar Monaten war ich davon überzeugt, dass ich immer wählen gehen werde, im Moment bin ich mir da nicht mehr so sicher. Je mehr ich mich mit Politik beschäftigt habe, desto klarer wird mir, dass Schwarz und Rot kaum voneinander zu unterscheiden sind und dass meine Stimme bei kleinen Parteien möglicherweise verschenkt ist. Wie sollen die denn gegen die zwei wasserköpfigen Platzhirsche ankommen? Meine Entscheidung von Personen abhängig zu machen, halte ich ebenso für falsch.
Ich würde meinem Groll gegen die Konturenlosigkeit von SPD und CDU auch gerne Ausdruck verleihen und ich verstehe meine Alkoholbekanntschaft, dass er diesen Weg nimmt. Vielleicht ist das so ein Philosophen-Ding, zu glauben, dass auch der kleinste Protest einen Unterschied macht. Irgendwo muss man ja mal anfangen. Vielleicht probier ich's doch mal mit den kleinen Parteien. Dann macht wenigstens die Opposition ein bisschen Krawall im Bundestag.
Text: michele-loetzner - Illustration: katharina-bitzl