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Zu Besuch bei einer Wahlkampfveranstaltung von Marine Le Pen
Julia Abraham ist aufgeregt, sie gibt Gas. Die 24-jährige Deutschlehrerin sitzt für den Front National im Straßburger Regionalrat. Heute fährt sie zu ihrer Chefin: Marine Le Pen wirbt noch mal für sich, zwei Wochen vor der Präsidentschaftswahl, im ostfranzösischen Hinterland. Le Pens Wähler wohnen hier, sagt Julia. Sie muss es wissen, sie kommt ja von hier.
Wie Julia sind viele junge Franzosen infiziert von Le Pen und dem Front National (FN). Jeder dritte französische Jungwähler will für sie stimmen. Gerade auf dem Land. Warum?
Bevor Abraham antwortet, bremst sie ab. Tempolimit, dann Maut. Mag sie Grenzen? „Ja, wenn sie nötig sind.“ Wenn Le Pen gewinnt, dann gewinnen die Grenzen. Le Pen will: raus aus dem Euro, raus aus der EU, Kontrollen an den französischen Grenzen. „Länder brauchen Grenzen, das ist ganz normal“, sagt Julia. Sie kurbelt das Fenster runter, schiebt Euros in den Automaten. Die Schranke fährt hoch.
Warum Le Pen? Julia erzählt von ihrer Familie. Der Front liege ihr in den Genen. Ihre Großeltern verehrten Jean-Marie, Marine Le Pens Vater, der wegen rassistischer und antisemitischer Äußerungen mehrmals verurteilt wurde und den der Front National 2015 aus der Partei aussschloß. Jean-Marie Le Pen führte den FN fast 40 Jahre lang an, machte ihn groß. Doch zu dem bürgerlichen Bild, dass der FN sich unter der Führung seiner Tochter geben will, passte der Senior nicht mehr so recht.
Julias Eltern jedenfalls kandidierten für seine Partei. Mehr noch, ohne den Front würde es Julia wohl nicht geben: Ende der Achtziger lernten sich ihre Eltern auf einem Parteitag kennen. Nach dem zweiten Kind kauften sie ein Haus.
„Für mich ist es ein Engagement, weil ich ein Ideal habe — Freiheit“
Ganz hier in der Nähe, sagt Julia und erzählt von ihrem Garten mit wuchtigen Tannen am Rand eines Waldstücks. Seit die Kinder ausgezogen sind, zieht ihr Vater Salat, ihre Mutter Rosenstöcke. Ein Bernhardiner, 80 Kilo, bewohnt einen kleinen Schuppen. „Die Hundehütte hat Papa selber gebaut, die im Baumarkt waren zu klein“, sagt Abraham.
Selbermachen, wenn’s nicht passt. So denken viele, die Front National wählen. Marine Le Pen wählt, wer mitreden will. „Im Namen des Volkes“ heißt ihre Kampagne und ihr größtes Versprechen sind Volksabstimmungen. Zum Beispiel über den Frexit, Frankreichs EU-Austritt.
„Ja, das Volk sollte die Macht haben“, findet auch Julia. Politiker? „Ach“, sagt sie, „wer Profit macht wird unehrlich.“ Noch mal Selbermachen: Julia Abraham will kein Geld für ihre politische Arbeit. „Für mich ist es ein Engagement, weil ich ein Ideal habe — Freiheit.“
Ihre Freiheit entdeckte Julia mit 15. Der Front war die erste Partei, die im Internet junge Mitglieder anlockte. Zum Beispiel mit einer Wahlbroschüre zum Selberbasteln. Abraham klickte auf Drucken und verteilte die Flyer in der Schule. Ihre Freunde machten Augen, ihre Eltern bekamen einen Schreck. „Als meine Eltern sahen, wie ich mich für den FN engagierte, wurden sie ängstlich. Die wussten aus eigener Erfahrung: Wer für den Front ist, der macht sich Feinde“. Um ihren Eltern Angst zu machen, musste Julia nicht einmal deren Ideale hinterfragen.
