Wie ich Dich traf
Kapitel 1: Wie ich Ross traf
Mein Herz fühlte sich dumpf an. Ich war ein kleiner Schatten
und teilte mir ein Zimmer mit einem kleinen dicken Elefanten. Das nervte.
Es war zwei Monate her, das ich ihn traf. Es war im Dezember. Eine einjährige
echt schlechte Beziehung hatte ich grade beendet und hatte nicht vor mich von
Grund auf richtig davon zu erholen. Nein. das hatte ich nicht. Ich wollte mich
wieder ins Leben und ins Daten stürzen.
Das tat ich. Drei Verabredungen, drei Abende hintereinander.
Nummer drei. Ein Vierer im Lotto. Nach und nach merkte ich, wie gut er sich
anfühlte. Und die anfängliche Angst und das Misstrauen gegenüber dem Guten
verflüchtigte sich sehr schnell. Eigentlich war sie nicht wirklich vorhanden.
Ich sagte zu ihm „Du bist einfach der nächste logische Schritt." Nach Regen
folgt nun mal Sonnenschein. Früher oder später. Meine Name ist Emma, ich war grade 37 Jahre geworden
und ich hatte einen Kinderwunsch. Nichts Großes. Eine Idee davon, irgendwann
mal Mutter zu sein und mit einem tollen Mann, auf den ich mich verlassen kann,
an meiner Seite ein entspanntes und glückliches Leben zu führen. Und meine Gene
an einen kleinen Menschen weiterzugeben. Ein Mini-Me. Nach zwei Monaten musste
man sich nichts vormachen. Natürlich war es definitiv zu früh über Nachwuchs zu
sprechen. Aber dann war es aus meinem Mund raus gekommen. Und er sagte was von
Vasektomie. Hätte mal drüber nachgedacht und der Gedanke schoss in mein Hirn:
jemand der über sowas nachdenkt, ist weit entfernt von dem was ich für mich
wünsche. Die Tränen kamen erst am nächsten Morgen und der Satz „wir haben ein
Ablauf Datum" versucht sich einzubrennen. Und irgendwie, wusste ich, dass ich
es nicht ändern würde wollen. Ich würde ihn nach angemessener Zeit gehen
lassen.
Doch alles fühlte sich doch so gut an. Wir. Zusammen. Alles.
Und dann so ein Hindernis. Was sollte das denn? Wollte mein Leben mich
eigentlich verarschen? Oder musste ich weiter gehen. In der Theorie über Pläne
sprechen fällt mir leichter als in der Praxis. Natürlich.
Ich überlegte fieberhaft, angestrengt, kreativ, über
verrückte Alternativen. Habe romantische Gedanken. 100 Tage mit Emma. 100 Tage
mit Ross. Das war mir zu wenig, kam es mir in den Sinn. Sechzig Tage waren ja schon
um. Nein. Unmöglich. Dann wurden die Einfälle immer abstruser. 100 Männer in
100 Tagen. Ein Experiment. Ich würde meinen Mann finden. Ginge das? Hätte ich
diese Energie? Oder konnte ich ihn umstimmen? So bezaubernd sein, das er mich
wollte. Immer wieder und immer wieder und letztendlich seine Meinung ändert?
Ich würde so nett zu Dir sein, das Du Dir wünschtest, das ich für immer bleibe.
Jetzt auch noch Pretty woman Zitate. Genug.
Ich atmete durch, verdaute und würde mich entspannen.
Solange es uns beiden gut ging, war alles gut. Ablaufdatum. Man ey. Hau' doch
ab!
Stunden später, meine Hände waren trocken, meine Augen
brannten leicht vor Müdigkeit und immer wieder wanderten meine Gedanken weg zu
ihm. Seine Augen, sein Blick der mich durchdrang, in den ich mich so reinlegen
konnte. Stand ich eigentlich auf blaue Augen? Alles fühlt sich einfach gut an.
Ich wollte zu ihm gehen und ihm sagen, dass er keine Angst haben sollte. Das
ich bleiben würde. Bei ihm. An seiner Seite. Weil ich nirgend wo anders sein
wollte. Im Moment. Und morgen und übermorgen und den Tag danach. Ich würde da
sein, weil ich ihn wollte. So sehr wollte ich ihn.
