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Die Atombombe des kleinen Mannes
Heute Früh im Radio. Moderator Nummer eins fragt Moderator Nummer zwei ganz harmlos: „Wie heißt eine Frau, in die ich regelmäßig Geld einwerfen muss?" „Keine Ahnung." „Sarah Jessica Parkuhr."
Wo kommen solche Sprüche eigentlich her? Ich weiß es: Wenn man auf der Autobahn A13 von Berlin nach Dresden fährt, begegnen einem fröhlich winkende Spreewälder Gurken, lustige sorbische Ortschilder und an der Ausfahrt Nummer 12 das wunderschöne Städtchen Calau. Zu Calau habe ich eine besondere Verbindung, obwohl ich dort noch nie war. Der etwas abseits liegende Flecken in der Niederlausitz ist nämlich die Heimat des Kalauers. Ein Kalauer ist ein einfaches Wortspiel und, wie Wikipedia weiter ausführt, ein Witz, der „entweder mit Wörtern gleichen Klanges, aber ungleicher Schreibweise und Bedeutung, oder mit Wörtern von gleicher Schreibweise und verschiedener Bedeutung" gemacht wird. Unverschämterweise wird in dem gleichen Artikel der Kalauer auch als Flachwitz oder Plattwitz bezeichnet, da vom Kalauer-Reißer bewusst eine eher geringe Witzigkeit in Kauf genommen wird. Aber eigentlich auch ganz natürlich: So flach wie die Lausitz ist, kann und muss hier die Heimat des Flachwitzes vermutet werden.
Für feingeistige Intellektuelle – zu denen ich gottlob nicht gehöre – ist der Kalauer die Höchststrafe. Wenn man einen reißt, verdrehen wahre Dichter („Grass, Alder") und Denker nur die Augen. Das hat eben kein Niveau für Menschen mit einem gewissen Anspruch – an sich selbst und die Welt. Da ich mir irgendwann alle Ansprüche an mich und vor allem an unsere Welt abgewöhnt habe, kann ich von allen Fesseln des guten Geschmacks befreit kalauern so viel ich will. Das ist der innere Fips Asmussen in mir. Dieser weltberühmte norddeutsche Komiker war wahrscheinlich der größte Humorist (1,82 m) nach Loriot (1,65m). Leider ist Asmussen vollkommen verkannt und wird wie der Kalauer an sich in eine Schmuddelecke gesteckt. Dabei taucht solch ein Genie der Genies des intelligenten Humors, wie Loriot es war, höchstens in Nordkorea regelmäßig auf: die Witzfiguren hören da immer auf den schönen Namen Kim. Nicht Schmitz, sondern Jong-Un, Jong-Il und Il-Sung.
Meine Liebe für das Wortspiel fing schon früh an, weil mich Worte an sich so fasziniert haben. Worte verändern unsere Welt und haben eine immense Macht. Ohne Worte keine amerikanische Unabhängigkeitserklärung. Ohne Worte kein Faust von Goethe. Ohne Worte keine Bedienungsanleitungen für technische Geräte. Das ist doch, so möchte man meinen: ohne Worte. Oder eben mit. Worte erzeugen Emotionen: Sie bringen uns zum Weinen, manchmal langweilen sie uns oder im besten Fall lösen sie einen krampfartigen Lachanfall aus. Worte sind das Fundament, auf dem unserer Zusammenleben basiert, von der Heiligen Schrift bis zum Ehe-Vertrag. Ein Bild soll mehr sagen als 1000 Worte. Aber immer noch wird das einzelne Wort als Bezugsmenge benutzt, um den Wert der Aussagekraft darzustellen. Es sagt ja niemand: „Ein Bild sagt mehr als ein halbes Bild." Am Anfang und am Ende ist immer das Wort, der Satz, der Slogan. Worte zu verändern hat eine subversive Kraft: In der DDR wurde aus „Der Sozialismus siegt" einfach „Der Sozialismus siecht". Wenn ein richtiger Ossi das ausspricht, ist der Unterschied so fein wie die sprachliche Klinge eines Dissidenten. Einfacher konnte man eine Parteiparole nicht in die Realität transformieren und dabei trotzdem witzig sein. Gerade in unfreien Gesellschaften ist der Witz die Waffe des Unterdrückten. Der Kalauer die Atombombe des kleinen Mannes, die gesellschaftliche Sprengkraft besitzt. Faszinierend.
Als ich in der Werbung tätig war, überraschte es mich, wie verächtlich der Kalauer in der Branche betrachtet wurde. Und das im ältesten Bewerbe der Welt (haha), das die Menschen gefühlt von morgens bis abends mit Kalauern bombardiert. Da gibt es unter dem Motto „billige Jokes, billige Autos" einen Meatwagen. Ein großer, gar nicht blöder Einzelhandelselektroniker lebte jahrelang nur davon, in einer Tour zu kalauern und setzte dafür Komiker wie Olli Dietrich oder Mario Barth (Komiker?) ein. Mir aber wurde von den Kreativdirektoren immer gesagt, dass Kalauer „Ihhbähkacka" sind. „Ihhbähkacka" wäre ein prima Filmtitel für den nächsten Kinderfilm von Til Schweiger. Oder? Ich selbst finde einen guten Kalauer immer passend, wenn das Produkt es zulässt. Zum Beispiel Alltägliches wie Autoscheiben mit Steinschlag. Die bräuchten auch mal Werbung, die einen Schlag hat. Besser als das, was läuft, wäre es allemal. Außerdem gibt es keine witzige Werbung auf Loriot-Niveau, die ist immer Didi Hallervorden oder eben: unlustig.
Der passionierte Kalauer-Reißer ist von seinem eigenen Wortwitz immer total begeistert: Er glaubt stets, er wäre der erste, der auf dieses Wortspiel gekommen ist. Er freut sich aber nur so lange, bis er Twitter kennenlernt. Der Kurznachrichtendienst ist ein Tummelplatz für Menschen, die den Wortwitz lieben. Es gibt unglaubliche viele User, die Twitter nur für Kalauer und Artverwandtes nutzen. Twitter hat mich demütig gemacht: Hier erlebe ich, wie viele Menschen auf die gleichen Witze kommen, um sich über Guttenberg, Wulff oder anderes lustig zu machen. Man ist halt oft nur einer unter vielen Scherzbolden: zwei dumme Sprüche, ein Gedanke. Trotzdem begeistert mich die Kreativität von Hashtags wie #Guttbye, als damals der Baron zurücktreten musste. Oder die Wulff-Filme, eine einzige Aneinanderreihung an Wortspielen mit Filmtiteln. Das hat mich weiter darin bestärkt, den guten Kalauer immer einzusetzen, um die Herzen anderer Menschen zu erreichen. Nicht umsonst steht auf der „Best of"-Liste meiner Tweets ein Kalauer ganz oben. Dieser Tweet ist weitaus kürzer als 140 Zeichen: „StudiVZ – Friedhof der Gruscheltiere." Hat Fips Asmussen eigentlich auch einen Twitter-Account?
Text: alf-frommer - Foto: alf-frommer