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Rechte in Deutschland: Pegida, AfD, Neonazis
Alle reden über "die Rechten". Aber was ist heute eigentlich "rechts"? Und wann müssen wir etwas dagegen tun? Wir suchen in dieser Serie nach Antworten.
Früher war alles ganz einfach. An den Bushaltestellen, an denen wir abhingen, trug man Chucks oder Springerstiefel, lange oder keine Haare, Holzfällerhemd oder Bomberjacke. Man war links oder rechts. Sichtbar, bewusst, offen.
Heute ist das alles viel verwirrender. Zehntausende marschieren bei Pegida, Millionen wählen die AfD oder äußern sich fremdenfeindlich. Und nennen sich dabei besorgte Bürger, konservativ, patriotisch. Aber „rechts“? So nennt sich fast keiner. Sie seien doch keine „Nazis“, nur weil sie Angst um Deutschland haben, sagen sie. „Weil du Schiss vorm Schmusen hast, bist Du ein Faschist“, hieß es mal. Bei den linken Die Ärzte. Damals in den Neunzigern, als das noch einfacher war. Wie würde man heute so einen Song texten? Was ist das heute eigentlich – rechts und links? Sind diese Begriffe zu schwammig geworden? Ist das gefährlich? Und wo stehe ich eigentlich?
„Rechts“ und „links“ sind kaputt
Was sofort auffällt: Allein als Wort ist links viel salonfähiger als rechts. Es gibt sogar eine Partei, die heißt "Die Linke". Die sitzt mit 64 Abgeordneten im Bundestag. Es gibt auch eine Partei namens "Die Rechte". Deren Verantwortliche wurden neulich wegen Volksverhetzung angezeigt, nachdem sie Plakate mit dem Slogan „Wir hängen nicht nur Plakate" aufgehängt hatten. Kenner der Szene nennen ihre Mitglieder "militante Rechtsextreme“. Links und rechts scheinen keine sinnvollen Gegensätze mehr zu sein, oder doch?
Einer, der sich mit dieser vereinfachenden Einteilung der politischen Welt beschäftigt, ist der Soziologieprofessor Armin Nassehi von der LMU München. Er hat ein Buch darüber geschrieben, "Die letzte Stunde der Wahrheit". Ob er rechts oder links ist? "Keins von beidem. Diese Begriffe sind kaputt. Sie funktionieren nicht mehr.“
Nassehi findet: Links ist kaputt, weil viele von uns links reden, aber rechts leben. Also so tun, als gäbe es ein großes, gemeinsames Projekt, aber im Alltag doch egoistisch handeln und Vorurteile pflegen. Mahnen, den Klimawandel zu verhindern. Und doch viermal im Jahr ins Ausland fliegen. Integration predigen. Und die Kinder auf Privatschulen schicken.
Rechts ist kaputt, weil – bis auf einige wirre rechte Intellektuelle – sich heute fast niemand mehr selbst als "rechts" bezeichnet. Die "Neue Rechte“ nennt sich selbst nicht „rechts“, sondern nutzt vermeintlich neue Begriffe und Geschichten. Als „Identitär“ bezeichnen sich europäische rechte Parteien gerne. Als „patriotisch“ oder „konservativ“. Aber nie als „rechts“. Ihre Slogans aber heißen: Wir zuerst! Das Eigene bewahren! Das Fremde soll fremd bleiben! Diese Abgrenzungen sind für den Soziologen Nassehi uralt. „Es sind und bleiben alle diejenigen rechts, die sich Menschen nur als alternativlose Zugehörige zu einem Volk, Land oder einer Ethnie vorstellen können. Und die dieser Idee politisch alles unterordnen.“
Die rechte Bassline dröhnt so: Du bist, was deine Gruppe ist. Unsere Gruppe ist wichtiger als alle anderen. Wer nicht dazu gehört, hat weniger Rechte.
Für den Rechten ist der Ausschluss vom „Anderen“ also richtig und wichtig, weil nur dann die Gesellschaft angeblich funktioniert. Seine Moral befiehlt ihm daher das Bevorzugen des Eigenen. Deswegen ist Fremdenfeindlichkeit bei den "rechten" Parteien Europas quasi hochmoralisch. Und deshalb schalten die Rechten auf stur, wenn man ihnen mit Moral kommt.
"An Pegida kann man das beispielhaft erkennen", sagt Nassehi. "Zwischen uns und den anderen wird deutlich und asymmetrisch unterschieden." Wir sind die Deutschen, die anderen die Moslems. Wir sollten unter uns bleiben. Dann geht es allen besser. Die Menschen, die da mitlaufen, fühlen sich nicht als Fremdenfeinde. Sondern einfach auf der richtigen Seite.