Und dann vergingen Tage. Tage in denen wir uns nicht sahen,
in denen wir sporadisch eine Nachricht am Tag hin und her schrieben und uns
wieder voneinander entfernten. Darin war ich nicht gut. Das wusste ich. Ich
brauchte Aufmerksamkeit. Ich bin zu sehr Frau, zu sehr Mädchen, die all die
Eigenschaften verkörpert, heimlich, ich will nicht drüber sprechen, das ich sie
habe, ich sage lieber, was für eine Mordskartoffel ich bin und in vielerlei
Hinsicht unkompliziert bin. Da stehen die Männer drauf. Aber ich lasse in
schwachen Momenten blicken, das ich ein Mädchen bin, das erobert werden will
und das natürlich schwache Momente hat.
Dass ich eine relative Ladung an emotionalem Gepäck in den
letzten Jahren gesammelt hatte, war ja tendenziell normal. Ich kannte niemanden
der keinen Ballast mit sich herum schleppte. In der Kennenlernphase erzählt man
ja gerne nach den ersten Dates, wenn man mal das Thema freigegeben hatte und
die Ex-Akten öffnete, das man alles gut verarbeitet hätte,- was war, die letzte
Beziehung schon so lange her sei, das man gar nicht mehr wisse, wann das genau
war. Ich hatte eine Faustregel, gehört und gesehen in dieser amerikanischen
Frauenserie. Das drüber hinweg kommen nach einer Beziehung dauert die Hälfte
der Zeit wie die Beziehung gedauert hat. Das kann man sicher in vielen Fällen
nicht pauschalisieren, aber bei mir hatte es bisher immer gestimmt. So war ich
bei der letzten Nummer solange alleine, das ich quasi Restefrei war. Leider
hatte ich das Pech, das er ein frisch nach der Hochzeit verlassenes,
materialistisches Beziehungstier war, der schon nach kurzer Zeit jeden Satz mit
„Wir" anfing. Ich konnte sowas nicht so gut. Hatte ich versucht. Ging nicht.
Erinnerte mich zu sehr ans Krankenhaus, wenn die Schwester sagt „So nun gehen
wir mal auf Klo!" oder Mama früher „Jetzt gehen wir alle noch mal auf Klo und
fahren dann los!" nee. Ich hatte es aber versucht. Wollte ja offen sein
gegenüber Neuerungen und you never know. Man weiß ja nie mit wem man es zu tun
hat... Mit der Zeit stellte sich heraus, dass dieser Mensch nichts für mich war.
In der Theorie weiß ich ja IMMER; das egal, wie ich mich in
einer Situation entscheide, verhalte oder handle, das alles gut wird, auch wenn
im ersten Moment die Karten vielleicht nicht die besten sind, die ich in der
Hand halte. Pokerface Baby. Vertrau Dir selber mehr und streck das Kinn gen
Himmel. Theoretisch hätte ich vor acht Jahren am Telefon Kinokarten gewonnen,
wäre ich ans Telefon gegangen. Aber ich saß grad auf dem Klo und hab Senso
gespielt. Als ich zurück rief, sagte die Frau, es hätte schon ein anderer
gewonnen.
Wie theoretisch ist das Glück auf Glück? Wie beeinflussbar?
Natürlich sehr. Menschen die „theoretisch" sagen sind ja meist nur in einer
Momentaufnahme aus Unsicherheit, Angst oder Überforderung gefangen.
Theoretische Gefühlslage natürlich. In der Theorie hab ich drei Anläufe
gebraucht und hab dann in der Praxis auch erst beim dritten Mal meinen
Führerschein bestanden. Teekesselchen.
Ich hatte kurz nach dem Materialistenarschloch jemanden
kennengelernt. Dieser Satz klingt in der Theorie auch immer sehr
vielversprechend. Es ist immer spannend jemand neues kennenzulernen. Dann
verbringt man die ersten sagen wir mal drei bis vier Monate miteinander, um
festzustellen, wie es läuft und geht, beschnuppern, kennenlernen. Auf ein paar
kleine Kompromisse muss man sich schon einlassen. Überwinden und sich denken,
„geht schon, das nächste Mal wenn er im Fünfsternerestaurant sitzt und sich mit
dem Ellbogen auf dem Knie beim Essen abstützt und einige Zentimeter über seine
Suppe schwebt, frag ich ihn einfach ob er seine Kontaktlinsen drin hat." Oder
„Warum machen wir eigentlich eine Uhrzeit aus, wenn er sich eh verspätet? Naja,
dann erweitere ich das akademische Viertel eben auf ein akademisches Halbes.
Theoretisch hatte man es ja schon längst gemacht. Denn theoretisch gesprochen,
ist ja alles nur eine Sache eines Satzes, einer Erklärung. Eines Anflugs von
Eigeninitiative, von Blitzgescheit in zehn Sekunden. Bravo! Theorie bestanden.
