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jetzt und ich
Warum ich Andreas Bernards Vorn eher nicht lesen werde.
Nicht, dass es mich nicht reizen würde. Als ich gehört habe, dass diese Woche ein Schlüsselroman über das legendäre jetzt-Magazin der Mittneunziger erscheinen soll, klingelten bei mir tausend Glocken. Ich sofort musste daran denken, wie das war damals, mit dem jetzt und mit mir.
Zwischen 95 und 97 war ich eine unscheinbare Schülerin, die gerne Mohrenkopfsemmeln aß, Theater spielte und Straßenflirt mit ihren Freundinnen nachspielte. Leider mussten wir dazu Lehrer nehmen Jungs gab es in meiner Schule nämlich keine (und das mit dem Tanzkurs funktionierte dann nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte). In der Regel war ich darüber ganz froh und den Teil, dem das nicht passte, stellte ich mit dem Fänger im Roggen und dem Schreiben unterirdischer Gedichte ruhig.
Dienstag bis Sonntag zumindest.
Am Montag verwandelte ich mich dagegen in eine Besessene, die radikal einem Kult anhing. Einem Magazin-Kult, um genau zu sein. Ich stand dann um sechs Uhr auf, lauerte unserem Zeitungszusteller auf und kassierte die Süddeutsche. Danach begab ich mich bis 7 Uhr 30 auf mein Zimmer, zog das jetzt hervor und las alles von hinten nach vorn. Gelegentlich brüllte ich nach zwei Minuten meine Schwestern aus den Betten und zeigte ihnen einen angemarkerten Lebenswertpunkt. Der war dann von mir. Nach einer, auch Schule genannten, Zwangspause (gelegentlich sprachen mich Lehrer auf meine Punkte an und meinten, auch sie machten Filmfüllfotos), ging es endlich weiter: Ich machte mich an die dieswöchige Liste, die immer ganz genau 25 Punkte haben und um 17.30 Uhr im Briefkasten sein musste, um für das nächste Heft infrage zu kommen. Abschließend aß ich das Schnitzel vom Mittag und las entspannt alles noch einmal durch.
Warum das Theater?
Ganz einfach: Die Liste war die einzige Möglichkeit, irgendwie im Magazin vorzukommen. Irgendwie auch seinen Stempel zu hinterlassen in einem Kosmos, der aus damaliger Sicht absolut phantastisch sein musste. Die jetzt-Redakteure, waren offensichtlich super Jungs, die den perfekten Geschmack hatten, cool rumrauchten, und zwar alles wussten, sich aber nur für drei Dinge wirklich interessierten: 1. Wie kriege ich die Telefonnummer von dem hübschen Mädchen? 2. Wie komme ich in den Überclub? 3. Blur oder Oasis, jetzt? Die jetzt-Redakteurinnen waren offensichtlich überirdisch hübsch, hatten die perfekten Klamotten und wurden von Redakteuren (und natürlich allen anderen Jungs) angebetet.
Warum genau sie nun angebetet wurde, wusste ich immer nicht so genau, aber eigentlich was das egal: Von Johanna Adorján, Anne Siemes und den anderen Mädchen/Redakteurinnen hatte ich eh keine so genaue Vorstellung wie von Moritz von Uslar, Tobias Kniebe, Christoph Amend, Andreas Bernard, Claudius Seidl, Lars Reichart etc. Von denen bildete ich mir ein, ganz genau zu wissen, ob sie jetzt jeweils süß, schlau oder männlich waren. Rebecca Casati hielt ich für ein übercooles Mastermädchen (vermutlich waren die ganzen Redakteure heimlich nur in sie verliebt, mussten aber wegen Zickenkrieggefahr auch die anderen Mädels anbeten).
Woher ich das so genau wusste, wie die alle so waren? Naja, sie schrieben Texte drüber. Texte, die, wenn ich sie heute lese, viel von einer elitären Clique haben, in der sich trotzdem dauernd alle versichern müssen, dass es sowas von sind. Damals musste ich hingegen unbedingt wissen, wie Benjamin von Stuckrad-Barre sich so fühlte, wenn er eine Stunde lang in der Badewanne wartete, bis seine Freundin mit Schminken fertig war (der Arme!). Oder wie alleine ausgehen und abstürzen so war.
