Bier auf Bayrisch
Alles fing damit an, als ich ungefähr neun Jahre alt war. Ich fragte meinen Vater neugierig, was dieses gelbe, limoähnliche Getränk sei, das da vor ihm stand und ihm offensichtlich so gute Laune bereitete. Er ließ mich kurzerhand probieren. Ich trank einen Schluck und es war um mich geschehen. Ich wurde für den Rest meines Lebens geprägt: Nie wieder Bier. Eklig, bitter, schaumig.
Es ist nicht so, als hätte ich es in meiner Pubertät nicht wiederholt hartnäckig versucht. Auch jetzt noch, als junge Erwachsene, sage ich mir einmal im Jahr, ich sollte meinen Frieden mit diesem Trank schließen, schließlich ist die ganze Welt verrückt danach. Aber nichts zu machen. Eklig, bitter, schaumig. Gut, dachte ich, ich komme um dieses sozial bindende Getränk herum. Ist ja nicht so, dass ich stattdessen nicht etwas anderes Alkoholisches trinken könnte, was mir entweder die Lebensmittelindustrie oder die soziale Erwartung oder beide kombiniert zu bieten hätten.
Dazu muss man sagen, ich komme aus Bayern. Ich bin in Bayern geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, ich wohne und lebe in Bayern, ich sehe mich als Bayerin. Man kann Bier in Bayern umgehen, sagte ich mir. Pustekuchen. Bier ist nun mal Bier, Grundnahrungsmittel, Haupttourismusgrund, politisches Programm und neben Geld die zweite, gültige Währung in Bayern. Auf die Frage, können Sie mir einen Zehn-Euro-Schein wechseln, antwortet man schließlich auch nicht, tut mir Leid, ich besitze nur Deutsche Mark.
Nun arbeite ich seit Kurzem als Kellnerin für eine professionelle Cateringfirma. Auf die Bestellung eines Gastes „Ich hätte gern ein Weizen“ mit „Das tut mir Leid, ich habe leider nur Weißbier“ zu antworten, ist so ungefähr das Dümmste, was einem in Bayern als Kellnerin passieren kann. Für alle Nichtwissenden unter uns: Ein Bayer bestellt ein Weizen und meint damit ein Weißbier. Weißbier ist Weizen, Weizen ist Weißbier. Könnte man wissen, wenn man in Bayern groß geworden ist. Mit dieser Antwort habe ich mich als Kellnerin innerhalb einer Sekunde absolut blamiert. Das ist wie auf die Frage, „Dürfen wir bei Ihnen bestellen“ zu antworten, „Tut mir Leid, Sie können bei mir nur bestellen.“ Unwichtig, ob ich dafür jedes andere angebotene alkoholische Getränk in- und auswendig herunterbeten kann. Unwichtig, dass ich beispielsweise auf die Bitte nach einem Aperol Spritz aus dem Schlaf herunterfragen kann, ob er auf Weißweinbasis oder lieber mit Prosecco, als süße Variante mit Limonade oder doch mit Mineralwasser gestreckt zubereitet werden soll.
Jetzt gibt es viele Gefahren und Risiken, denen man als Kellnerin in Bayern ausgesetzt sein kann, nur leider keine Packungsbeilage, die einem davor warnt. Bestellt ein Bayer ein Bier, darf man nicht – und wenn es noch so freundlich ist – höflich nachfragen, welches Bier er denn gern hätte, Helles oder Weißbier. Bestellt ein Bayer ein Bier, meint er grundsätzlich Helles und nichts anderes.
Will er hingegen ein Radler, ist das ein Helles gemixt mit Limonade – ich vermute übrigens das, was ich als Neunjährige zu probieren bekam, denn mein Vater trinkt leidenschaftlich gerne Radler.
Will ein Bayer ein Russn – über die Namensgebung lässt sich politisch durchaus streiten – meint er ein Weißbier mit Limonade, aber wehe, man bietet ihm ein Bananenweizen an, denn Bier (hier ausnahmsweise gemeint Weizen, also Weißbier) gemischt mit Bananensaft, wo kämen wir denn da hin, das trinkt man doch in Bayern nicht. In meinen Augen macht es wenig Unterschied, ob man Weißbier mit Limonade oder mit Bananensaft mischt, in meinen Augen wäre das nur konsequent, aber ich habe gelernt, mit einem Bayer nicht darüber zu diskutieren, erst recht nicht, mit einem Radler-Trinker, dessen Geist vor lauter Zucker, Hefe oder wahlweise Alkohol bereits überschgewappt ist.
Im Übrigen gibt es auch leichtes, dunkles und alkoholfreies Weißbier, selbstverständlich auch alkoholfreies Helles, nicht zu vergessen Pils oder Mädchenbier wie Becks, und grundsätzlich ja immense Unterschiede zwischen den einzelnen Biermarken an sich – wie etwa Löwenbräu, Augustiner, Paulaner oder Tegernseer, um nur eine Auswahl zu nennen. Unterschiedliches Bier zu bevorzugen, kann bisweilen trennender sein als verschiedene politische Meinungen zu vertreten.
Bestelle ich in der Bar, in der ich eingeteilt bin, Radler-Schaum, also Bierschaum für das Radler, das ein Gast trinkt, werde ich mit den Worten ausgelacht, „Ge, heast, des is doch Helles, wos is denn a Radlerschaum für a Schmarrn, als nächstes gibt’s noch an alkoholfreien Radler.“
An dieser Stelle komme ich nicht unhin zu denken, warum denn eigentlich nicht, es gibt schließlich doch auch alkoholfreies Weißbier und bestimmt auch Menschen, denen das mit Limonade noch besser schmeckt als pur, ich meine, es gibt Menschen, die Weißbier mit Limonade mischen, (was nicht seltsamer ist, als Weißbier mit Bananensaft zu mischen, ich wiederhole es gern wieder), warum sollte es dann keine Biertrinker geben dürfen, die in ihr alkoholfreies Bier (also Helles, nicht wahr) Limo reinkippen?
Irgendein Gefühl sagt mir, dass diese Diskussion möglicherweise mehr Zeit kosten könnte, als das gesamte Bierangebot in Bayern alphabetisch rückwärts mit Angabe der genauen Inhaltsstoffe aufzusagen.
Ich bleibe vorerst dennoch dabei. Bier: Eklig, bitter, schaumig.
Mit manch Betrunkenem steht es im Übrigen manchmal genauso.