Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.
Tauschen ohne Geld
Sind Tauschringe Nachbarschaftshilfe oder Schwarzarbeit, Kapitalismuskritik oder Eigennutz?
In Deutschland ist die Tauschringszene seit 17 Jahren lebendig. Sie wird teils öffentlich gefördert, teils kritisch beäugt.
Die Tauschringlandschaft in Deutschland ist vielfältig. Vom Bodensee bis Flensburg, von Köln bis Dresden schließen sich Menschen zusammen und tauschen untereinander Dienst- und Sachleistungen aus. Das Spektrum ist bunt und reicht von A wie Alternative Medizin bis Z wie Zuhören. Die Tauschringidee stammt aus Kanada, wo 1979 das erste “Local Exchange Trading System” (LETS) gegründet wurde. Seit Beginn der Neunziger Jahre findet das Konzept auch in Deutschland Nachahmer. Das Prinzip ist einfach: Lisa mäht für Karl den Rasen. Karl richtet Oma Herta die Internetverbindung ein. Oma Herta hütet Lisas Tochter. Damit Angebot und Nachfrage zusammen kommen, inserieren die Mitglieder in einer regelmäßig erscheinenden Marktzeitung. So einfach die Funtionsweise eines Tauschringes ist, so unübersichtlich sind Ziele Motivation der Mitglieder.
Lebenszeit ist gleich Lebenszeit
Oliver Endrikat vom Tauschring Markt der Möglichkeiten in Friedrichshafen sieht Vorteile gegenüber dem herkömmlichen Markt. Der EDV-Fachmann lobt die niedrigen organisatorischen Schwellen im Tauschring. Auch ohne Firmengründung kann die Selbstständigkeit erprobt werden und Minimalstangebote, die auf dem freien Markt nicht rentabel wären, finden Abnehmer. Für Peter Scharl vom Tauschring Nimm&Gib Memmingen ist vor allem eines wesentlich: “Der Tauschring muss ein Spiegel der Gesellschaft sein! Da müssen auch Unternehmen mit rein.” Der rüstige Rentner ist stolz darauf, dass im Tauschring regionale Spezialitäten angeboten werden, beispielsweise vom Biobauern. Liesel Graf war früher Bilanzbuchhalterin und ist seit dreizehn Jahren in der Tauschbörse Witten aktiv. Die 72-jährige sagt, sie könne sich ein Leben ohne Tauschring nicht mehr vorstellen. Sie ist begeistert von dem Konzept: Lebenszeit ist gleich Lebenszeit. Die Aussage, die wohl die meisten Tauschringteilnehmer ein, lautet: “Ich kann mir Dinge leisten, die ich mir sonst nicht leisten könnte.”
Nehmen lernen
Doch auch der ungezwungene Kontakt untereinander bereitet vielen Freude. Häufig endet die Gartenarbeit mit einem Kaffetrinken. Besonders ältere Menschen schätzen es, dass sie nicht Bittsteller sind, sondern selbst etwas leisten können. So fällt es ihnen leichter, um Hilfe zu fragen. “Bei der normalen Nachbarschaftshilfe bleibt oft ein schlechtes Gewissen, weil die Leute nicht das zurück geben können, was vom anderen gebraucht wird.”, bestätigt Margit Kern vom Tauschring Gib&Nimm Nürnberg. “Durch den Ringtausch ist keiner verpflichtet demjenigen etwas zurück zugeben, von dem er etwas erhalten hat.” Es gibt aber viele Mitglieder, die sehr viel geben und erst einmal lernen müssen, zu nehmen. Die 50-jährige
Sachbearbeiterin musste sich selbst erst daran gewöhnen, nach einem Bandscheibenvorfall die Hilfe ihrer Tauschringnachbarn in Anspruch zu nehmen. Für solche Krisensituationen richten manche Tauschringe auch ein eigenes Spendenkonto ein. Auch für Jüngere bietet ein Tauschring Vorteile: “Wenn Leute neu in die Stadt kommen, können sie sich in Tauschringen wie unserem einfach fallen lassen.”, hebt Michaela Hirsch vom Tauschring IngolstadtEichstätt positiv hervor.
