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Wie ticken die Chinesen denn so?– Ein kleines Alphabet Teil 1

Text: TerraIncognita

China ist weit weg. Und anders. Ich lebe nun schon seit vier Jahren hier und eigentlich ist doch alles normal. Oder etwa nicht? Das ich mich an viele Sachen gewähnt habe, die bei anderen Mitteleuropäern nur Staunen und sich wundern auslösen, merke ich immer dann, wenn ich deutsche Besucher durch die chinesische Hauptstadt begleite. Kleine und große Eindrücke.



 



A wie Abtreibung: Abtreibungen sind in China legal und seit Beginn der Einkindpolitik Bestandteil der Geburtenplanung. Sicherlich sind Abtreibungen für chinesische Frauen genauso traumatisch wie für ihre Geschlechtsgenossinnen in anderen Ländern. Kliniken mit Namen wie “Für die moderne Frau” oder „Marys Frauenkrankenhaus“ machen jedoch Werbung in pastellenen Farben und mit dem Versprechen, die Patientin könne nach der schmerzlosen Operation bereits am nächsten wieder im Büro sitzen. Ob im Bus, Taxi oder im Drogeriemarkt, die makabere Werbung findet man überall.



 



B wie Beten: In dem Land in dem sich die Mehrheit der Bevölkerung als Atheisten bezeichnet wird erstaunlich viel gebetet. Besucht ein Chinese einen Tempel (egal ob daoistisch, buddhistisch, konfuzianisch – ach, es kann auch eine Kirche sein) werden Räucherstäbchen angezündet und “Wünsche gemacht”. Insbesondere am Ende des Schuljahres sind die Tempel voll mit Schülern, die für das erfolgreiche Bestehen von Prüfungen beten.



 



C wie Chinesische Medizin: Chinesische Medizin ist mehr als Akupunktur. Kräutertees und Pillen mit den exotischsten Ingredienzien, Massagen und Schröpfen sind nur einige der Behandlungsmethoden. Und bis heute findet sich in fast jedem Krankenhaus eine Abteilung für chinesische Medizin. Ziel ist es den Fluss des geheimnisvollen Qis im Körper sicherzustellen und da kann es dann schon einmal sein, dass der Onkel Doktor einem sagt, man solle nicht so viel heißes essen. Dummerweise meint er damit nicht die Temperatur, sondern eine geheimnisvolles Klassifizierung aller Lebensmittel in “heiß” oder “kalt”. Mangos sind beispielsweise – aus mir unerfindlichen Gründen - heiß.



 



D wie Denkmalschutz: China boomt. Chinas Städte werden abgerissen, umgepflügt, neugebaut und das in Zyklen, die inzwischen nur noch knapp fünfzehn Jahre umfassen. Es wird innerstädtischer Platz für immer größere Shopping Malls, Bürogebäude und Apartmenthäuser für die aufstrebende Mittelschicht. Die noch vorhandenen Altstadtgebiete schrumpfen dabei immer mehr. Denkmalschutz gibt es – aber dieser wird nicht immer konsequent durchgeführt. Hin und wieder kommt die Diskussion auf, ob es nicht einfacher und rentabler sei nur ausgewählte wichtige historische Gebäude wie Tempel oder ehemalige Paläste zu schützen. Aber die junge Generation, die seit Beginn der politischen Reformen 1979 geboren und aufgewachsen ist entwickelt langsam nostalgische Gefühle und sucht in einer sich ständig modernisierenden Gesellschaft nach ihren Wurzeln. Und so kommt es dass man in Städten wie Beijing und Shanghai engagierte junge Menschen trifft, die sich für den Schutz alter Bauwerke kreativ gegen korrupte Beamte und vermögende Baufirmen durchsetzen.



 



E wie Eliteuniversität: Bildung war und ist in China der Schlüssel zum gesellschaftlichen Aufstieg. Wer im alten China die kaiserlichen Prüfungen bestanden hatte war ein gemachter Mann. Nach jahrzehntelangem Büffeln war das Ziel erreicht, die ehrenvolle Prüfung bestanden. Nicht viel anders ist im heutigen China. Eltern in allen Teilen des Landes wünschen sich für ihre Einzelkinder, dass sie nach bestandener „Gaokao“ (der landesweiten Aufnahmeprüfung) an der Universität studieren. Aber es gibt Unis und Unis. Die eine Sorte sind die Provinzuniversitäten, die grob gesagt nicht mehr wissen und können als der vielgescholtene deutsche Abiturient. Und es gibt die Eliteuniversitäten: Tsinghua, Beida, Fudan, Nankai und wie die großen Namen alle heißen. So manches Mal habe ich vor deren 22-jährigen Absolventen mächtig den Hut ziehen müssen.



