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"Der Suff macht die Wahlkabine zum Altar der Aufrichtigkeit"
Knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl sind viele Wähler noch immer unentschlossen. Für all jene, die also noch immer nicht wissen, was sie am 27. September anstellen sollen, stellt jetzt.de auf den folgenden Seiten drei alternative Wahlinitiativen vor. 1. Im Wahlrausch: Die Initiative „Betrunken wählen“ Manche Lebensbereiche lassen sich im gelösten Zustand besser organisieren. Bremsen endlich lästige Gedanken nicht mehr, hört das quälende Abwägen endlich auf und tritt an die Stelle der Ratio schließlich der Impuls, geht mit einem Mal alles von alleine: Die Frau dort hinten an der Ecke lässt sich ansprechen, plötzlich kann man sich auf Französisch unterhalten und die politische Lage Deutschlands erscheint mit einem Mal völlig eindeutig.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Da sich solche Zustände angenehmer Enthemmung mittels Alkohol leicht herstellen lassen und ein großer Teil der deutschen Wähler noch unentschlossen ist, lag es nahe, so dachten sich zumindest die Initiatoren des Projekts „Betrunken wählen“, doch seine Stimme alkoholisiert abzugeben. Sie rufen die Wahlberechtigten dazu auf, sich am 27. September ab 12 Uhr mittags zu betrinken. „Wir glauben, dass allein der Suff die Wahlkabine zum Altar der Aufrichtigkeit gerinnen lassen kann“, heißt es auf der Website www.betrunken-waehlen.de, denn: „Das schale Ritual der Stimmabgabe wird erneuert und gereinigt durch Deinen volltrunkenen selbstlosen Urnengang. Der kollektive Rausch ist der Hammer, der das Kartenhaus der Hochrechnung zum Einsturz bringt.“ Weiter fortgeschrittene Fans der betrunkenen Stimmabgabe sollen nicht nur sich selbst betrinken, sondern auch ihren MitwählerInnen Alkoholika zur Verfügung stellen. Hinter dem Projekt stecken die Künstler Martin Fürbringer und Philipp Moll. Erstere sieht die Aktion eher als Kunstprojekt: "Unter diesem künstlerischen Aspekt aber ist die Sache ernst gemeint. Wir wollen eine Art Choreographie schaffen, um ein altes Ritual neu zu interpretieren." So ganz bierernst ist die Sache also nicht gemeint. Allerdings, so steht auf der Website, sind „Beim Nüchtern Wählen in der Vergangenheit schon einige wirklich schreckliche Dinge passiert.“
2. Wahlboykott mit Stil? Die Ungültig-Wähler
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
1952, bei der Landtagswahl im Saarland, waren 24,5 Prozent der Stimmen ungültig. Ein klares Protest-Ergebnis – damals war die Demokratische Partei Saar (DPS), die eine Wiedervereinigung des Saarlands mit Deutschland forderte, verboten worden. Abgesehen davon waren und sind nicht gültige Stimmen aber nur selten klar als Grundsatzkritik erkennbar. Das soll sich mit der Seite www.ungueltigwaehler.de ändern. Wer die „erste deutsche Plattform für Ungültigwähler“ besucht, kann auf der dortigen "StatementStation" eine Begründung für sein Tun abgeben. Von da aus werden die Botschaften dann nach der Wahl ans Parlament geschickt, wo sie – Zitat – „die Sekretärin des Assistenten einer Mitarbeiterin des Präsidenten auch tatsächlich lesen wird.“ Das klingt nach Bürokratieverdrossenheit. Aber die ist längst nicht die einzige Motivation der Ungültig-Wähler. Deren Erklärungen auf der StatementStation sind vielfältig – und durchaus ernst gemeint. Sie reichen von der langen gesellschaftsphilosophischen Abhandlung bis zur zweisätzigen Polemik. Obwohl die Statement-Geber grundsätzlich gegen das System sind, sehen sie sich mitnichten als Randgruppe. Schließlich hätten sie bei der Europawahl – wären sie eine Partei – die Fünf-Prozent-Hürde in einigen Bundesländern locker genommen. Von soviel Erfolg verwöhnt werden sie auch diesmal wieder ihre Wahlzettel „mit einem ganz großen Kreuz verschönern“. Oder auch schon mal eine Scheibe Käse zwischen die Stimmbögen legen.
3. "Ich geh dann mal nichtwählen": Die Nichtwähler-Partei Man stelle sich vor, eine Gruppe von Nichtrauchern gründet einen Raucherclub. Das ist in der Tat eine ziemlich groteske Szene, illustriert aber die Idee von Werner Peters recht gut. Der 67-Jährige hat vor elf Jahren die "Partei der Nichtwähler" gegründet und ruft Nichtwähler dazu auf, seine Partei zu wählen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Idee mag zunächst wirr klingen, auf den zweiten Blick ist Peters Rechnung logisch: Würden alle eigentlichen Wahlverweigerer für die Nichtwähler-Partei stimmen (und das waren bei der Wahl 2005 immerhin mehr als 20 Prozent), dann wäre die Organisation mit einem Mal drittstärkste Kraft und könnte – so der Plan des Parteichefs – den Einfluss von Wahlen senken und mehr direkte Demokratie in Form von Volksabstimmungen durchsetzen.
So unpolitisch die Nichtwähler-Partei im ersten Augenblick wirkt, ist sie also gar nicht. Nachdem die Partei zur letzten Bundestagswahl nicht zugelassen wurde, gibt es sie heute allerdings nur noch auf dem Papier. Während die Homepage der Nichtwähler-Partei allmählich verstaubt, kämpft Gründervater Werner Peters in TV-Talkshows weiter für seine Ziele und verschafft den überzeugten Wahlverweigerern zumindest eine kleine Lobby.
Dass es noch mehr Menschen gibt, die gezielt Wahlen boykottieren, zeigt auch das Beispiel der Initiative „Eventplan Nord“, die zur Verweigerung aller Wahlen im Jahr 2009 aufruft. Und auch wenn es unsereinem, dem pflichtbewussten Wähler, nicht in den Kram passt: Gänzlich unpolitisch geht es auf deren Website nicht zu. Für diejenigen, die die Wahlunterlagen bereits angefordert haben, hat die Initiative auf ihrer Homepage übrigens noch einen Tipp parat: „Die Papiere eignen sich hervorragend um den Ofen anzuzünden“.
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Alles zur Bundestagswahl gibt es unter jetzt.de/wahl09
Text: jetzt-redaktion - Fotos: dpa