Das klassische Rechts gibt es also heute noch, und es findet mehr Anhänger, je mehr seine Grundidee, "das Volk", das Wir, bedroht scheint. In Krisen hat das Rechte Konjunktur. Und Krisen, zumindest gefühlte, gäbe es ja genug: Europa, Flüchtlinge, Krieg und Terror. Aber es hat sich auch etwas geändert. Rechts ist nämlich heute nicht mehr so spießig, wie es mal war. Im Gegenteil.
Rebellion ist heute rechts
1789, Paris, französische Nationalversammlung. Die Delegierten der ersten europäischen Demokratie verteilen sich im Saal. Links sammeln sich die Revolutionäre, die für radikale Veränderung eintreten. Rechts diejenigen, die bewahren wollen, was ist. Also die sogenannte "Reaktion“. Seitdem wird das politische Spektrum von links nach rechts sortiert. Aber würde man heute die Seiten tauschen? Wo das zu Bewahrende links ist, und die Revolutionäre von rechts kommen?
Diese Story versuchen zumindest die heutigen Rechten zu erzählen: Ihr Feind ist das linke, "rot-grün-versiffte" Establishment, dem eine rechte Erneuerungsbewegung zur Rettung des bedrohten Vaterlandes entgegentritt. Rebellion ist heute rechts, sagen die Rechten. „Wir sind die Sex Pistols unserer Generation“, so drückt es zum Beispiel Markus Frohnmaier aus, Vorsitzender der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“. Und auch Armin Nassehi findet: „Heute sind es die Rechten, die die Gesellschaft umkrempeln wollen, also ein "linkes" Projekt vorantreiben. Dabei nutzen sie mitunter linksradikale Vokabeln, die man aus den 1970ern kennt. Daran ist nichts Konservatives, nichts Bewahrendes mehr.“ Im Gegenteil: Man leistet „Widerstand" gegen eine vielfältige Gesellschaft, die sich angeblich von ihrem Ursprung entfernt hat. Man ist vor allem gegen den sogenannten "Bevölkerungsumbau" durch Einwanderung. Und grundsätzlich gegen "das System".
Dieser Austausch von Motiven ist nichts Neues. Auch die Nation war einst ein linkes Konzept. Und gilt heute den Rechten als größter Wert. Deutschland soll wieder cool sein. Man soll stolz auf seine Heimat sein dürfen. Besonders die jungen Rechten fordern ein, „nicht mehr für die Verbrechen unserer Urgroßeltern“ haften zu müssen. Eine Ablehnung von Verantwortung für die Nazi-Verbrechen – das ist heute rechts. Und bedeutet die maximale Rebellion gegen ein Establishment, dessen „68er-Generation“ eine echte Auseinandersetzung mit dieser Schuld erst Jahrzehnte nach Kriegsende von seinen Eltern und Großeltern einfordern musste.
Dieses trotzige „Das man wird ja wohl noch sagen dürfen!“ lockt auch die Jugend. Früher hieß es: "Man muss in der Jugend links genug ansetzen, um im Alter nicht zu weit rechts rauszukommen." Heute, mit Umfrageergebnissen wie in Sachsen, wo 30 Prozent der Wählerstimmen unter 30 für die AfD prognostiziert werden, dreht sich das scheinbar um. Ist man als junger Mensch heute tendenziell eher rechts, weil rechts dagegen bedeutet?
„Diese Gegenbewegung hat nicht unbedingt etwas mit dem Alter zu tun“, sagt Nassehi. So fallen momentan alte, ehemals linke Intellektuelle wie Rüdiger Safranski oder Peter Slotterdijk mit Aussagen auf, die nicht explizit rechts sind, aber für Nassehi "in aller Undeutlichkeit und Andeutung die rechte Idee eines identitären Selbst ansprechen". Sinneswandel oder Opportunismus? "Wenn sie heute Systemkritik machen wollen, müssen sie die eher von rechts machen", sagt Nassehi. "Die revolutionäre Idee des Rechten geht durch alle Generationen." Der Rechtsflirt der Jugend mag militanter und plakativer sein. Jener der alten Männer jedoch wirkt mindestens ermutigend.
"In der Jugendkultur ist dieser Protest oft Event. Da geht es eher um Bomberjacken als um Politik“, so Nassehi. „Und auch Pegida lebt davon, dass junge, männlich dominierte Peer Groups die Faszination des Revolutionären erleben. Das gibt es auch von links.“ Der Soziologe weiß aus der Faschismustheorie: Ein bisschen rechts ist immer. In jeder Gesellschaft, zu allen Zeiten gibt es Menschen, die völkisch denken. Die sehen mal so, mal so aus. Heute gibt es auch Rechtsextreme in Baggypants. So wie die Glatzen in den Springerstiefeln ursprünglich mal linke Skinheads waren. Jugendkultur wandelt sich. Sonst wäre sie keine Jugendkultur. Aber die geistige Kultur, die wird eben maßgeblich von oben bestimmt. Nassehi findet: "Wenn Eliten diese Chiffren öffentlich verwenden und stark machen, dann werden Sätze sagbar, die vorher nicht sagbar waren. Und zwar nicht durch rohe Kerle der AfD. Sondern durch gebildete Leute in hübschen Worten. Das ist gefährlich."