Organisierte Nachbarschaftshilfe
Die Grundidee vieler Tauschringe ist, dass jede Arbeit gleichwertig sein sollte. Elisabeth Fahlbusch, Teilnehmerin im LETS Tauschring München, sieht in der Gleichbewertung der Arbeit einen sozialen Ausgleich. Die Historikerin will mit dem Tauschring Gerechtigkeit in der Gesellschaft fördern: “Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Wenig angesehene und schlecht vergütete Jobs, die vor allem von Frauen ausgeübt werden, sollen
besser vergütet werden.” Außerdem fördere ein Tauschring den sozialen Ausgleich und soziale Kontakte, deshalb handele es sich um organisierte Nachbarschaftshilfe, so ein weit verbreitetes Argument. Der Deutsche Bundestag entschied 1997 in der Drucksache 13/6807 zwar, Tauschringteilnehmer seien keine Nachbarn im Rechtssinne. Doch Marc Kinert vom Bundesfamilienministerium rückt die Sache in ein etwas anderes Licht: “Aus unserer Sicht sind Tauschringe grundsätzlich eine besondere Form bürgerschaftlichen Engagements, deren Wirken auf dem Prinzip der Nachbarschaftshilfe beruht.” Kritiker werfen den Tauschringen jedoch vor, Schwarzarbeit zu betreiben. Vor allem, wenn professionelle handwerkliche Arbeiten angeboten werden. Die Tauschringteilnehmer argumentieren, für den Handwerker lohne sich die Anfahrt nicht, nur um einen Dübel in die Wand zu schlagen. Paul Laukötter vom Malerund Lackierverband Westfalen widerspricht dem. Er komme auch bei Kleinigkeiten zu seinen Kunden. Auch wenn er schätzt, dass sich die Tauschaktivitäten überwiegend auf der Bagatellebene abspielen, stuft er sie negativ ein: “Wir haben uns auf der Ebene unserer Handwerkerschaft ganz klar davon abgrenzt.” Da die Leistungen im Tauschring nicht direkt getauscht werden müssen, ist eine Verrechnungseinheit nötig. Für eine geleistete Stunde erhält ein Teilnehmer beispielsweise zehn “Talente” auf einem zinslosen Tauschkonto gutgeschrieben. Abweichend vom Ideal “Lebenszeit gleich Lebenszeit”, kann der Stundensatz fest sein oder frei verhandelbar. Jeder Tauschring handhabt das unterschiedlich. Auch eine Mischform aus Tausch- und Eurowährung ist möglich, beispielsweise Kilometergeld für Fahrdienste in Euro, die aufgewendete Zeit in Tauscheinheiten. Und natürlich hindert die Tauschpartner auch niemand daran, den Stundensatz selbst auszuhandeln. Wäre es nicht praktischer, in Euro abzurechnen? Andreas Artmann von der Lokalen Wirtschaftsinitiative Münster erklärt die Notwendigkeit einer eigenständigen Tauschwährung so: “Wenn einer im Monat 10.000 Euro zur Verfügung hat und ein anderer mit 600 Euro auskommen muss, dann hat ein Euro für die beiden nicht den gleichen Wert.”
“Geld” in anderer Form
Sind Tauscheinheiten Geld? Diese Frage hat eine zentrale Bedeutung für die Tauschringmitglieder. Denn Einkünfte müssen versteuert werden. Ulf Dräger von der Deutschen Numismatischen Gesellschaft, dem Dachverband der Münzsammler, sieht in den Tauschwährungen keinen Geldersatz, denn Geld funktioniere nur mit staatlichem Zwang. Aber grundsätzlich könne alles, was einen Wert hat, auch Geld sein. Thomas Kirchhammer, städtischer Beamter in Ingolstadt, sieht die Sache so: “Es werden Anrechte auf Leistungen erworben. Diese Anrechte können in Dienstleistungen beliebiger Art eingetauscht werden. Es handelt sich damit um "Geld" nur in anderer Form.” Martin Burholt aus Emsdetten listet daher die 40 bis 60 Arbeitsstunden die er jährlich im Tauschring ableistet für das Finanzamt auf. Der gelernte Tischler übt seinen Hauptberuf auch im Tauschring aus und hat ein Gewerbe angemeldet. Mit der Gewerbepflicht haben sich die meisten Tauschringe intensiv auseinander gesetzt. Sie kommen allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einig sind sie sich darin, dass professionelle Handwerker ein Gewerbe anmelden sollten. Und auch die Tatsache, dass für manche Tätigkeiten ein Eintrag in die sogenannte Handwerksrolle erforderlich ist, ist bekannt. Denn einige Berufe, wie beispielsweise Maler oder auch Frisör, sind geschützt und nicht jedermann darf sie ausführen. Der Tauschring Weinheim rät deshalb dazu, lediglich "handwerkliche Unterstützung" oder "Reparaturhilfe" anzubieten. Ob Laien ein Gewerbe anmelden müssen, darüber gehen die Meinungen bei den Tauschringen jedoch weit auseinander.