Dann kommt der Moment, wo sich von einem Tag auf den anderen etwas ändert.
Unmerklich. Und dann der Satz „Wir müssen reden..." in der Theorie kaut man (natürlich
tun das ja nur Frauen so extrem und so Dramamäßig) in Gedanken schon alles
durch. Hab ich was falsch gemacht, was ist das Problem. Das Gehirn wird auf den
Kopf gestellt. WAS WILL ER MIR SAGEN? Dann gibt es zwei Möglichkeiten. Die
erste: Er will vorschlagen, weils so gut läuft, mal richtig dicken Urlaub zu
planen und will meine Meinung zu Spinnen und Schlangen unauffällig abklopfen,
weil er tierisch Bock hat so nen Trip in den Dschungel zu machen. Wie McGyver.
Ich Tarzan, Du Jane. Die zweite: Er sagt mir, das er, wenn wir uns sehen
glücklich ist, das es sich gut anfühlt und das er gerne mit mir zusammen ist,
ABER das ihm wenn wir uns nicht sehen, etwas fehlte. Im ersten Moment wollte
ich nen Spruch bringen und sagen, „Klar, ich fehl dir! Logo Baby!" Nee. Sagte
er aber nicht. Er sagt "Dieses Kribbeln. Das man eben hat, wenn man verliebt
ist." Der schelmische Gesichtsausdruck verabschiedete sich mit einem
glitschigen Rutscher und was blieb war ein konsternierter, debil anmutender
Ausdruck, der in einer Schockstarre verharrte. Schnell sammeln und taktieren.
Denk denk. Ich wollte diesen Mann noch nicht verlieren. Das wusste ich sofort.
Abgesehen davon wusste ich aber auch, das ich ähnlich fühlte. Wenn wir zusammen
waren, war es toll, fantastisch. Er küsste wie ein junger Gott, für das was im
Bett passierte, hatte ich noch kein Superlativ gefunden. Seine Stimme, wenn er
mir was vorsang und dazu auf der Gitarre spielte, haute mich um. Manchmal saß
ich da und starrte seinen Arm an, beobachtete seine pulsierenden Adern, die
sich an seinem Unterarm, seinem schönen, männlichen Unterarm bewegten, und dann
setzte mein Hirn aus. Ich wurde dann ekstatisch und paralysiert zugleich. Ein
traumhafter Zustand. Da erschuf ich für Minuten ein eigenes Universum. Und ich
schwöre, manchmal wollte ich ihm die Gitarre aus der Hand reißen und ihn
küssen, bis ich keine Luft mehr bekam.
Nun war diese Situation nicht gegeben. Ich hatte eine
Theorie, die ich sofort versuchte in Praxis umzuwandeln. Mit Wortgeschick und
vor allem Charme. Augenaufschlag. Kurzer Rock. Zurückhaltung, er sollte kommen.
Verletzlichkeit, er sollte mich beschützen wollen. Ich versuchte meine Klappe
zu halten, nicht zu viel zu sagen, ihn kommen zu lassen. Ihm zu zeigen ,wie
sehr ich ihn respektierte und dann drehte sich alles wieder und ich würde nicht
anders können. Ich musste ihn küssen. Ihn spüren. Wollte von ihm gehalten
werden. Seine Klamotten runterreißen.... In der Theorie, während ich auf den
Abend, dieses Gespräch wartete, klang alles plausible, logisch, überzeugend.
Theoretisch wusste ich wie ich an die Sache ran gehen musste. Mein Herz machte
unregelmäßige Hüpfer und ich fühlee mich nicht gut. Angst hatte mich erobert,
noch nicht zur Gänze, ich ließ sie nicht die Oberhand gewinnen, aber sie war
verdammt nah dran.
Ich wusste, das egal, was sein würde, wie es weiter gehen
sollte, alles würde gut werden. Theoretisch weiß ich das ja immer...
Aber was war eigentlich mit der Praxis?
