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Warenkorb Spezial: Justice, Siva und die Yeah Yeah Yeahs

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Produkt: Debüt-Album Titel: Justice - "†" (Ed Banger)

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Warum: Ein Posaunen- und Pauken-Tusch eröffnet die Platte, dann folgen piews, claps, Sirenen, Dröhnen, Fiepen, Brummen, Disco-Synthesizer und dazwischen immer mal wieder dieses Geräusch, als würde die CD hängen. Es fällt nicht ganz leicht, die Musik des Pariser Elektronikrock-Tanz-Duos Justice zu verschriftlichen. Schon beim Namen des Debüt-Albums fängt’s an: Ein großes Kreuz ziert das Plattencover und strahlt auch bei ihren Live-Auftritten auf der Bühne. Aber was sagt man jetzt zu seinen Freunden: „Hast du schon das 'Cross Symbol'-Album von Justice gehört?“ Denn gefragt werden, wird man das sicher diesen Sommer. Die beiden Produzenten aus Paris werden als die ersten französischen Superstars seit Daft Punk gehandelt und als die Band, die das Zeug dazu hat, das Prinzip Rock in der elektronischen Musik bis in den Mainstream zu tragen. Nicht nur die Band, auch das Label, auf dem ihre Platte am 20. Juli erschienen ist, gilt als der Hype der Stunde und, ein Jahrzehnt nach Daft Punk und Air, als Teil der zweiten französischen Elektronik-Welle: Ed Banger. Als „Bratz-Disco, spaßiges Brachialgebolze, strotzender, ruppiger Knartzhouse, punkiger Funk, bouncend-zercutteter HipHop, Electrodisko, immer schön stockend, knallhart, knatschmodern“ bezeichnete das „Magazin für elektronische Lebensaspekte“, der oder die de:bug, den Ed-Banger-Sound bereits vor einem Jahr. Schweinedisco für Partysäue zum so richtig Ausflippen. Und wer sich auf ihrer Myspace-Seite einen Ausschnitt aus dem Auftritt beim Coachella-Festival ansieht, hört: Die Leute flippen aus. Und zwar richtig. Dabei ist kaum ein weiterer Song auf "†" so schön eingängig wie die Single D.A.N.C.E mit dem Jackson-5-Kinderchor-Gesang, zu sehen hier:

Der Justice-Schriftzug, ganz in Heavy-Metal-Tradition gehalten, führt da schon eher in die richtige musikalische Richtung. Gesungen wird kaum, wenn überhaupt gestottert, Ausnahmen sind neben D.A.N.C.E nur die Songs „DVNO“ und „Tthhee Ppaarrttyy“, in dem der nächste Hype der Stunde gefeatured wird: die junge, in Paris lebende amerikanische Rapperin Uffie, die ebenfalls bei Ed Banger veröffentlicht. Dennoch sind die Stücke keine elektronischen, hauptsächlich aus wummernden Bässen und Beats bestehenden Klangteppiche, sondern richtige, kunstvoll montierte Songs mit zahlreichen Ebenen und Schnipseln, in denen kitschige Synthesizer auftauchen, die von heftigstem Strobostakkato, vermeintlich verzerrten und völlig übersteuerten Gitarren und Hooligan-House unterbrochen werden, um dann wieder von sanften, mit sehr viel Hall versetzten Piano-Melodien abgelöst zu werden. Totale Euphorie und Entspanntheit treffen hier aufeinander, stumpfsinniges Proll-Gehabe (die Alkohol- und Frauenexzesse von Justice machen schon die Runde) und ein Feiern, als gäbe es kein Morgen. Zum Faustrecken und übelsten Rumposen ist das. Axl Rose trifft Techno plus Glam. Aber was soll’s, wenn’s halt so Spaß macht. Und wer weiß schon immer genau, ob es wirklich ein Morgen gibt. Für wen: Für Leute, die gerne posen und sich irre cool und geil finden, und für alle anderen natürlich auch.


