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Ein Abschied
Ich liebe die Straße, in der ich seit acht Jahren wohne. Sie ist kurz, hat aber eine lange Geschichte. Typisch Berlin. Hier befindet sich zum Beispiel das älteste Uni-Gebäude der Stadt. Schräg gegenüber von meinem Wohnhaus ist heute das Forschungsministerium. Zu DDR-Zeiten war dort die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland. An einem Tag der offenen Tür war ich mal drin. In einer Ausstellung wurde gezeigt, dass in meiner Straße auch der Musiker Wolf Biermann wohnte. Alle seine Nachbarn waren bei der Stasi. Wie behütet. Bei einer Vernissage traf ich Biermann mal persönlich. Er spielte Musik auf eine Art, wie sie ausgestorben ist: Gitarre zupfend im Stil eines Liedermachers. Etwas beschwipst (und daher mutig) vom kostenlosen Wein sprach ich ihn an und erzählte ihm begeistert, dass ich heute in der Hannoverschen Straße wohnen würde. So wie er damals in der DDR. Da meinte er trocken zu mir: „Eigentlich lebte ich in der Chausseestraße 131, um die Ecke." Nichts ist so wie es scheint.
Als ich 2004 nach Mitte zog, gab es dort ein spanisches Restaurant. Es hörte auf den schönen Namen „Bar-Celona". Da ich für Wortspiele jeder Qualitätsstufe leicht empfänglich bin, hatte der Laden gleich meine ganze Sympathie. Außerdem schmeckte das Essen. Als Gewohnheitstier teilte ich mir meistens einen Meeresfrüchte-Vorspeisenteller für 2 Personen mit meiner Frau. Mini-Octupusse, Krebsfleisch und Muscheln. Dazu noch Tapas wie Datteln im Speckmantel oder Patatas Bravas. Die Bar-Celona war gleich nebenan und oft eine Anlaufstelle, wenn ich keine Lust hatte zu kochen, aber auch nicht aufwendig ausgehen wollte zum Essen. Ich war nicht jede Woche da, aber schon so einmal im Monat. Das Restaurant hatte einen festen Platz. Ohne Reservierung.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Wirtin war das, was man eine gute Gastgeberin nennt: Offen, warmherzig und immer um das Wohl ihrer Gäste besorgt. Wenn ich morgens zur Arbeit fuhr, wischte sie draußen die Tische ab. Man sagte sich guten Morgen und ab und an hielt man ein Schwätzchen. Ich mag das. Denn ich lebe in einer großen Stadt, in der alle an einem vorbeihetzen. Für mich war das eine Insel des Persönlichen. Der Nicht-Anonymität im Meer der Gesichter einer Großstadt. Als ich noch rauchte, traf man sich draußen vor der Tür. Ich als Gast, sie als Wirtin. Da erzählte sie mir Geschichten aus der Anfangszeit, als Ost-Berlin noch grau war. Oder braun. Einmal wurde das Restaurant von Skinheads überfallen. Sie war der erste Spanier im Osten und daher eine Zielscheibe des Hasses für Leute ohne Haare und Hirn. Nach dem verlorenen EM-Finale gegen Spanien 2008 ging ich am Restaurant vorbei, Die Iberer feierten den Sieg. Sie sahen meine Enttäuschung und luden mich zu einem Bier ein. Wir tranken und sie waren nicht hämisch, sondern litten auch ein bisschen mit mir. Da konnte ich Spanien den Titel erst richtig gönnen.
Gestern ging ich am Bar-Celona vorbei. Es war zu meiner Überraschung geschlossen. Im Fenster klebte ein Abschiedsbrief der Wirtin, der mich wirklich berührte. Ich war irgendwie traurig. Das Restaurant war ein wichtiger unwichtiger Teil meines Lebens gewesen. Tagelang hatte ich überlegt, wie ich einen würdigen Abschluss für diese Kolumne finden könnte. Da war er. In ihren Worten steckte so viel von dem, was ich am Ende auch sagen wollte: Neben Melancholie auch Freude. Spannung. Erwartung. Beim Lesen der Zeilen wurde mir wieder klar: Wir nehmen immer etwas in uns mit – auch wenn es nicht bleibt. Eben der ewige Dreiklang des Lebens: Etwas geht, etwas kommt, etwas bleibt.