Seit ich wieder allein war. Das klingt jetzt melodramatisch
– weil es mir eigentlich gut ging. Das eigentlich stand da, weil ich mich
außerhalb der Arbeit kaum aus meiner Wohnung bewegte und die meiste Zeit damit
verbrachte zu rauchen, Wein zu trinken, Mash zu schauen, die Wohnung wieder und
wieder zu putzen, Bilder zu malen, laut Musik zu hören, mir ausgefallene Dinge
zu kochen und über das Leben nach zu denken. Wie es sein sollte und wie ich es
mir vorstellte und bitte mit derbem Heartbeat! Danke. Später vielleicht. Ich
wünschte mir den Mann der mir Nachrichten schrieb in denen stand „Bock auf
derbe kuscheln heute Baby?" so einen Mann wollte ich. Und eigentlich hatte ich
ihn schon gefunden. Eigentlich auch nur, weil er zu Beginn nicht Mister Perfect
war. Jedes Mal, wenn ich jemanden kennengelernt hatte, war es immer ein anderes
mal. Es war immer anders. Aber ich erwartete jedes Mal das Erdbeben, die
Totale, einfach der Goldregen der verbalen und emotionalen Konversation! Ein
Schauer der prickelnden Hautwellen jagte den anderen. Ich hatte mich dann auch
mit kleineren Explosionen zufrieden gegeben. Ich hatte vielen eine zweite
Chance eingeräumt und nicht nur die. Ebenso hatte ich mich dann auch gerne ein
zweites Mal getroffen. Bei ihm war es anders. Anfangs fand ich, das er ein
Vierer im Lotto sei. Einige Luft nach oben. Das hatte sich mittlerweile ein
wenig verändert. Ich war sehr dankbar, dass ich ihn kennengelernt hatte, das
ich ihn noch weiter kennenlernen durfte. Er hatte mir nicht nur diesen
oberflächlichen Zahn gezogen, er hatte mir mal wieder gezeigt, dass man mit der
Zeit Gefühle entwickeln kann, das alles mehr werden konnte, das aus einem
fünfer, ein Sechser werden konnte, vielleicht auch mit Zusatzzahl. Als ich zu
dieser Erkenntnis kam, waren wir nicht mehr zusammen. Er hatte Schluss gemacht.
War mir zuvor gekommen. Ich dachte immer, es käme auf die Zeit an, die Länge
die man zusammen ist, um eine Beziehung zu definieren. Das stimmte irgendwie
auch. Ich hatte mal was mit einem Typ vier Monate lang, aber zwischen uns lagen
500 Kilometer und wenn ich davon sprach, sagte ich nicht mein Exfreund, sondern
Techtelmechtel... mit Ross war das anders. Er war für mich der logische nächste
Schritt. Nach einigen Wochen, als wir schon ein paar Mal getestet hatten, wie
es so wäre, wenn wir uns in reiner Freundschaft mal für guten Bettenspaß trafen,
hatte er mir anvertraut, das er eine Vasektomie hatte machen lassen. Am Vortag.
Obwohl die Fronten geklärt waren, hatte
es eigentlich keine Überraschung dargestellt, war ich doch ein bisschen vor den
Latz gestoßen. Vielleicht auch, weil ich prämenstrual war. Wenn ich könnte,
würd ich meine Hormone in die Wüste schicken. Aber ich liebe meine Hypophyse
auch irgendwie. Sie half mir. Ich dachte nach wie vor gerne an ihn. Unter der
Woche vermisste ich ihn weiterhin nicht und wenn wir uns sahen, waren wir verrückt
nacheinander. Regenspaziergänge. Feuerwerk. Kusslawinen. Und ganz viel Spaß.
Man muss nicht immer alles definieren. Schwups. Ach ja? Hilf mir bitte hier
raus, sagte der Adler zu der Ente. Und dann geht die Ente zum Walross zum Tee.
Was aber eine der erstaunlichsten Dinge war, wer mich
kannte, wusste das es eine große Sache war,- er macht mich sprachlos.
Andauernd. Er küsste mich. Dann wurden meine Knie weich, mein Hirn setzte aus,
wenn ich aufblicket, konnte ich nur schauen. In seine blitzeblauen Augen. Die
verschlangen mich und er sagte „ich kann mich nicht an Dir satt sehen."
Tadaaaa! Einer der Momente die Frauen lieben. Er sagte es und nahm dabei-
Achtung – mein Gesicht zwischen seine großen Hände und küsste mich wieder.
Jawohl Baby, Hollywood! Aber wir redeten hier nicht von Liebe.
Missverständnisse vorbeugend. Wir hatten uns gern. Vielleicht hatten wir uns
auch lieb. Und wir schätzten den anderen mit Respekt und verehrten ihn und
nebenbei begehrten wir ihn auch mit Haut und Haaren. Tiefe und echte und
ziemlich große Begierde.
Während ich an ihn dachte, an seinen Entschluss, den ich
respektierte, fragte ich mich jedoch immer wieder – ich konnte nicht anders –
nach der Lage der Gefühle. Und die Hypophysmädels meldeten sich assap zu Wort.
Eine schrie „Laber doch nicht immer vom Entspannen, mach's halt auch mal!" eine
zweite sprang auf und brüllte „Warum müssen Weiber immer alles definieren?
