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Unterwegs in Frankreich mit einem jungen Wahlkämpfer für Emmanuel Macron
Die steinerne Wendeltreppe ist lang. Allan Bouamrane nimmt immer zwei Stufen. Die Häuser hier in der Lyoner Altstadt sind hoch und kühl. Allan muss ganz hoch. Nur ganz oben hat jemand aufgemacht, als er unten alle Klingeln durchprobiert hat. Jetzt hofft er. Dass der da oben jetzt bloß nicht zumacht.
Ganz oben steht die Tür noch offen. Ein Mann in Unterhose. Allan keucht und haspelt: „Hallo, ich bin von En Marche!, haben Sie Zeit?“ Der Mann in Unterhose guckt auf den Flyer, den Allan hinhält. Darauf grinst: Emmanuel Macron, parteiloser Kandidat für die Präsidentschaftswahlen, Ex-Wirtschaftsminister, EU-Freund. „Ich bin von ganzem Herzen links“, grinst der Mann in Unterhose zurück — und lässt die Tür ins Schloss fallen. Allan stützt die Hände auf die Knie. „Au Revoir.“
200 Mal hat er das jetzt schon gemacht. Seit einem Jahr. Für En Marche!, die Bewegung des Kandidaten Emmanuel Macron, auf Deutsch: Vorwärts! Warum?
Allan ist 20, meistens zieht er nach der Jura-Vorlesung los. Nicht für Geld, sondern aus Idealismus. Also: Gratiswerbung? „Nee, wir machen keine Wahlwerbung“, sagt Allan. „Wir klingeln bei den Franzosen und reden mit ihnen über Politik“. Aha. Und, dass hinterher doch mal einen seiner Macron-Flyer im Briefkasten landet? „Ist ja nicht verboten“, sagt er.
Macron-Fan ist Allan seit Ende 2015. Da sah er ihn im Live-Stream reden. „Eigentlich wollte er über französische Intellektuelle palavern, aber paar Tage vorher ist Paris in die Luft geflogen“, erinnert sich Allan, das Kinn in der Hand wiegend. „Macron war der erste Politiker, der dazu aufrief sich gegen den Hass der Terroristen zu vereinen, anstatt die Nation zu spalten.“
Man könnte meinen: Der Terror hat Allan beflügelt. Erst, als sein Land am Boden lag, begann er sich zu engagieren. Für En Marche! — Zusammenhalten gegen den Hass.
Er verlieh seiner Sympathie für Macron Ausdruck, indem er auf dessen Facebook-Seite auf Like klickte. Wenige Monate später, im April 2016, postete Macron dort seinen Aufruf: Ich will kandidieren. Und: Wer hilft mir? Allan wollte helfen. Eine Stunde nachdem Macron seinen Post abgesetzt hatte, füllte Allan schon das Formular aus. Die digitalen Revoluzzer waren auf Zack: Allan wartete keine Stunde, dann kam die Einladung zum Training für En Marche!.
In den Seminaren ging es um Macrons Strategie, es gab Gruppenübungen zur Befragung der Franzosen, die Ausrüstung, wie T-Shirts und Flyer, wurde ausgegeben. „Es hat sich angefühlt wie bei Obama“, sagt Allan. Tatsächlich erinnert Macrons bürgernaher Merchandise-Wahlkampf ein wenig an amerikanische Politik. Den „linken Trump“ nannte die Die Zeit erst kürzlich Emmanuel Macron.
„En Marche! ist keine Partei“, betont Allan immer wieder. „Wir sind eine Bewegung."
Ab jetzt ging Allan klingeln. Immer in einer Gruppe, im grauen En Marche!-Shirt und immer mit Fotograf. Die Aktionen werden dokumentiert, auf Facebook erscheinen Beweisfotos. Eine Revolution, die man problemlos im Live-Ticker online verfolgen kann.
Am 11. Februar 2017 drehen Allan und die anderen durch. Ihr Macron soll heute Abend Frankreich elektrisieren, zwei Monate vor der Wahl, im Sportpalast Lyon. 8.000 Zuschauer sollen kommen. Ein anderer spricht von 16.000. Allan hat vor Aufregung die Vornacht durchgesoffen, jetzt steht er schon früh um neun im Sportpalast und weiß nicht so recht, was er da soll. Also rückt er Stühle zurecht.
Dann verpennt er fast: Allan muss ja zum Auto, Schinkenbrote holen. Die sollen um 16 Uhr serviert werden. Jetzt aber schnell. Allan rennt, rast und rangiert als würde er für seine eigenen Gäste einkaufen. Für seine eigene große Sause. Und irgendwie ist es ja auch seine Sause. „En Marche! ist keine Partei“, betont er immer wieder. „Wir sind eine Bewegung — und jeder, der mitmacht, gehört dazu.“
Die Mühe lohnte sich: Macrons Aufritt in Lyon gilt als Wendepunkt im französischen Wahlkampf. Nach all den Skandalen um die anderen Kandidaten hatte die rechtsexreme Marine Le Pen endlich einen würdigen Gegner! Das Schlimmste könnte doch noch verhindert werden. Als Allan abends im Hard Rock Café das dritte Bier trinkt, ist er sich beinahe sicher: Macron gewinnt die Wahl.
Für die nächsten Live-Auftritte von Macron reserviert Allan einen Tisch im Hard Rock Café. Auch für die Wahlnacht. Wie alle anderen Fans geht auch En Marche! zum Public Viewing, wenn ihr Held im Fernsehen ist. Bei besonders markigen Aussagen steht der ganze Tisch auf, applaudierend, grölend. „Bisschen wie Fußball“, grinst Allan. An die Aussagen selbst kann Allan sich nicht erinnern: „Hm, zu lang“.
Seine größte Angst in der Wahl ist ein Sieg von Marine Le Pen. „Dann gewinnen die Spalter“, sagt Allan. Nach aktuellen Umfragen würde allerdings Macron eine Stichwahl gegen Le Pen gewinnen. Aber was, wenn Macron gar nicht der linke Trump ist? Sondern Le Pen der weibliche Trump? Einen Monat vor der Wahl wusste fast die Hälfte aller Franzosen noch nicht, wenn sie wählen. Was, wenn Le Pen diese Franzosen noch ganz spontan von sich überzeugt hat?
Allans letzter Satz, bevor er weiterzieht, ist dieser: „Das Problem sind nicht die Rechten. Es sind die, die nicht wählen gehen.“ Dann trinkt er seine Cola aus, streift das graue En-Marche-Shirt über und läuft zur nächsten Klingel.