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Die Elefäntchenrunde
Ein kleiner Junge benutzt einen Rührbesen als improvisiertes Mikro und fragt seine Mutter: „Was würdest Du als Kanzlerin machen?“ Die 31-jährige Antje Krug aus Bad Salzungen, von Beruf selbsternannte Familienmanagerin ihrer vier Kinder, antwortet: „Als Kanzlerin möchte ich eine Elternschule gründen und einen Familienführerschein einführen.“ Und weil sich Antjes Sohn im Bewerbungsvideo zur ZDF-Sendung "Ich kann Kanzler" auch sehr artig dafür bedankt, dass sie immer für die Familie da sei, ahnt man, dass sie ihr Geschäft als junge Mama durchaus versteht. Ob sie auch zur Kanzlerin taugt, wird sich am 19. Juni im ZDF zeigen, wo sie sich gegen fünf weitere Kanzler-Finalisten durchsetzen muss. Aus 2500 Kanzler-Bewerbern im Alter von 18 bis 35 Jahren wurde Antje online zu einer der 40 vielversprechendsten Aspiranten gewählt. Dann lud das ZDF zum Casting, nun ist sie neben fünf weiteren Spitzenkandidaten im großen Finale. Günther Jauch, Anke Engelke und Henning Scherf wählen den Fernsehkanzler, der zwar keine politische Funktion, dafür das Monatsgehalt der aktuellen Kanzlerin, also 16.000 Euro bekommt. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender will mit der Sendung bei jungen Leuten im Superwahljahr 2009 das Interesse an politischen Themen wecken, „weil dies über die klassische politische Berichtserstattung kaum mehr funktioniert“. Ob seine Rechnung so aufgeht?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Teilnehmer, ein Juror und ein Chef am Donnerstag in Berlin: Von links die Finalisten Delano Osterbrauck, Siegfried Walch, Antje Krug, Jurymitglied Günther Jauch, ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender und die Finalisten Nuray Karaca, Jacob Schrot und Philip Kalisch.
Die Profile der zahlreichen Möchtegern-ZDF-Kanzler, die im Vorfeld der Sendung zu sehen waren, widersprechen bereits Brenders Annahme eines politischen Desinteresses unter jungen Menschen. Wie sich in der Vorauswahl zur Sendung gezeigt hat, haben viele Jugendliche und junge Erwachsene durchaus politische und persönliche Visionen und sind bereit, sich zu engagieren. Sie wollen vor allem eines: sich beteiligen und gehört werden. Antje zum Beispiel weiß sicher ziemlich gut, dass die Politik sich konkret auf ihren Familienalltag auswirkt - egal ob es um Kita-Stellen, Studienplätze oder die Lohnsteuer geht.
Die Studentin Friederike Lenz, 25, aus Tübingen hatte es unter die letzten 40 Kandidaten geschafft. Sie studiert Rhetorik und Politik und hat schon mal für den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer Wahlwerbung erfunden. Wie viele der ZDF-Kanzlerkandidaten sagt sie, dass die heutige Parteienlandschaft die Interessen der Bevölkerung nicht adäquat vertritt. In ihrem Wahl-Profil fordert sie deshalb: „Weg mit den Parteien – hin zur Basisdemokratie.“ Im Schwäbischen Tagblatt ergänzte sie am Mittwoch: „Es wird immer ganz allgemein von Politikverdrossenheit geredet. Aber das ist es gar nicht, in Wirklichkeit handelt es sich eher um Parteiverdrossenheit.“ Im Fernseh-Kanzlerduell wird das unter vielen jungen Menschen weit verbreitete Misstrauen gegenüber der institutionalisierten Politik elegant ausgeklammert. Die ZDF-Caster haben nur solche Kandidaten zur Wahl nominiert, die bereits in einer etablierten Partei aktiv sind oder sich zumindest zu einer gehörig fühlen. Eigentlich seltsam, weil viele gerade die Gleichsetzung von Politik und Partei so unspannend finden, weil viele in einem ganz anderen Sinn politisch sind und sich lieber in einer Initiative oder Bewegung engagieren als dass sie sich in einer Partei anmelden. Fast ist es schade, dass das ZDF die Gelegenheit hat verstreichen lassen, echtes Engagement mit den Finalisten abzubilden. So wie angekündigt kann man wohl eher eine kleine Elefantenrunde erwarten. Ein Elefantenründchen.
Für politische Entscheidungsträger hingegen sollte die Sendung ein Pflichttermin sein. Vor allem die Durchsicht der Profile der letzten 40 Jugend-Kanzler-Kandidaten auf der Homepage des ZDF macht gute Laune, die vielen Vorstellungen von Politik und Leben sollten Politiker sich nicht entgehen lassen. Zumindest, wenn sie das Politikgeschäft nicht als ihr eigenes Privatvergnügen, sondern als einen Dialog mit der jüngeren Generation begreifen. Naja, und dazu könnte die Sendung durchaus beitragen. Und wenn es ganz gut läuft, steigen vielleicht auch die rückläufigen Wahlbeteiligungen. Denn die ZDF-Kanzlerkandidatin Antje und ihre Kinder wollen ja auch nach der Sendung ernst genommen werden. Dann ist sie nämlich wieder eine ganz normale, potentielle Wählerin, die von der Politik gefragt, erhört und nicht enttäuscht werden will.
Text: tobias-greiner - Foto: ddp