Rechts sein, weil alle anderen links sind? Klingt verrückt. Passiert aber gerade. Wer in die Medien will, vielleicht sogar davon lebt, muss nur etwas gegen Flüchtlinge sagen. Und die Medien machen mit. Im Sommer waren 90 Prozent der populärsten Medienberichte über Flüchtlinge positiv konnotiert. Im Winter hatte sich das Verhältnis ins Gegenteil umgekehrt. Wie war das: In Krisen hat das Rechte Konjunktur?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Rechte ohne Heimat radikalisieren sich
Die gefühlte Dauerkrise, die momentan herrscht, wirkt sich aus. Ohne die "Flüchtlingskrise" würden wir vielleicht gar nicht mehr über die AfD und Pegida reden. Deren Zuspruch war vor einem Jahr drastisch zurückgegangen. Im Januar 2015 liefen nur noch einige Hundert mit, wollten nur ein paar Prozent die AfD wählen. Bis die Temperaturen stiegen und mit ihnen die Bilderflut von überfüllten Booten auf dem Mittelmeer, von gestürmten Grenzen in Südeuropa, von Zügen voller Verzweifelter, die in Deutschland einfuhren. Und von ratlosen Politikern, die scheinbar keine Ahnung hatten, was da auf uns zukam. Oder das maximal unbequeme Thema ignorierten, um sich im Minenfeld zwischen Mitmenschlichkeit und Realpolitik nicht den Mund zu verbrennen.
"Rechtes Denken wird plausibler, wenn die politischen Akteure gewisse Probleme nicht mehr adressieren“, sagt Nassehi. Wenn es keine Partei „rechts der CDU/CSU“ gibt, die CDU aber in die Mitte rutscht, fehlt ein Sammelbecken für rechte Tendenzen. Das treibt die Stoibers und Seehofers dieser Welt momentan um: Ressentiments können freier flottieren, weil sie keine politische Heimat mehr haben. Die etablierte Mitte sieht die Fremdenfeinde als Parias. Dabei vertreten sie mitunter Haltungen, die noch vor 20 Jahren gut in der CDU aufgehoben gewesen wären. Zum Beispiel, dass wir nur sehr wenigen Menschen Asyl gewähren sollten. Oder dass homosexuelle Paare nicht heiraten dürfen sollten. So etwas kann eine Demokratie locker ab. Aber wann wird das extrem, radikal, gefährlich? Wie grenzt sich das "Rechte" zum "Rechtsradikalen" ab?
Klar, Skinheads mit Baseballschlägern sind rechtsradikal. Und zum Glück eine sehr, sehr kleine Minderheit. Gefährlich wird es am Rand des vermeintlich noch Akzeptablen, an der Grenze zum Radikalen. Meistens wird diese Grenze entlang bestimmter Äußerungen oder Personen diskutiert. Momentan ist es etwa der thüringische AfD-Landesvorsitzender Björn Höcke, der mit seinen pathetischen Reden vom bedrohten Volk der Deutschen alle Voraussetzungen für das Amt des bösen rechtsradikalen Schreckgespenstes erfüllt. Oder doch nur ein Großmaul ist?
"Der Begriff des Radikalen ist eigentlich ein juristischer gewesen", sagt Nassehi. In den 1970er Jahren unterschied man zwischen Linken und Linksradikalen, die das System umstürzen wollten, zur Not mit Gewalt. Die Übergänge waren und sind fließend. "Gefährlich wird es bei Gewaltbereitschaft und der Infragestellung der demokratischen Ordnung.“ Wenn Brandsätze fliegen, Menschen bedroht werden. Der Mann, der nach den Ausschreitungen in Clausnitz im Fernsehen behauptete, brennende Flüchtlingsheime seien eine Form der "direkten Demokratie", der also Gewalt als legitimes Medium des vermeintlichen Volkswillens ansieht, ist demnach ein Rechtsradikaler. Und kein "besorgter Bürger." Basta.