Reicht nicht auch einfach Glück?"
Ich wollte mir erlauben glücklich zu sein. Einfach so. Mit
mir. Ohne Hilfe. In der hinteren Reihe applaudierte eine und sagte "ja. Das ist
der Weg. Geh den weiter. Der macht Dich ein Stück glücklicher und ein Stück
bringt er dich auf den Pfad der Unabhängigkeit, wo du hinwillst und vor allem
spürst du grade, das eine Veränderung bevor steht. Das ist gut."
Aber tief drinnen, wusste ich auch, dass ich nicht so ne
coole Socke war, wie ich manchmal vorgab. Dass ich ein Problem damit haben
würde, wenn er auf Weltreise gehen würde. Wenn er eine andere küssen oder sonst
was mit ihr tun würde. Von rechts haute mir ein Hypophysmädel mit voller Wucht
in den Magen und starrte mich wild an. Sie war zu wütend etwas zu erwidern, sie
drehte sich einfach um und verschwand in der Menge.
Ich blieb zurück und dachte über alles noch einmal nach.
Aber ich hatte mich bewegt. Ich stand ein Stück weite oben, von da hatte ich
einen besseren Blick. Vielleicht würd ich etwas entdecken, was ich noch nicht
gesehen hatte... vielleicht.
Ein neuer Morgen voller Energie und Sonne. Dass das warme
Wasser an dem Tag aus war, fand ich fast nicht nur erfrischend. Der Lauf in der
Morgenfrische hatte meinen lahmen Arsch auf Touren gebracht. Die Gedanken waren
sanft erwacht, hatten sich anfangs nur ums Tempo und Atmen gedreht und dann
alles in sich aufgenommen. Der Geruch von Bärlauch, der sich fast in jedem Teil
des Englischen Gartens erstreckte, war ein ständiger Begleiter und das Grün
wurde von Tag zu Tag satter und dichter.
Der Anblick der aufgehenden Sonne, die zwischen den Blättern
durch blitzte, erfüllte mich mit Zufriedenheit. Einmal mehr den Schweinehund
bekämpft zu haben, war gut. Die Träume, die mich nachts heim gesucht hatten,
wummerten in meinem Hirn noch nach und verursachten leichtes Herzklopfen. Wir
waren an einem See mit zügigem Schritt aufeinander zu gegangen, ohne uns aus
den Augen zu lassen. Der Kuss der beim Aufprall folgte, machte meine Knie
weich, mein Hirn setzte aus und ich schwebte. Ich liebte diesen Zustand und ab
und an kam mir der Gedanken, das ich ihn so sehr wollte, weil ich ihn nicht
haben konnte. Stimmte das? War es Liebe, die da mit im Spiel war? Ich konnte es
mir nicht vorstellen. Beim besten Willen nicht. Aber mein Atem ging schon
schneller, bei der Vorstellung unserer nächsten Begegnung. Da spielten sich
Dutzende Szenen vor meinem inneren Auge ab. Wie er die Tür aufmachte, ich in
seine Arme flog, sein Mund stürmisch den meinen suchte, unsere Blicke sich
zwischendurch trafen, aneinander festkleben. Unsere Hände sich verselbständigten,
außer Kontrolle gerieten. Wir uns treiben ließen im Strudel der Lust. Wir waren
auf unserer Insel, wo die Zeit still stand und es nur uns gab. Wunderschön. Und
gerade zu perfekt.
Wenn ich wach wurde, schriebe ich Liebesbriefe an einen
imaginären Geliebten. Denn das war er. Imaginär. Und sein Name war sicher nicht
Ross.
Mein imaginärer Geliebter
Ich muss ständig an Dich denken. Mein Herz sehnt sich nach
Dir und es möchte gerne jeden Augenblick anfangen loszulegen. Zu rasen vor
Freude, Aufregung, Spannung und Neugier.
Wenn ich mir vorstelle, was ich in meinem Leben noch alles
sehen möchte und welche Länder und Kontinente ich noch nicht gesehen habe,
welche Abenteuer ich noch erleben will, dann rattert mein Herz seicht los. Es
freut sich, weil ich mich freue.
Was mich erwartet und ob ich all das sehen werde, was ich
mir vornehme, weiß ich nicht. Aber ich weiß eines. Du bist meine Reise. Da wo
immer Du bist, findet das Abenteuer statt.
Da wo du bist, will auch ich sein.
