Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Ich habe Deutschland viel zu verdanken"

Foto: privat

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Qendrim Bojaj ist acht, als seine Familie während des Kosovokrieges nach Deutschland flieht. 2001, nach dem Ende des Kriegs, musste er wieder zurück in seine Heimat. In seinem Land herrscht Frieden, auch weil Deutschland sich an dem Krieg 1999 beteiligt hat. Nicht nur deshalb verbindet ihn auch heute, mit 25 Jahren, noch viel mit Deutschland, wie er erzählt:

"Ich war acht Jahre alt, als meine Eltern sagten: Wir müssen hier weg. Mein kleiner Bruder war erst sechs. 1998 war das, und der Konflikt zwischen der serbischen Militärpolizei und der UCK, der „Kosovo-Befreiungsarmee“, war schon zu so etwas wie einem Bürgerkrieg geworden.

Obwohl ich damals noch ein Kind war, erinnere ich mich, dass die Leute wirklich Angst hatten. Eigentlich wollten alle nur weg, und meine Eltern waren froh dass sie die Chance zur Flucht hatten: Wir haben unser Auto vollgepackt und sind erst nach Montenegro und von da aus weiter nach Budapest gefahren. Da hat uns mein Onkel abgeholt und mitgenommen nach Göppingen, einer kleinen Stadt in Baden-Württemberg. Von der hatte ich vorher noch nie was gehört, aber mein Onkel war der erste aus unserer Familie, der nach Deutschland geflohen ist. Er ist durch Zufall in Göppingen gelandet, und wir dann auch.

Die ersten zwei Monate konnten wir bei ihm und seiner Familie wohnen. Mein Vater hat aber schnell eine Arbeit gefunden und deswegen konnten wir bald in unser eigenes Haus ziehen. Ich weiß noch, wie erleichtert meine Eltern damals waren. Wir waren sicher.

Ich kam in die Schule. Dritte Klasse, Grundschule. Das mit der Sprache ging schnell - Fernsehen, Schule, Freunde, alle haben ja einfach deutsch mit mir gesprochen. Ich kann es auch heute noch ganz gut.

Dieser Text ist Teil einer Kooperation mit dem WDR. In vier Dokumentationen zeigt der Sender Geschichte aus einem persönlichen Blickwinkel. Aus dem Blickwinkel von jungen Menschen. Denn Geschichte ist mehr als Fakten, Ereignisse und Epochen. Es geht um Menschen, ihr Leben und ihre Entscheidungen. Die Filme stellen die Frage: Was geht mich das an? Wie hätte mein Leben ausgesehen? Was hätte ich gemacht?

Ich hatte wirklich eine gute Zeit in Deutschland. Mein bester Freund hieß Sebastian, mit dem habe ich alles gemacht, was man halt so macht: Playstation zocken. Und Fußball spielen. Damals habe ich meine Leidenschaft für Fußball entdeckt. Ich werde nie vergessen, wie der FC Bayern München 1999 im Champions League Finale gegen Manchester verloren hat. In der letzten Minute hat Manchester United noch ein Tor geschossen! Wir sind alle vor dem Fernseher gesessen, die ganze Familie. Es war eines der krassesten Fußballspiele aller Zeiten. Seitdem bin ich Bayern-Fan. Ich bin sogar in einem albanischen Bayern-Fanclub hier im Kosovo. Allein schon deshalb habe ich Deutschland viel zu verdanken.

 

Fußball ist echt ein Ding hier im Kosovo. Seitdem der Kosovo in die UEFA und in die FIFA aufgenommen wurde, träumt so ziemlich jeder Junge hier von einer Karriere als Fußballstar in einem europäischen Land. Einer aus meiner Stadt spielt in der Schweiz, ein anderer in den USA. Aber ich bin dafür schon zu alt. Im Vergleich zu vielen anderen hier habe ich aber auch einen guten Job: Ich bin Manager in einem Restaurant.