"Kritik an Universitäten, Kirchen und dem Parlamentarismus an sich, wie sie auch die AfD betreibt, kippt ins Radikale, wenn sie diese Institutionen grundsätzlich in Frage stellt", sagt Nassehi. Die "Lügenpresse"-Rufer, die allen Medien als vierter Gewalt pauschal jede Legitimation absprechen, sind demnach (rechts)radikal. Wer Politikern "eine Verschwörung gegen das deutsche Volk" unterstellt, sowieso. Auch wenn die AfD das zurückweist – mindestens im Osten, mit Figuren wie Björn Höcke, hat sie radikale Tendenzen. "Das ist ein guter Seismograf: Wenn eine Partei immer wieder zurückweisen muss, dass sie radikal ist, wenn sie Aussagen ihrer Mitglieder relativieren muss, zurückrudern muss, dann ist sie mindestens sehr nah dran", sagt Nassehi. "Offen rassistisch sind sie sowieso." Man sollte den radikalen Teil ihrer Funktionäre und Anhänger, die Brandstifter und ihre Verteidiger, also auch so nennen: Rechtsradikal.
Aber ich merke: Wir müssen dabei viel genauer hinschauen. Denn, wie Fabian Wichmann vom Neonazi-Aussteigerprogramm EXIT sagt: „Wer zu Unrecht mit dem Label rechtsextrem bezeichnet wird, wird sich diese Clubjacke früher oder später eben auch anziehen. Und man relativiert damit echte Neonazis.“ Da ist er, der hässlichste, strittigste Begriff dieses Themas: der Nazi. Auch den verwenden wir kaum bewusster als damals, als eine Glatze eben rechts und damit böse war. „Jeden, der ein Unbehagen hat in der jetzigen Situation, für rechts oder gar einen Nazi zu halten, ist ein riesengroßer Fehler“, sagt Armin Nassehi. Denn „Nazi“ ist die maximale Ausgrenzung. Und bestätigt die Rechten nur in ihrem kruden Weltbild, dass sich alle gegen sie verschworen haben.
Die Rechten sind nicht „das Volk“
Ausgrenzen, lächerlich machen, beschimpfen – das hilft null gegen rechtes Denken. Weil es seine Ursache nicht ernst nimmt. Stattdessen muss man sich, auch wenn es weh tut, konsequent in die rechte Denke hinein versetzen – um sie zu entlarven. Das fängt mit der Frage an, wie denn ein Deutschland ohne Migranten denn aussähe? Was wäre das für eine Gesellschaft? Klar: Sie wäre einerseits viel langweiliger. Andererseits, und das ist das wichtige, genauso voller Konflikte. Die Identitären tun so, als wäre ein kulturell homogeneres Deutschland ein Streichelzoo mit Vollbeschäftigung. Das ist aber Quatsch. Wo Menschen sind, gibt es Ärger. Vor allem, wenn die einen mehr Geld haben als die anderen. So lange wir reich und andere arm sind, wird nichts einfach so gut werden. Ein irgendwie „reines“ Musterdeutschland ist also nicht nur in einer globalisierten Welt unmöglich, sondern auch eine kindische Wunschvorstellung. Verlockend. Aber eben Humbug. Das kann man nur immer und immer wieder erklären.
Was ist rechts? Ich habe ein paar Sachen gelernt: Das mit recht und links ist zwar ein bisschen wie bei diesem onkeligen Spruch aus der Kindheit: „Rechts ist da, wo der Daumen links ist“. Jeder versteht etwas anderes unter rechts. Je nachdem, wo man steht. Aber es gibt ein definierbares rechtes Denken. Es hat momentan Zulauf, weil sich Menschen bedroht fühlen. Doch je weniger man den Rechten lässt, was sie vermeintlich beschützen müssen – Deutschland, Abendland, Schlaraffenland – desto weniger Anziehungskraft können sie entwickeln. Und je mehr man erklärt, dass einfache Lösungen nicht greifen, desto weniger Menschen glauben, dass so etwas Simples wie Grenzen ihr naives Wunder-Deutschland retten werden.
Und deshalb ist es paradoxerweise auch ziemlich wichtig, was eigentlich „deutsch“ ist. „Deutsch“, das ist vielleicht die eine Vokabel, die wir den „Rechten“ nicht überlassen dürfen. Denn es ist schlichtweg falsch, dass deutsch heute weiß ist, Müller und Schmidt heißt, Jesus mag, viel Schweinefleisch isst. Im Gegenteil: Deutsch ist heute eher links als rechts, ist multikulturell und multiethnisch und multisexuell und offen. Zum Glück.
Björn Höcke hingegen ist überhaupt nicht „deutsch“. Und schon gar nicht ist er „das Volk“. Da kann er noch so laut über ostdeutsche Marktplätze brüllen. Allein schon, weil es das eine deutsch nicht gibt. Und wenn, dann gehört einer wie Höcke eher nicht dazu. Rechts oder links, hin oder her – eins ist klar: Deutsch, das ist heute ganz selten Springerstiefel. Und viel eher Chucks und Holzfällerhemd.