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Meine Realität ist nicht seine - Eine Kennenlerngeschichte

Text: WahnMitSinn

 



Ich traf ihn bei einem Essen mit Freuden. Er war groß, breit gebaut. Aus seiner Oberlippe ragten seltsame Piercings. Ich fragte mich im Geiste, wie schwierig es wohl sein müsse, an diesen Piercings vorbeizuküssen. Währenddessen versucht mein Mund mit ihm ins Gespräch zu kommen, aber da war nicht viel, worüber der große, breite Riese hätte reden wollen. Er machte diese Art von Scherzen, die man ab 3 Uhr nachts in Kneipen hört und über die man, ohne fünf Bier getrunken zu haben, nur ganz gequält lächelt. Aber wir versuchten es, zumindest mit der Unterhaltung. Tapfer hielten wir sie beim Essen durch, trafen uns ein paar Tage später zu einem Date.



Sex war ihm wichtig, soviel hatte er mir erzählt. Nur Kondome kurzfristig zu besorgen sei immer so schwer, da er keine Standardgröße habe. Zu groß, zu breit, versteht sich. Ich sagt ihm, dann solle er doch welche zum Treffen mitbringen. Dabei war ich noch längst nicht in der Das-Guck-Ich-Mir-Doch-Mal-An-Phase. Ich fand ihn hübsch. Mich faszinierte die Idee, dass meine Lippen und meine Zunge einen eleganten Weg an seinem Piercing vorbei finden würden. Charakterlich gab es bei ihm wenig, an dem ich hängen blieb. Er suchte eine feste Beziehung, erzählte er mir, nur um im selben Moment freudig strahlend zu berichten, er hätte an die Kondome gedacht. Zu diesem Zeitpunkt saßen wir bei strahlender Nachmittagssonne vor zwei alkoholfreien Getränken in einem Stadtcafé. Interessiert beobachtete ich, wie er beim Thema Sex spürbar verbal aufblüte. Er wurde nicht müde, seine Qualitäten anzupreisen. In diesem Moment war das Thema er und ich von mir so weit entfernt wie Timbukdu von Berlin. Wir machten einen langen Spaziergang und schwiegen immer öfter. Er fragte: „Macht es dir nichts aus, dass du besser reden kannst als ich?“ Doch, tat es, aber ich drückte mich um die Antwort, denn im Grunde war er zu nett für die Wahrheit. Wir gingen in einen Club. Ich tanzte, weil ich das Tanzen liebte und er beobachtete mich. Kurz darauf küssten wir uns. Es ging überraschend gut. Unsere Körper gefielen sich. Ohne Reden klappte das alles viel, viel besser. Ob er vielleicht doch jemand für eine Beziehung wäre? Ich war unschlüssig. Bewertete ich das Thema Kommunikation vielleicht über? War es nicht viel wichtiger einfach glücklich zu sein? Glücklich war ich als wir uns küssten. Es war schön und sorglos.



Ich lies ihn und seine Kondome alleine nach Hause gehen. Im Grunde wollte ich der Sache eine Chance geben, sich frei von Hormonen noch ein wenig zu entwickeln.



Kurze Zeit später lud er mich zu sich ein: Er wolle etwas Kochen und wir könnten einen DVD-Abend machen. Ich sagte zu. Während er das Essen zubereitete, berichtete er mir von seiner Ex. Wie toll sie gewesen sein. Wie unglaublich toll sie gewesen sein. Meine Alarmglocken läuteten. Er erzählte mir, dass er ja sonst nie mit älteren Frauen wie mir ausgehen würde. Ich war einige Monate älter als er. Die Rolle der älteren Frau irgendwo eingereiht in eine Reihe von Frauen, die er treffen wollte, aber weit hinter seiner Ex, gefiel mir nicht. Ich sprach es an: „Was willst du von mir?“ Er druckste herum, aber ein „Mehr!“ kam ihm nicht über seine Lippen. An diesem Punkt hätte ich gehen sollen. Stattdessen zogen wir uns auf die Couch zurück und er lies mich den Film aussuchen. Ich erinnere mich nicht mehr an den Film, aber es war ein Frauenfilm. So einer, den die wenigsten Männer freiwillig ansehen. Er konzentrierte sich nicht auf den Film, sondern darauf mir nahe zu kommen. Ich lies es zu und sagte: „Willst du nicht den Film sehen?“ Er: „Naja, du weißt doch, was DVD-Abend mit einer Frau heißt?“ Ich: „Nein, was heißt es denn?“ Er: „Na, da guckt doch keiner den Film. Da will man ficken.“ Ich schluckte, aber schüchtern im Bezug auf Sex war er ja nie gewesen. Hätte er auch nicht sein müssen, wenn da ein bisschen Gefühl im Spiel gewesen wäre. Auf einmal lag er auf mir. Fast 2m groß, kräftig gebaut. Ich ächzte, versuchte ihn wegzuschieben und schrie ihn an, als er nicht gleich darauf reagierte. Widerwillige rollte er von mir herunter. Er hatte nun kein Interesse mehr in meiner Nähe zu sein und war bemüht, mir nahe zu legen, schnell zu gehen. Ich fuhr heim.



Hin und wieder hörte ich, dass er mit Bekannten von mir ausging. Wenn mich jemand fragte: „Wie ist der so?“ Dann sagte ich: „Nicht grundsätzlich verkehrt, aber pass auf, dass er wirklich was Ernsthaftes von dir will.“ Dann verguckte er sich in eine Bekannte von mir und sie erzählte mir, sie hätten über mich gesprochen: Wie ich versucht hätte ihn ins Bett zu kriegen. Ich schluckte und stellte richtig. Leider hatte ich nicht die Größe, es einfach stehen zu lassen. Die Geschichte mit dem Anschreien erwähnte ich nicht. Ich sprach ihn darauf an: „Warum erzählst du so etwas?“ Er: „Weils stimmt. Du hast das doch gesagt mit den Kondomen und so“. Ich: „Du wusstest doch, dass ich nur eine feste Beziehung wollte. Deshalb wollte ich genau das nicht! Erinnerst du dich noch, dass du auf mir drauf lagst und ich dich weggestoßen und angeschrieen habe?“ Er erinnerte sich nicht, aber er gab mir die Schuld, dass die Bekannte, die er wollte, sich jetzt seit einiger Zeit nun nur noch sehr selten bei ihm meldete. Das sie längst einen Freund hatte und zu ihm ziehen wollte, ignorierte er. Er ertrug es nicht zweite Wahl zu sein. Für ihn war klar, dass ich ihr gutes Bild von ihm zerstört hatte und an allem Schuld war. Das wollte ich nicht, aber auch keine Trophäe sein, von der er noch stolz hinter meinem Rücken Geschichten erzählte.



Meine Realität dieser Kennenlerngeschichte ist nicht seine. Meine Variante dieser Geschichte ist aber wahr – für mich.

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