- • Startseite
- • Wahl2009
-
•
Die Sonntagsfragesteller
Ein Dienstagabend im Juli im sommerheissen Mannheim: In einem Bürogebäude sitzen 140 Telefoninterviewer an Computern und erheben das Politbarometer des ZDF, das die politische Stimmung im Land abbildet. Steffi Hauk, 25, und Markus Beck, 33, gehören seit vier Jahren zu den Mitarbeitern der Forschungsgruppe Wahlen e.V., die 18 mal im Jahr gut 1250 Wahlberechtigte in ganz Deutschland nach ihren Einstellungen fragt. Die Interviewer stellen dabei 90 Fragen zur Politik oder zu aktuellen Themen. Die bekannteste Frage ist diese: "Wen würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?" Ein Gespräch über Politiktrends, die Bundestagswahl und Volkes Stimme.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de: Wieviele all derer, die ihr anruft, machen bei der Umfrage mit? Markus: Für ein Politbarometer telefonieren wir drei Tage lang. Dienstagabend und Mittwoch und Donnerstag jeweils den ganzen Tag. Am ersten Abend sind die Nummern frisch, da hat man dann vielleicht vierzig Kontakte. Steffi: So kommt man zwischen 17 und 21 Uhr auf sechs bis acht Interviews. Markus: Mittwoch und Donnerstag telefonieren wir den Leuten hinterher, die wir am Dienstag nicht erreicht haben. jetzt.de: Seid ihr gern gehört oder ärgern sich die Leute über eure Anrufe? Steffi: Der Winter 2007/2008 war schlimm. Im Fernsehen liefen viele Beiträge mit dem Tenor: "Vorsicht vor Callcentern". In der Zeit haben immer mehr Leute begonnen, sofort aufzulegen. Deswegen zeigen wir seit Mitte vergangenen Jahres die Rufnummern an, damit niemand denkt, wir seien unseriös. jetzt.de: Nimmst du den Ärger der Leute persönlich? Steffi: Eigentlich sollte man es nicht. Aber es gibt immer wieder Gespräche, bei denen ich richtig sauer werde. jetzt.de: Welche meinst du? Steffi: Ich habe mal in einem Haushalt angerufen, wo der Mann für seine Frau gesprochen hat. "Die darf jetzt nicht ans Telefon. Die gibt jetzt keine Antwort", sagte er. Ein andermal war die Frau dran und wollte mitmachen, als ihr Mann schrie: "Du legst jetzt auf!" jetzt.de: Gibt es Menschen, die sich über euren Anruf freuen? Markus: Schon. Ich bekomme oft ganze Lebensgeschichten erzählt. Steffi: Ich hatte mal jemanden aus der einstigen DDR, der von der Stasi verfolgt worden war und lange im Knast saß. Er erzählte, dass er nie jemandem trauen konnte, dass er mehrere Selbstmordversuche hinter sich hatte. Solch ein Gespräch geht dicht an einen ran. Da muss man nachher tief durchatmen. jetzt.de: Ich vermute, dass ihr am Telefon so was wie eine "deutsche Atmosphäre" mitbekommt. Wann war es bei uns zuletzt richtig entspannt? Steffi: Kurz nachdem die Große Koalition gebildet war. Alle waren euphorisch und hatten das Gefühl: ,Jetzt kommt was Neues, jetzt passiert was!‘ Sie glaubten, dass Probleme gelöst werden, dass die großen Parteien zusammen für einen Aufschwung sorgen. Viele haben damals positiv geantwortet: ,Die Regierung macht das toll, Merkel macht es super.‘ Markus: Und während der WM 2006 waren die Leute auch viel entspannter. jetzt.de: Spürt ihr am Telefon was von der Wirtschaftskrise? Steffi: Nicht mehr als vor einem Jahr. Markus: Die Leute beschweren sich, dass das Benzin teurer wird. Das hat aber nicht direkt mit der Krise zu tun. Steffi: "Arbeitslosigkeit" und "alles teurer" - diese zwei Themen tauchen immer wieder auf. Und "Bildung"! jetzt.de: Als abstrakter Begriff? Markus: Wir fragen nach Problemen, die die Leute beschäftigen. Viele Leute sind mit dem Schulsystem unzufrieden. Steffi: Oder mit der Ungleichheit zwischen den Bundesländern - dass man in manchen Ländern Studiengebühren zahlen muss und in anderen nicht. jetzt.de: Wieviel wissen die Leute? Also: Kennen sich die Deutschen mit ihren Parteien gut aus? Markus: Ich setze da mittlerweile nichts mehr voraus. Steffi: Die wissen mitunter nicht, in welchem Bundesland sie wohnen. Ich hatte einen dran und fragte, in welchem Bundesland er wohne. Antwort: "Deutschland". Ich sagte, dass es doch 16 gebe und er: "Nee. Es gibt nur eins." Markus: Es gibt auch welche, die kennen die Kanzlerin nicht. Die lesen keine Zeitung, schauen keine Nachrichten, gehen nicht wählen. Steffi: Das gibt es ganz oft, leider. jetzt.de: Könnt ihr so denn ein Gespräch führen? Markus: Das Politbarometer soll repräsentativ sein. Wir dürfen deshalb nicht nur Leute fragen, die sich auskennen. Also versucht man denen, die sich nicht so gut auskennen, das Gefühl zu vermitteln, dass es viele gibt, denen es so geht. Wir machen ja kein Wissensquiz. jetzt.de: Eure Nummern stammen aus dem Telefonbuch, werden aber durch einen Zufallsgenerator nochmal verändert. Seid ihr auf diese Weise auch schon bei Politikern rausgekommen? Markus: Eine Kollegin hat mal mit einer Frau gesprochen und ist sich ziemlich sicher gewesen, dass es Ursula von der Leyen war. Steffi: Wir fragen ja nicht nach dem Namen. jetzt.de: Wie entstand der Verdacht? Steffi: Die Kinderzahl stimmte. Es waren genau sieben. Markus: Und als sie zum Thema "Familie und Kinder" befragt wurde, meinte sie wohl: "Das ist ja genau mein Thema." Steffi: Auch die Stimme hat gepasst.