Ich selber ging natürlich niemals aus, sondern spielte höchstens mal Flaschendrehen auf irgendeiner katholischen Jugendfreizeit. Und ich schrieb Texte. Texte, die ziemlich unverschämt den Tonfall lässiger jetzt-Autoren nachahmten. Ich schrieb eine Menge, einige davon für die Schülerzeitung, einige einfach so. Irgendwann aber musste mich natürlich der Größenwahn packen: Ich schrieb einen Text und schickte ihn an die Redaktion. Zuvor hatte ich mich eine ganze Woche zurückgezogen, um die Adjektive in meiner Hasstirade über Schulsport zu perfektionieren.
Und siehe da: Es kam der Montag der Marienerscheinung.
Genau genommen war es nur der Redakteur Rudolph Spindler, der mich nach der Schule anrief, um mich für meinen Text zu loben, den er zwar leider gerade nicht brauchen konnte, aber trotzdem irgendwie gut fand. Aber vielleicht ja später mal. Und ach ja: Was hielte ich denn von dem neuen Heftkonzept? Zu meiner großen Überraschung fiel ich nicht sofort in Ohnmacht, sondern machte die (aus heutiger Sicht) schlecht getarnte Leserbefragung halbwegs souverän mit. Weil ich schon alle Texte des aktuellen Hefts semiauswendig konnte, was auch damals nicht ganz so oft vorzukommen schien, widmete mir Herr Spindler sogar zwei volle Stunden seiner Zeit. Und er lud mich in die qRedaktion ein.
Der Text ist dann nie erschienen. (Okay, er IST erschienen, aber im x-mag und das zählt ja nun wirklich nicht.)
Ich war auch nie in der Redaktion. Teilweise traute ich mich nicht. Hauptsächlich wollte ich aber auch gar nicht wissen, dass dort tatsächlich jemand arbeitete, Texte geschrieben und Deadlines eingehalten werden mussten. Dass die vielleicht alle gar nicht mal so hübsch waren.
Ehrlich gesagt, will ich das auch heute noch nicht wissen.
Deswegen werde ich Andreas Bernards Buch nicht lesen.
Nicht, dass es mich nicht reizen würde. Als ich gehört habe, dass diese Woche ein Schlüsselroman über das legendäre jetzt-Magazin der Mittneunziger erscheinen soll, klingelten bei mir tausend Glocken. Ich sofort musste daran denken, wie das war damals, mit dem jetzt und mit mir.
Zwischen 95 und 97 war ich eine unscheinbare Schülerin, die gerne Mohrenkopfsemmeln aß, Theater spielte und Straßenflirt mit ihren Freundinnen nachspielte. Leider mussten wir dazu Lehrer nehmen Jungs gab es in meiner Schule nämlich keine (und das mit dem Tanzkurs funktionierte dann nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte). In der Regel war ich darüber ganz froh und den Teil, dem das nicht passte, stellte ich mit dem Fänger im Roggen und dem Schreiben unterirdischer Gedichte ruhig.
Dienstag bis Sonntag zumindest.
Am Montag verwandelte ich mich dagegen in eine Besessene, die radikal einem Kult anhing. Einem Magazin-Kult, um genau zu sein. Ich stand dann um sechs Uhr auf, lauerte unserem Zeitungszusteller auf und kassierte die Süddeutsche. Danach begab ich mich bis 7 Uhr 30 auf mein Zimmer, zog das jetzt hervor und las alles von hinten nach vorn. Gelegentlich brüllte ich nach zwei Minuten meine Schwestern aus den Betten und zeigte ihnen einen angemarkerten Lebenswertpunkt. Der war dann von mir. Nach einer, auch Schule genannten, Zwangspause (gelegentlich sprachen mich Lehrer auf meine Punkte an und meinten, auch sie machten Filmfüllfotos), ging es endlich weiter: Ich machte mich an die dieswöchige Liste, die immer ganz genau 25 Punkte haben und um 17.30 Uhr im Briefkasten sein musste, um für das nächste Heft infrage zu kommen. Abschließend aß ich das Schnitzel vom Mittag und las entspannt alles noch einmal durch.
Warum das Theater?