Die Feinde warteten in der Stadt, in Straßburg. Julia schrieb sich für Deutsch auf Lehramt ein und ließ sich für die Hochschulwahlen aufstellen. Ihr Gesicht, für den Front National. Dann kamen die Feinde: Kommilitonen, die sie im Gang anrempelten. Die ihr fieses Zeug hinterher brüllten. „Die hielten mich für eine Rechtsextreme, aber das bin ich nicht.“ Julia ließ sich nicht irritieren, eher freute sie sich über die geglückte Rebellion. „Ich diskutiere gerne“, sagt sie.
Ist Punk gar nicht tot, sondern nur Patriot geworden? Für Julia Abraham aus dem ostfranzösischen Hinterland stimmte das. Sie eckte weiter an, ging von der Unipolitik in die Tagespolitik und ließ sich mit 21 für den Front National in Straßburg aufstellen. „Der FN ist die einzige Partei, die um junge Leute wirbt“, sagt sie. 2015 zog sie in den Regionalrat ein.
Der französische Kleinwagen zuckelt über die elsässische Holperpiste. Am Fenster zieht die heile Welt vorbei. Dorf, Feld, Dorf. Würde man die Scheibe runterlassen, es würde wohl nach Stopfleber und schwerem Weißwein riechen. Die Felder hier haben eigene Namen: Schmutzacker, Freudenberg, Pfuetzenweg. Die Dörfer klingen wie in Deutschland: Furchhausen, Willgottheim, Birkenwald.
Deutschland, „ein schönes Land“, sagt Julia. Als Deutschlehrerin hat sie eine Lieblingsepoche: die Romantik. Zeit der Befreiungskriege, des Nationalgefühls. „Die Art der Melancholie, die Sensibilität der Gedichte.“ Julia schaltet. „Ich bin eine Patriotin.“
Flüchtlinge kennt Julia keine. „Aber die Terroristen aus Nizza, Paris, Berlin"
Sturm und Drang oder Kontrolle? Als Julia antworten will, kommt ein Lkw gefährlich nahe. Sie fährt ruhig auf die rechte Spur, hält das Lenkrad fest. „Man sollte unsere Grenze kontrollieren“, sagt sie. Warum? „Man sieht gar nicht, wer alles herkommt, das macht mir Angst.“ Angst? „Terroristen kommen in unser Land, das ist nicht normal.“ Flüchtlinge kennt Julia keine. „Aber die Terroristen aus Nizza, Paris, Berlin, die sind alle einfach so reingekommen.“ Sie beschleunigt. „Das darf nicht sein.“
Im Straßburger Regionalrat kann Julia nicht für Grenzkontrollen oder EU-Austritt stimmen. Trotzdem setzt sie ihre Stimme ein gegen das Fremde. Zum Beispiel neulich, beim Vorschlag für einen „Mois de l’autre“, einen „Monat der Anderen“. Ein Aktionsmonat, gewidmet den Unterschieden innerhalb der französischen Gesellschaft. Etwa: Juden, Muslime, Christen. Und Julia? „Dafür konnte ich nicht stimmen, ich bin für eine französische Kultur, wie nennt man das?“ — Leitkultur? — „Ja, richtig.“
Julias besten Reden aus dem Parlament landen auf Youtube. In Schwung kommt sie meistens, wenn sie ausgebuht wird. Ihre beste Freundin findet die Clips cool. Ihre Eltern reichen sie bei Freunden herum. Aus Angst ist Stolz geworden. Wenn Julia zu Besuch kommt, sitzen die Abrahams im Garten unter den Tannen und diskutieren über Politik. „Naja, diskutieren“, sagt sie, „wir sind meistens einer Meinung“.
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Irgendwann winken Polizisten am Straßenrand. Schwerbewaffnet, wie sie zur Zeit immer durch französische Innenstädte patrouillieren. Terrorgefahr. Ausnahmezustand. Blinker rechts, Julia rollt über eine Brücke ins Dorf. Durch Monsweiler fließt der Fluß Zorn. Links und rechts hängen Plakate mit der lachenden Le Pen: „Marine ist da!“
Vor dem Zornhof, die kleine Stadthalle aus Sichtbeton, drücken und schieben sich ein paar hundert Menschen hin und her, um einen guten Platz zu bekommen. Zwei Glatzköpfe mit schwarzen Windjacken und Walkie-Talkie winken Abraham rüber. Man kennt sich. Küsschen links, Küsschen rechts. Zum Hintereingang geht es da lang.