 



F wie fette Chinesen: „Es gibt ja gar keine fetten Chinesen.“ Wie oft musste ich mir diesen Satz schon von deutschen Besuchern anhören. Doch! Es gibt tatsächlich fette Chinesen. Im Durchschnitt ist die chinesische Bevölkerung natürlich weitaus schlanker als die deutsche. Auch die chinesische Alltagskost scheint gesünder als Pizza und Würstchen. Aber die chinesischen Wirtschaftswunderjahre (nach Jahrzehnten der Mangelwirtschaft) zollen der Personenwaage Tribut. Und so erschallt bei jeder Delegation, die ich durch China begleite irgendwann der Ruf eines überraschten deutschen Gastes „Guck Mal da! Der erste fette Chinese, den ich sehe!“



 



G wie Goldene Woche: Chinesen haben wenig Urlaub. Für einen Berufsanfänger ist es normal gerade einmal drei Tage frei verfügbaren Urlaubs im Jahr zu haben. Der chinesischen Wirtschaft nutzt dies nicht unbedingt. Die Volksrepublik hängt am Export, der Binnenabsatz ist unterentwickelt. Der Otto-Normal-Chinese hat einfach nicht genug Zeit ihr schwer erarbeitetes Geld auszugeben! Darauf glaubt die Zentralregierung mit dem Konzept der „Goldenen Woche“ eine Antwort gefunden zu haben. Zum Frühlingsfest und zum Nationalfeiertag am 1.Oktober steht jedem Bürger eine Woche Urlaub zu. Eine ganze Woche? Das wäre ja fast zu schön, um wahr zu sein. Ganz so ist es dann nicht. Es muss entweder am Wochenende vorher oder nachher durchgearbeitet werden. Am Ende gibt es so nur fünf freie Tage. Und den Stress mit so vielen anderen Chinesen um die raren Zug und Flugtickets in die Heimatprovinz zu konkurrieren.



 



H wie Hongbao: Hongbao bedeutet roter Umschlag. Und in diesem in der Glücksfarbe rot bedruckten kleinen Umschlägen befindet sich Geld. Hongbaos sind das universelle Geschenk auf chinesischen Hochzeiten. Jeder Gast bringt einen Hongbao mit (und nichts anderes) und am Empfang zum Festsaal wird in einem großen roten Buch der Name des Schenkenden und die genaue Summe vermerkt. Der Betrag richtet sich nach der Beziehung zum Beschenkten, Chefs und gute Freunde geben mehr. Ein anderer Anlass für Hongbaos ist das Frühlingsfest. Dann werden die Kinder der Familie von der älteren Generation mit den Geldumschlägen beglückt.



 



I wie „I love China“: Wir Deutschen fühlen uns ja nicht wirklich unbedingt wohl dabei „Ich liebe Deutschland“ zu sagen. Mit kommt vielleicht gerade noch ein „Ich liebe wirklich klassische deutsche Musik, Bach, Beethoven, Brahms“ über die Lippen. Chinesen haben keinerlei Problem damit, ihre Liebe für das Vaterland kund zu tun. Als Chinese liebt man China. Und verkündet dies auch gerne. Mit Statusmeldungen auf MSN oder QQ (siehe unten) oder Stickern auf dem Auto. Nun gut, der Höhepunkt einer solchen „I love China“-Welle wird meist erreicht, wenn das Reich der Mitte gerade besonders aus dem Ausland kritisiert wird. Und mancher fragt sich dann, ob hinter den „I heart China“ Botschaften nicht doch auch Propaganda steckt.



 



J wie Jay Chou: China (oder besser gesagt, das ganze große chinesisch-sprechende Gebiet mit Festland, Taiwan, Hongkong, Singapore...) hat seine Superstars. Sie füllen Großarenen, ihre Filme sind Blockbuster und Milliarden werden verdient. Und im Westen kennt sie kaum einer. Andy Lau, Faye Wong,...Nun gut, Jackie Chan kennt man. Aber immer wieder macht sich einer der chinesischen Superstars auf, den Westen zu erobern. Gerade ist es Jay Chou, dessen Film „Die grüne Hornisse“ auch bei uns in den Kinos läuft. Jay Chou fing sehr jung in Taiwans Unterhaltungsindustrie an. Als Songwriter, da er nicht den gängigen und gewinnversprechenden Schönheitsvorstellungen entsprach. Überraschenderweise wurde sein erstes Soloalbum aber ein Hit und nun liegt ihm die chinesische Jugend zu Füssen. Ob er es wohl auch im Westen zu Berühmtheit schafft?

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