Ganz einfach: Die Liste war die einzige Möglichkeit, irgendwie im Magazin vorzukommen. Irgendwie auch seinen Stempel zu hinterlassen in einem Kosmos, der aus damaliger Sicht absolut phantastisch sein musste. Die jetzt-Redakteure, waren offensichtlich super Jungs, die den perfekten Geschmack hatten, cool rumrauchten, und zwar alles wussten, sich aber nur für drei Dinge wirklich interessierten: 1. Wie kriege ich die Telefonnummer von dem hübschen Mädchen? 2. Wie komme ich in den Überclub? 3. Blur oder Oasis, jetzt? Die jetzt-Redakteurinnen waren offensichtlich überirdisch hübsch, hatten die perfekten Klamotten und wurden von Redakteuren (und natürlich allen anderen Jungs) angebetet.
Warum genau sie nun angebetet wurde, wusste ich immer nicht so genau, aber eigentlich was das egal: Von Johanna Adorján, Anne Siemes und den anderen Mädchen/Redakteurinnen hatte ich eh keine so genaue Vorstellung wie von Moritz von Uslar, Tobias Kniebe, Christoph Amend, Andreas Bernard, Claudius Seidl, Lars Reichart etc. Von denen bildete ich mir ein, ganz genau zu wissen, ob sie jetzt jeweils süß, schlau oder männlich waren. Rebecca Casati hielt ich für ein übercooles Mastermädchen (vermutlich waren die ganzen Redakteure heimlich nur in sie verliebt, mussten aber wegen Zickenkrieggefahr auch die anderen Mädels anbeten).
Woher ich das so genau wusste, wie die alle so waren? Naja, sie schrieben Texte drüber. Texte, die, wenn ich sie heute lese, viel von einer elitären Clique haben, in der sich trotzdem dauernd alle versichern müssen, dass es sowas von sind. Damals musste ich hingegen unbedingt wissen, wie Benjamin von Stuckrad-Barre sich so fühlte, wenn er eine Stunde lang in der Badewanne wartete, bis seine Freundin mit Schminken fertig war (der Arme!). Oder wie alleine ausgehen und abstürzen so war.
Ich selber ging natürlich niemals aus, sondern spielte höchstens mal Flaschendrehen auf irgendeiner katholischen Jugendfreizeit. Und ich schrieb Texte. Texte, die ziemlich unverschämt den Tonfall lässiger jetzt-Autoren nachahmten. Ich schrieb eine Menge, einige davon für die Schülerzeitung, einige einfach so. Irgendwann aber musste mich natürlich der Größenwahn packen: Ich schrieb einen Text und schickte ihn an die Redaktion. Zuvor hatte ich mich eine ganze Woche zurückgezogen, um die Adjektive in meiner Hasstirade über Schulsport zu perfektionieren.
Und siehe da: Es kam der Montag der Marienerscheinung.
Genau genommen war es nur der Redakteur Rudolph Spindler, der mich nach der Schule anrief, um mich für meinen Text zu loben, den er zwar leider gerade nicht brauchen konnte, aber trotzdem irgendwie gut fand. Aber vielleicht ja später mal. Und ach ja: Was hielte ich denn von dem neuen Heftkonzept? Zu meiner großen Überraschung fiel ich nicht sofort in Ohnmacht, sondern machte die (aus heutiger Sicht) schlecht getarnte Leserbefragung halbwegs souverän mit. Weil ich schon alle Texte des aktuellen Hefts semiauswendig konnte, was auch damals nicht ganz so oft vorzukommen schien, widmete mir Herr Spindler sogar zwei volle Stunden seiner Zeit. Und er lud mich in die qRedaktion ein.
Der Text ist dann nie erschienen. (Okay, er IST erschienen, aber im x-mag und das zählt ja nun wirklich nicht.)
Ich war auch nie in der Redaktion. Teilweise traute ich mich nicht. Hauptsächlich wollte ich aber auch gar nicht wissen, dass dort tatsächlich jemand arbeitete, Texte geschrieben und Deadlines eingehalten werden mussten. Dass die vielleicht alle gar nicht mal so hübsch waren.
Ehrlich gesagt, will ich das auch heute noch nicht wissen.
Deswegen werde ich Andreas Bernards Buch nicht lesen.