In Liebe,
Deine Emma"
Dann lächelte ich und dachte bei mir, wie schön es war, das
es so einfach sein konnte. Für den Augenblick. Keine Schmerzen, keine
Sehnsucht. Die Momentaufnahmen genießen. Und stets die Grenze vor Augen haben.
Als ich letzten Mittwoch zu ihm fuhr, hatte ich ein
Dauergrinsen im Gesicht, Vorfreude im Bauch und hatte mich einfach gut gefühlt.
Mich hatte nicht mal aus der Fassung gebracht, als ein besoffener Teenie vor
mir in die Trambahn gekotzt hatte. Es
war wieder Wahnsinn. Superlative waren aus. Wahnsinn war alles. Und es wurde immer
noch besser und das Tolle: Es war irrsinnig entspannt. Ich war immer die
gewesen, weil ich ne frau bin spielte das sicher rein, die für alles mindestens
eine Definition brauchte. Die Definitionen auch gerne änderte, aber eben
definierte. Als ich am nächsten Tag mit ihm das Haus verließ, schwang er sich
nach einem langen, unglaublichen Kuss aufs Fahrrad. Ich drehte mich schon um,
da fuhr er mir noch mal hinter her und küsste mich noch einmal, fuhr davon und
schaute sich noch einmal im selben Moment um wie ich. Sehr beseelt fanden meine
Füße den Weg zum Bahnhof und ich war so in meiner Mitte, wie ich es nur sein
kann. Kein wenn. Kein Aber. Kein was ist das nur. Wenn wir uns sehen waren wir uns so unglaublich nah. Auf
so vielen Ebenen. Körperlich. Geistig. Verbal. Visuell... es war eben Wahnsinn.
Eben ohne Liebe. Und genau das wollte ich. Genauso. Natürlich freute ich mich,
wenn er mir vorschlug eine Kräuterwanderung mitzumachen oder mir weiter aus
„Per Anhalter durch die Galaxis" vorzulesen oder zu kochen, oder mir das
neueste Lied auf der Gitarre vorzuspielen oder mir die neueste Schote seiner
Exfreundin mit ihrem neuen Freund zu erzählen. Aber wir brauchten keine
Definition. Und sobald wir uns wieder trennten mit den Worten „Bis bald"
entfernten wir uns auch sofort wieder voneinander. Auf eben all diesen Ebenen.
Kein Vermissen. Keine Sehnsüchte. Nur die Erinnerung an die letzten Stunden,
die letzte Nacht, in die wir uns beide immer wieder reinlegten. Uns ab und zu
später am Tag oder am nächsten Tag schrieben.
Während ich den Weg heimreiste in einer inneren
Entspanntheit und meinem persönlichen Ying und Yang, feierten die
Hypophysemädels eine fette Party. Ein Banner spannte über der Bühne, wo drauf
stand „She got it!" und „Let it go!" (im Hintergrund performten einige von
Ihnen zum Eiskönigin Soundtrack und stießen die Schlagerfäuste in die
Luft) Theoretisch und grade auch sehr
praktisch konnte ich das nur bejahen. Kein Aber. Keine Definition.
Nach einigen Wochen war es immer noch entspannt. Unter der
Woche schrieben wir uns, was wir machten, begeisterten uns für den anderen und
waren Freunde. An den Wochenenden konnten wir die Finger nicht voneinander
lassen. Es konnte nicht entspannter sein. Ich wollte keine Beziehung, war auf
dem anti-Kindertripp und genoss mein Leben in vollen Zügen.
Dann fragte er mich, ob wir zusammen nach Barcelona fliegen
wollten. Weil ich Barcelona so toll fand und er noch nie da war und es seiner
Meinung nach, es ja lustig und entspannt werden könnte mit mir wegzufahren.
Eine Woche später hatte ich schon Flüge und Appartements rausgesucht und hatte
schon Urlaub mit Kollegen abgecheckt und war on fire. Dann war er unschlüssig,
weil er grad son fettes Musik Projekt am Start hätte und da nicht weg könnte.
Memo an mich selber: verhandle solche Dinge nie an PMS Tagen mit
Hangover-Tendenz kombiniert mit Regentag. Mir wurde wieder klar, wie gut es
war, das wir keine Beziehung führten. Ich hätte ihm den Kopf abgerissen. So
konnte ich mich einfach aus Facebook abmelden, seine Nachrichten ignorieren und
schmollen. Sein Glück, das er noch die Kurve bekommen hatte und es dann doch
zugesagt hatte. Auch merkte ich in letzter Zeit häufig, das es eben nichts für
lange Zeit war. Und grade weil es so unkompliziert war und keiner emotionalen
Schaden nahm, weil nun mal die Liebe fehlte, wusste ich, dass es nicht mehr von
Dauer sein würde.