Julia begrüßt in der ersten Reihe ihre gleichaltrigen Mitstreiter. Auf deren dunklen Anzügen leuchten Anstecker: eine blaue Blume. Das Sehnsuchtssymbol der Romantik ist auch das Symbol von Marine Le Pens Kampagne.
„Die Frau hat Eier“
Der Saal ist zur Hälfte gefüllt. Ein knochiger Mann mit Ohrring und „Misantrop“-T-Shirt macht eine Rock’n’Roll-Geste und streckt die spitze Zunge raus: „Yeah, Marine!“. TV-Journalisten halten mit Kameras und Scheinwerfer drauf und lassen sich erzählen. Aus großen Boxen dröhnen Swing-Hits der 30er Jahre. „Skies will be much brighter than they were before.“
Außerdem in den Reihen: Mädchen mit Pony („Marine sagt, wie es ist“ — Wie denn? — „Na, wie es ist“), vergnügte Omis („Wir waren noch nie auf so was“ — Wählen Sie Marine? — „Ja“), Schrebergärtner in Lederjacken („Wir sind keine Nazis, schreiben sie das“), Grüppchen von Muskelmännern („Wir reden nicht mit Journalisten“), wilde Knaben („Die Frau hat Eier“). Julia Abraham sieht sie nicht. Sie blickt aus der ersten Reihe auf die Bühne.
Dort erscheint plötzlich Marine Le Pen. Sie kommt, lacht, Blitzlichtgewitter, dann die Tirade. Marine redet nicht. Sie poltert, schimpft, witzelt, rantet, beschwört. Julia Abraham applaudiert. Das Publikum hinter ihr grölt.
Marine Le Pen weiß, worauf die Menschen hier wütend sind. Sie zelebrierte ihre Wut als poppiges Event. Wut als Gruppenaktivität, von allen, auf alles. Kein Firlefanz, sondern Bolzenschneiderei: Weg mit Euro, Asyl, Globalisierung, Presse, Merkel! Dann die Hymne. „Marschieren wir, marschieren wir“.
Ein paar Mal haben sich Julia und Le Pen getroffen. 2011 im EU-Parlament. Dann vor zwei Jahren bei den Wahlen in Straßburg. Julia stand auf Listenplatz zwei, Le Pen kam zur Unterstützung. Vor 500 Le-Pen-Fans durfte Julia dann sprechen. Julia Abraham, Wunderkind des Front National. Marine saß neben ihr, hörte hin. Nach der Rede zwinkerte Le Pen ihr zu: gut gemacht!
Zurück im Zornhof. Die Hymne ist ausgesungen, jetzt wird wieder gerufen: „Marine Présidente!“ Julia klatscht ganz vorne mit, Hände über dem Kopf. Danach liegt ein Glänzen in ihren Augen. „Wie immer toll, wie nach einem Konzert“, sagt sie. „Wir können es wirklich schaffen.“ Marine Le Pen verschwindet hinter einem schwarzen Vorhang. Julia wird sie heute nicht mehr treffen.
Als die Türen aufgehen, hält auf dem betonierten Vorplatz bereits ein Teenager seine riesige Frankreich-Flagge in den Wind. Ein anderer ruft ihm den Schlachtruf des Front National zu: On est chez nous! Wir sind zu Hause! Wir, hier im Hinterland. Dann rollt er die Flagge sorgsam wieder ein und fährt nach Hause. Auch Julia Abraham ist schon wieder weg. In den Tagen bis zur Stichwahl wird sie wieder das tun, was sie schon als 15-Jährige freiwillig gemacht hat: Rausgehen und Flyer verteilen. Um für ihr großes Ideal zu kämpfen, für das, was sie Freiheit nennt. Diesmal in offizieller Mission.