Titel: To My Boy – Messages (Abeano Music) Warum: Eher, warum nicht, denn To My Boy liefern gleich das Negativbeispiel dafür, wie Electroclash auch klingen kann. Ein paar Gitarren und ein Keyboard, das auf Speed ist und wie verrückt vor sich hin beept und dabei immer die Nena-Nummer „Ich will Spaß, ich will Spaß“ nachzuspielen scheint. Bummm, bumm, bumm, biep, biep, biep, ich will Spaß, ich will Spaß. Kaum Variationen, kaum Tempowechsel, deshalb auch – kaum Spannung. Wie genial ist denn dagegen der Stumpfsinn, den „Justice“ verbreiten? Der bezieht sich nämlich nicht auf die hoch komplexe Musik der Franzosen, sondern nur auf das unbedingte Party-Machen, Abfeiern und sich selber geil finden. Aber selbst das ist bei den Franzosen noch vielschichtiger als bei dem als „Indie-Technotronics von morgen“ und „Retro-Electro-Clash-Hammer“ angekündigten Duo aus Liverpool, ganz zu schweigen von der Musik. Obwohl einige Nummern zugegebenermaßen ganz gut daherkommen wie etwa die Single „The Grid“ oder „I am xRay“ oder – da fällt mir eigentlich schon kein anderes mehr ein. Irgendwie klingen alle sehr ähnlich und zwei davon hätten eigentlich gereicht. Für wen: Also, das weiß ich jetzt auch nicht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Titel: Oliver Libaux présente imbécile (Discograph) Warum: Weil es schon wieder Franzosen sind und weil es so etwas nicht so oft gibt: Ein als Musical angelegtes Konzeptchanson-Album. Oliver Libaux kennen manche vielleicht als den einen Teil von Nouvelle Vague und Nouvelle Vague, das ist die Band, die durch die Frankophonisierung alter New Wave- und Punk-Songs berühmt wurde. Zu reduziertem Gitarrengezupfe, etwas Orgel, Percussion und vielen LaLaLas wird auf „Imbécile“ in 13 Songs etwa diese Geschichte erzählt: Zwei befreundete Liebespaare, Hélène und Fernand sowie Thérèse und René, essen an einem lauen Sommerabend gemeinsam in einem Haus am Meer zu Abend und trinken wohl das eine oder andere Glas Rotwein zu viel. Da man sich schon lange kennt, kommt irgendwann der Punkt, an dem man plötzlich schonungslos offen zueinander ist und sich eingesteht, dass man ein „imbécile“ ist – ein Narr. Nach und nach gesteht jeder seine kleinen Lebenslügen und verpassten Chancen. So stellt Hélène (gesungen von Nouvelle Vague-Chanteuse Héléna Noguerra) zum Beispiel fest, dass sie ihre besten Jahre eigentlich verpasst hat, Fernand (Philipe Katerine, tatsächlich verheiratet mit Héléna Noguerra) erzählt von sich als einem von Zweifeln geplagten Eigenbrödler, der erst durch seine Geliebte aus seiner Einsiedelei befreit wurde, und Thérèse (Barbara Carlotti) singt von den schnellen Erfolgen im Leben, die in Null Komma Nichts verglimmen und nach denen man um so härter in der Realität aufkommt. Und der Meister selbst? Der singt von der einzig wahren Liebe, von der „amour à la francaise“, dem Chanson. Schön schunkelig und gemütlich, für lange Sommerabende auf der Terrasse genauso geeignet wie für die ersten Herbsttage mit Wolldecke auf dem Sofa. Très melancholisch oder so, aber immer mit einem verschmitzten Lächeln. Für wen: Für Romantiker, die gerne Rotwein trinken und sich dazu im Takt des Chansons wiegen wollen und dabei den Rest der Welt um sich herum vergessen.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Titel : Siva – The Story Is Complete, But I Think We’ve Lost The Book (Devil Duck Records) Warum: Weil dieses Berliner Quartett ganz offensichtlich Fan der großartigen Weilheimer Band The Notwist ist und da warten wir ja schon ganz schön lange auf ein neues Album. Angenehmerweise orientieren sich Siva auf ihrem Debüt-Album eher an der amerikanischen Version von Lo-Fi-Indie als am populäreren Britpop oder -rock mit seiner starken Fixierung auf den klaren Hit, die Hymne, den Smasher oder was sonst noch. Hauptsache eindeutig eben. Siva musizieren da wesentlich uneindeutiger, manchmal fast zerbrechlich, manchmal aber auch fast wütend, aber man kann sich eben nie ganz sicher sein. Die schönen Melodien inklusive Elektronikeinsprengseln tragen Siva nie marktschreierisch vor sich her, sondern lassen sie durch eingestreute Gitarren-Riffs, Tempo- und Lautstärkenwechsel oder ungewohnte Instrumentierungen immer mal wieder kurz eine Abzweigung nehmen, bevor sie sich dann wieder ins Ohr schmeicheln. Und dann kommt da plötzlich auch noch diese Radiohead-artige Nummer namens „Sleepie“ daher und man denkt sich „oha“. Ihre Stärken kann man der Band natürlich auch vorhalten, denn ja, natürlich, hat es das schon in ähnlicher Form gegeben, aber so eben doch noch nicht. Für wen : Für Melancholiker, die ihre Melancholie sehr ernst nehmen.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Titel: Yeah Yeah Yeahs – Is Is (Polydor) Warum: Weil es fast schon unheimlich ist, was für eine rohe, urgewaltige Energie in dieser Band steckt. Eine Energie, die sich zwar musikalisch ganz anders äußert als bei Justice, in ihrer Kraft und Heftigkeit aber doch an sie erinnert. Rock eben, dreckiger, verrotteter, existentialistischer Rock, der sich im Opener „Rockers To Swallow“ in einer Art Urschrei und anzüglichem Stöhnen entlädt samt einer aufdringlich hackenden und kreischenden Gitarre und einem düsteren Schlagzeug und der in „Down Boy“ schon fast gezähmt und samtweich klingt, nur um dir eine Sekunde später den Boden unter den Füßen wegzuziehen und die Sprache zu verschlagen. Hammer. Auch deshalb, weil diese Stücke alle bereits 2004 entstanden sind, während der Tour zum ersten Album „Fever To Tell“. Für wen: Für die Tage oder Stunden, wenn man mal einen Tritt in den Hintern braucht, um eben jenen hoch zu kriegen.

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