jetzt.de: Ihr arbeitet in drei Schichten über den Tag verteilt. Wie oft weckt ihr Leute auf? Steffi: Ich arbeite meist abends. Deshalb: Nicht so oft. Markus: Wenn man Rentner um sieben oder halb acht am Abend anruft, wird man oft angepflaumt, was man sich erdreistet, so spät noch anzurufen?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Markus und Steffi
jetzt.de: Schon mal in ein Familiendrama reingerufen?
Steffi: Eine Frau meinte: "Hören Sie, mein Mann ist gerade gestorben, ich habe jetzt keinen Kopf für so was." Bei solchen Fällen rufen wir natürlich nicht mehr an.
jetzt.de: Alle reden vom Zweikampf Merkel gegen Steinmeier. Welche Chancen hat Steinmeier?
Markus: Zweikampf ist gut!
Steffi: Das ist ein relativ ungleicher Kampf. Wenn ich die Umfragewerte vergleiche - ich glaube auf jeden Fall, dass Merkel Kanzlerin wird. Da müsste sie schon noch einen ganz blöden Fehler machen. Unsicher bin ich, ob es für eine FDP-CDU-Koalition reicht.
Markus: Das denke ich schon.
Steffi: Meinste? Ich glaube eher, dass es wieder eine Große Koalition gibt.
Markus: Wenn es für Schwarzgelb nicht reicht . . .
Steffi: . . . dann sagen die Grünen nein zu Schwarzgelbgrün.
jetzt.de: Kennen die Menschen eigentlich Frank-Walter Steinmeier?
Steffi: Manche nicht.
Markus: Die meisten nicht.
Steffi: Ja?
Markus: Zumindest nicht gut. Die meisten können sich kein Urteil erlauben. Die wissen vielleicht, dass er der Außenminister ist, aber nicht, dass er der Kanzlerkandidat der SPD ist.
Steffi: Ich habe das Gefühl, ganz viele sind zurzeit verwirrt. Es gibt welche, die Angela Merkel gerne als Kanzlerin weiter haben wollen, die aber nie die CDU wählen würden. Umgekehrt genauso.
jetzt.de: Wissen die Deutschen denn ungefähr, wofür die Parteien stehen?
Markus: Manche sagen zu Beginn: "Ich wähle die SPD, die habe ich schon immer gewählt." Wenn man dann mit dem Interview durch ist, denkt man: Seltsam. Was er sagt, passt nur zur CDU . . .
jetzt.de: Spielt das Aussehen eine Rolle bei der Bewertung der Politiker?
Steffi: Ich habe nicht erlebt, dass einer sagt: ,Der sieht super aus, dem gebe ich eine gute Note.‘
Markus: Lafontaine ist nicht so beliebt.
jetzt.de: Wegen seines Aussehens?
Markus: Entschuldige, das meine ich nicht. Viele nehmen ihm übel, dass er zur Linken gewechselt ist und dass er damals als SPD-Minister hingeschmissen hat.
jetzt.de: So lange ärgert das die Menschen?
Markus: Sowas vergessen die Leute nicht.
Steffi: Edmund Stoiber hat sich auch nie davon erholt, dass er seinen Job in Berlin nicht angetreten hat.
jetzt.de: Gibt es denn sowas wie ein Volksgedächtnis?
Markus: Die Haltungen können sich schnell ändern. In Hessen hatten wir innerhalb von zwölf Monaten zwei Wahlen. Bei der ersten wurde Roland Koch grandios abgestraft.
Steffi: Bei der zweiten hieß es: ,Super, den wählen wir.‘ Da war die vorherige Kritik an der Bildungspolitik von Koch plötzlich gar nicht mehr so wichtig. Hauptsache, die SPD und Ypsilanti waren nicht mehr mit drin.
jetzt.de: Hat dieser Job euer Deutschlandbild geändert?
Markus: Manchmal habe ich den Eindruck, Deutschland ist doch nicht so weltoffen, wie es denkt.
Steffi: Manche jammern schon gerne. Alles ist dann grässlich - obwohl die eigene wirtschaftliche Situation gut ist.
jetzt.de: Verratet ihr, was ihr selbst wählt?
Markus: Daraus mache ich kein Geheimnis, die Leute sagen es mir ja auch. Ich wähle die SPD.
Steffi: Ich wähle die Grünen.
Text: peter-wagner - Illustration: Katharina Bitzl; Foto: pw