 

Wenn ich den Job nicht hätte, dann wäre es wirklich schwieriger hier. Im Kosovo gibt es keine wirkliche Sozialhilfe, das Land ist einfach zu arm. Wer keine Arbeit hat, ist auf seine Familie angewiesen. Von den Leuten in meinem Alter ist das jeder dritte. Wir alle hoffen, dass es irgendwann Visa-Erleichterungen für die Menschen im Kosovo gibt. Dann könnten wir unseren Onkel in Deutschland zumindest mal besuchen. Als im vergangenen Sommer Flüchtlinge über den Balkan nach Europa gelangen wollten, haben die Leute aus meiner Stadt auch Busse nach Deutschland organisiert. Fünf pro Tag haben sie mindestens vollbekommen, manchmal sieben und noch mehr. Auch hier im Kosovo dachten eben viele: Das ist die Chance, jetzt auch nach Deutschland zu kommen.

 

Offiziell geht das ja gar nicht. Als Kosovare bekommst du nicht mal ein Touristenvisum. Die einzige Chance ist ein fester Arbeitsvertrag bei einer deutschen Firma. Keine Ahnung, wie ich das von hier aus organisieren sollte.

 

Ich bin während dieser Ausreisewelle nicht mitgefahren, weil ich Angst hatte, dass ich dann alles verliere: Das Risiko, dass ich nicht in Deutschland bleiben darf, ist einfach sehr hoch. Und zurück im Kosovo wäre mein Job sicher weg gewesen. Außerdem bin ich seit einem Jahr verlobt. Meine Freundin studiert Sozialwirtschaft und arbeitet in einem Kosmetikgeschäft. Ich habe in einem Restaurant in ihrer Nähe kennengelernt. Sie ist wunderschön. Sobald wir verheiratet sind, ziehe ich bei meinen Eltern aus.

 

Ob es ein Fehler war, damals zurückzugehen? Und das auch noch freiwillig? Da bin ich hin und hergerissen. Meine Eltern erzählen immer von der Horrorvorstellung, die sie damals hatten: Es klingelt nachts um zwei, vor der Tür stehen Polizisten, die uns mitnehmen wollen: Abschiebung. Der Krieg war ja vorbei. Und wir, die Kosovo-Albaner, sollten sogar endlich unser eigenes Land bekommen. Deswegen hat uns die deutsche Regierung zu verstehen gegeben: Wir haben euch gerne geholfen. Aber jetzt herrscht Frieden und ihr müsst zurück. Ich kann das gut verstehen, und ich bin den Menschen in Deutschland dankbar, dass sie uns geholfen haben. 2000 D-Mark waren es , die jedem Kosovaren angeboten wurden, der freiwillig zurückgeht. Meine Eltern haben den Deal angenommen.

Es war ein Tag im August, mitten in den Sommerferien, als wir alle unsere Sachen gepackt haben und nach Stuttgart an den Flughafen gefahren sind. Ich, meine Eltern, mein Bruder und meine kleine Schwester, die in Deutschland geboren wurde. Im Flieger nach Pristina habe ich mich darauf gefreut, nach Hause zu kommen. Meine Oma war ja noch da. Dass ich meinen Freund Sebastian nie wieder sehen würde, daran habe ich damals gar nicht gedacht. 

 

Jetzt leben wir wieder in unserer Heimat und es herrscht Friede, das ist schon was. Wer weiß, was aus uns geworden wäre, wenn es diesen Krieg nicht gegeben hätte?

 

Klar, das Leben im Kosovo ist hart. Ich verdiene 250 Euro im Monat, und das Leben ist nicht billig. Natürlich wäre mein Leben in Deutschland einfacher. Mein Onkel ist ja noch da, er hat mir erzählt, dass ich mit meinem Job in Deutschland wahrscheinlich viermal so viel verdienen könnte wie hier. Einmal hat er sogar mal versucht, meinen Bruder und mich zu adoptieren. Aber das hat nicht geklappt. Ich kann also nur weiter deutsches Fernsehen kucken, um die Sprache nicht zu verlernen. Sonst habe ich keine Wahl. Und deswegen will ich mich auch nicht beschweren, sondern das Beste aus meinem Leben machen. Alle in meiner Familie haben eine Arbeit, wir leben zusammen in einem kleinen Haus und hey: Bald werde ich heiraten! Es könnte also wirklich schlechter laufen. 

Mehr Geschichte in aktuellem Gewand: 

  • teilen
  • schließen