Auf der nächsten Seite kannst du den Brief der Wirtin lesen.
Liebe Freunde, liebe Nachbarn, verehrte Gäste – i Queridos todos!
Mit diesen Zeilen möchte ich nach 18 Jahren die Geschichte meines Restaurants „Bar-Celona" beschließen und mich aus Mitte verabschieden. Familiäre Gründe haben zu diesem Schritt geführt, aber auch der Wunsch nach persönlicher Veränderung.
Als ich Berlin noch vor dem Mauerfall durch meinen Bruder Chema Alvargonzalez (1960 – 2009) entdeckte, sah ich die Stadt, allen Verfalls zum Trotz, mit einer großen Liebe. Mein Bruder lebte hier bereits als bildender Künstler und öffnete mir die Augen für die Eigenart und auch Schönheit dieses Ortes und seiner Menschen. Und da ich mir wünschte, hier zu leben, beschloss ich, ein spanisches Restaurant zu eröffnen. Es wurde das erste seiner Art im Ostteil Berlins.
Die Straße war holprig und unbeleuchtet, das Quartier noch unsaniert, als ich im Mai 1994 den Betrieb aufnahm. Es war Winter, die Räume des Restaurants wurden noch mit Öfen beheizt, die nicht immer richtig funktionierten. So kam es auch, dass eines Abends unsere Gäste und die Flamenco-Tänzer von Ruß und Asche übersät wurden. Die Gäste trugen es mit Fassung, die Tänzer tanzten weiter. So wie sich Berlin langsam und gegen alle Widerstände als Metropole reetablierte.
Englisch oder spanisch waren jedoch im östlichen Teil der Stadt als Fremdsprachen kaum geläufig. Ich musste Deutsch lernen, und zwar möglichst schnell und nebenbei. Mitunter kam es zu komischen Verwechslungen. Mal wurde bei mir eine Dorade als „Goldfisch spanischer Art" mal ein Erdbeer-Sorbet als „Erbsen"-Sorbet tituliert. Die Gäste staunten, kamen aber trotzdem gerne wieder. Sie kamen zahlreich und von überall her – Künstler, Studenten, Schauspieler, Schriftsteller, Film- und Theaterleute, Geistliche, Abgeordnete, Hochschullehrer, Mediziner – ein Beweis dafür, dass spanische Küche hierzulande sehr beliebt ist.
Von Zeit zu Zeit gaben sich auch ungewöhnliche Gäste ein Stelldichein. So zum Beispiel ein der Charité entflohener Patient, welcher splitternackt, nur angetan mit Schläuchen und verfolgt von Pflege-Personal, die Hannoversche Straße hinuntereilte und, zum Staunen aller Speisenden, ins Restaurant einfiel, wo er, um seine Blöße zu bedecken, ein Tischtuch griff, bevor er atemlos weiterlief.
Atemlos beschleunigt hat sich auch das Tempo von Berlin-Mitte. Alles weicht, Neues entsteht, Menschen kommen und gehen, alles ist immerzu in Bewegung. Das Restaurant „Bar Celona" war 18 Jahre Teil dieses Geschehens. Nie zuvor habe ich so lange an einem Ort gelebt. Als kürzlich unvermittelt die Küchen-Uhr von der Wand fiel, schien mir dies wie ein Symbol dafür, dass es Zeit ist zu gehen.
Schön und aufregend ist es gewesen. Ich war sehr gerne hier und möchte allen danken, die mir ihr Vertrauen geschenkt, die Treue gehalten haben, bei mir zu Gast gewesen sind. Ich freue mich auf ein Wiedersehen, wenn das Leben es so will. „Lo que sucede conviene" – was auch immer geschieht, es hat einen Sinn.
Adios
Maria del Pilar Alvargonzalez Ramos
Text: alf-frommer - Foto: zach / photocase.com