Ich zog ein erstes Fazit aus dieser Erfahrung. Es war ein
wiederkehrender Prozess. Wenn man nicht verliebt war und da nichts zu vermissen
war, dann verschwand die Motivation sich zu sehen, wenn man wie wir, sich drei
Wochen nicht zu Gesicht bekommt hatte. Der Zauber der Unkompliziertheit
verflog, die schlüpfrige Konversation die mir versprochen wurde, fand nicht
statt und ich merkte, dass ich auf ein nicht definiertes Recht bestand,
Körperliches einzufordern. Weil sonst konnte man es ja auch lassen. Für eine
Zeit war es cool, dann ging es von alleine vorbei.
Meine Konzentration ging vollends auf mich und es gab nur
Me, myself and me again. Ich plante, verabredete mich, ohne Rücksicht auf
eventuelle Luftlöcher für ein Treffen. Für ihn war es sicher ähnlich, auch wenn
ich glaubte zu wissen, das er nicht ahnte, wie dicht das Ende dieser
Freundschaft war. Ein kleiner einleitender Plan hatte sich schon in mein Hirn
gebrannt. Jeden Morgen wieder richtig viel zu laufen, den Tag energetisch zu
beginnen, meine Form zurück zu bekommen, ich war ja Single, da musste man ja was
tun und das tun was mir Spaß machte und gut tat. Bis zum Wochenende. Da gab es
noch ein Zeitfenster für ihn. Wenn er mich sehen wollte, sollte er das sagen.
Wenn dann nichts käme, wars das. Dann sahen wir uns nämlich erst mal gar nicht
mehr, aus Zeitmangel und dann war uns die Sache ja auch nicht mehr so wichtig.
Die Suche nach Dir, mein imaginärer Freund bleibt also
spannend, auch wenn es momentan noch so ist, das ich kein Verlangen habe die
Suche oder das Finden zu beginnen. Dieser Sommer gehört mir. Und nur mir. Und
sicher auch Dir. Ich freue mich schon auf den Moment, auf den Tag an dem ich
Dir begegnen werde. Bald. Vielleicht.
Ich dümpelte von Tag zu Tag. Eine Erkältung brachte mich
noch mehr zum Stillstand als ohnehin schon geschehen. PMS im Kopf. Fühlte sich
wie Knete im Kopf an. Heute hatte ich es ihm geschrieben. Mal wieder nicht
deutlich, ich mochte diese Schreiberei nicht mehr – und er hatte es auch nicht
so verstanden, aber ich dachte der Satz „ich habe Angst, dass das mit uns im
Sande verläuft" würde schon reichen. Natürlich kam der einfache Mann nur auf
die Idee, das die Frau, mit der er nicht mal eine Beziehung führte, lediglich
Lustkompensat – sich anstellte, weil ihr mehr als vier Wochen nicht sehen zu
lang war. Und der Klartext: Die Anziehungskraft die ich empfunden hatte,
flachte immer mehr ab. Löste sich in Wohlgefallen auf. Es gab nur noch wenige
Augenblicke, wo ich dachte, oh jetzt hätte ich Lust auf ihn. Er war ja eh nicht
in der Nähe. Und an etwas festzuhalten, was eh keine Zukunft hatte... vielleicht
sollte ich einfach zusehen, das ich als erste die Reisleine zog. Meine Stimmung
war nicht die beste. Ich hatte nicht viel dazu beigetragen. Aber mir war klar,
dass ich aus dem Dunst meiner Faulheit langsam wieder raus musste. Nicht immer
die Extreme verfolgen, sondern die Mitte finden. Wie war die mir nur
abhandengekommen?
Tage verstrichen. Die Stadt lag unter der Sommerglocke.
Alles lief langsamer. Obwohl es doch das gleiche nur in heiß war. Der Drang
draußen zu sein, war so groß wie zu keiner anderen Jahreszeit im Jahr. Ich
radelte jeden Morgen in aller Früh ins Büro, brachte die Stunden im Büro gut
rum und freute mich im Anschluss ins erfrischende nass des Eisbachs zu hüpfen.
Jeder Lufthauch war willkommen und man hatte ständig schwitzende Handflächen.
Die vorrübergehende Lethargie hatte sich im Frühdunst des
Sonnenaufgangs verabschiedet. Positiv denken, war doch die Devise um auch
wieder zurück auf den Pfad der eigenen Tugend zu kommen... Ich hatte trotzdem das
Gefühl mich wieder mir selbst an zu nähern und wieder etwas ausgeglichener zu
werden. Ich machte mein Ding und niemand sagte mir wie ich es sonst tun sollte.
My Way.
Die Hitze hatte sich über Nacht verflüchtigt. Donnerschläge
hatten mich aus dem Schlaf geholt und der Regen hatte mich- Maschinengewehrschüsse-
wieder zurück geschickt. Am Morgen bekam ich wieder Luft. Es war Mittwoch und
er hatte sich angekündigt Samstag zu mir zu kommen. Ich war skeptisch, wollte
es mir jedoch noch einmal anschauen. Wie war die Gefühls- und vor allem
Lustlage, wenn man sich nach fünf Wochen wieder sah? Ich merkte jetzt schon,
das er verstanden hatte, das mich sein Musikprojekt nicht mehr so sehr
interessierte, als das ich davon jeden Tag in massiven ellenlangen Texten lesen
wollte und die Mischung aus dieser Sache und dem nicht sehen, machte den
Kompott etwas saurer, als er sein sollte. Der kleine dicke Elefant war wieder
da und hatte sich in einer Miniausgabe in meinen Bauch gepflanzt. Daneben saß
ein kleiner aufgeregter Spatz, der auf dem Rücken hin und her tippelte. Ich war
wieder im Fadenkreuz meiner Gedanken gefangen. Zuviel Zeit zum Nachdenken und
die Arbeit konnte mich nicht richtig ablenken.
Dann war das Wochenende gekommen und unspektakulär wieder
vorüber gegangen. Es war zum Glück nicht krampfig. Ich war ehrlich und sagte
ihm, das ich eine Aufwärmphase bräuchte, das eingetreten war, was ich befürchet hatte. Danach war ich ein bisschen leichter.
Die Party war in einem Alkoholnebel schön und ich erinnere mich, das
ich irgendwann zu ihm sagte „Da isser wieder!". Jedoch war das in dem Moment
der Alkohol, der die Vertrautheit zurückbrachte. Als die Tür am Sonntag hinter
ihm ins Schloss fiel, war er auch aus meinem Sinn sofort weg. Es hatte sich
doch etwas verändert. Die Leichtigkeit würde nicht mehr zurück kommen. Die Tage
danach ertappte ich mich bei unangenehmen Herzrasen, wenn er anfing von unserem
unmittelbar bevorstehendem Campingwochenende zu reden. Ich wollte raus.
Erinnerte mich plötzlich mit voller Wucht an meine Aversion gegen
Unzuverlässigkeit und Verplantheit. Und vor allem gegen chaotisches Wildcampen.
Mit so jemanden wollte ich grade auch nicht zwingend Kontakt haben. Es tat mir
nicht gut. Denk an Dich. Denk an Dich, dachte ich immer wieder. Die
Hypophysmädels standen im Kreis, dicht umschlungen, wiegten sie ihre kleinen
starken Körper in meditativem Einklang und einem stummen Rhythmus. Atme Baby,
atme.
Endlich. Ich fing an wieder aufzuatmen. Meine Lungen
waren freier, ich hatte den Anker eingeholt und den kleinen fetten Elefanten
rausgeworfen. Er sollte sich woanders breit machen. Es gab kein
Campingwochenende, ich konnte nicht. Meine Hypophyse hatte mir einen kleinen
Radcrash beschert und daher sagte ich ab. Es war befreiend. Gleich kamen wieder
Nachrichten über sein Thema. Und dann, hatte ich einfach mal nicht mehr
reagiert und ihm dann letztendlich die Wahrheit gesagt.
Sporadisch schrieb ich mir mit zwei anderen Typen. Merkte aber
schnell, das der eine ein Jammerlappen war, der ein
Hypochondern war, mich bis auf die Knochen nervte und der andere einfach ein
Langweiler war, der sehr kleinlich war und mit dem ich nicht mal im Ansatz auf einer Welle war. Ich wollte
jetzt der Egoist sein. Ich wollte mich nur noch um mich kümmern. Um niemand
anders mehr. Ich. Emma. Vorerst. Bis ich wieder frei wäre, die Lungen vollgepumpt von
Freiraum und mich wieder in mein inneres Haus eingegrooved hätte. Der emotionale
Balast vom letzten Jahr und auch die letzten Monate haben mir nicht so gut
getan, wie ich gedacht hätte. Dreh den Zeiger gen Null und starte von vorn.
Meine Hypophysemädels schwenkten eine Startflagge: „Auf die Plätze....
Fertiiiiig? .....LOOOOOOOS!"
Es war Sommer. Und ich war mittendrin.