Jeder Fall ist ein Einzelfall
Die entscheidenden Kriterien für die Anzeigepflicht eines Gewerbes lauten: die Tätigkeit muss auf Dauer angelegt und auf Gewinnerzielung ausgerichtet sein. In vielen Fällen handelt es sich wahrscheinlich tatsächlich um Bagatelltätigkeiten. Aber um die Gewinnerzielung klein wirken zu lassen geben manche Tauschringe “nach außen” ein Umrechnungsverhältnis an nach dem eine Stunde einem Arbeitslohn von 2,50 Euro entspricht. Peter Scharl von Nimm&Gib Memmingen plädiert hier für mehr Ehrlichkeit. Als Faustformel gibt der Allgäuer an: “Bei mehr als 40 Stunden im Jahr sollte man ein Gewerbe anmelden, da hat man nur Vorteile davon.” Ab wann eine Tätigkeit nachhaltig ist, können Fachleute jedoch nicht pauschal beantworten. Ein Mitarbeiter der Industrie- und Handelskammer München stellt dazu fest: “Der Gesetzgeber hat den Gewerbebegriff absichtlich sehr offen gehalten.” Feste Grenzen gibt es nicht. Es ist nicht teuer, ein Gewerbe anzumelden. Die Kosten liegen zwischen 15 und 65 Euro. Dann wird der Gewerbetreibende allerdings Pflichtmitglied in der Industrie- und Handelskammer oder in der Handwerksammer, je nach Art des Gewerbes. Aber wenn der Umsatz unter 5.200 Euro pro Jahr liegt müssen sogenannte Bagatellgewerbetreibende keine Beiträge zahlen. Das Gewerbeamt
informiert zudem noch weitere Stellen, beispielsweise das Finanzamt und die Bundesagentur für Arbeit.
Keine Ausnahmen für Unternehmer in Tauschsystemen
Charlotte Weigelt, stellvertretende Pressesprecherin des bayerischen
Landesamts für Steuern teilt mit, dass Umsätze steuerlich erfasst werden müssen, wenn Unternehmer innerhalb eines Tauschsystems an einem Tauschvorgang teilnehmen. Für Unternehmer sind stets sämtliche Geschäfte steuerlich relevant. Bei einem Tausch richtet sich die Einnahme nach dem Wert des erhaltenen Gegenstandes oder der Dienstleistung. Kleinunternehmer brauchen aber keine Umsatzsteuer zahlen. Privatpersonen sollten allerdings eines beachten: “Auch nicht gewerbliche Betätigungen sind steuerpflichtig,
wenn dadurch Einkünfte von jährlich mindestens 256 Euro erzielt werden.”, so Charlotte Weigelt. Einkommensteuer muss aber nur gezahlt werden, wenn das zu versteuernde Einkommen über den gesetzlichen Freibeträgen liegt. Auf ihren Webseiten raten einige Tauschringe ihren arbeitslosen Mitgliedern, nicht mehr als 15 Stunden in der Woche im Tauschring zu arbeiten. Laut dem Bundesarbeitsministerium unterliegt die Tätigkeit in einem Tauschring jedoch keiner zeitlichen Begrenzung. Empfänger des Arbeitslosengeldes II hätten auch keine Leistungskürzungen zu befürchten, so die Behörde.
“Es gibt nichts schlimmeres, als auf dem Sofa zu hocken”
Eine Sprecherin des Hauses merkt allerdings an: “Es ist präzise zu
unterscheiden, in welchem Umfang Einnahmen erzielt werden, die über Bagatellen hinausgehen.” Anja Huth von der Pressestelle der Bundesagentur für Arbeit sieht die Tauscheinheiten jedoch nicht als Währung an, auch nicht als sogenannten “geldwerten Vorteil”. Sie stellt klar: “Wenn kein Geld fließt, müssen Arbeitslose oder Hartz IVEmpfänger das nicht angeben.” Sie müssen allerdings weiterhin verfügbar sein, also täglich ihren Briefkasten leeren und sie dürfen einen Termin nicht absagen, weil sie Kinder hüten. Anja Huth sieht
in den Tauschringaktivitäten von Arbeitslosen auf jeden Fall positive Effekte: “Es gibt nichts schlimmeres, als wenn man zu Hause auf dem Sofa hockt.” Die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen oder Menschen mit Behinderung ist vielen Tauschringen ein Anliegen. Nicht immer gelingt sie. Dörte Krause (Name geändert) vom Talente Tauschring BraunfelsWetzlar berichtet: “Wir haben massig Probleme.” Unter den 50 Mitgliedern sind viele Arbeitslose, die jedoch keine Struktur mehr gewohnt sind in ihrem Tagesablauf. “Sie sind unzuverlässig.”, klagt die Rentnerin. Elisabeth Fahlbusch vom LETS Tauschring München kennt hingegen positive Beispiele: “Bei Arbeitslosigkeit sind Menschen gefährdet in ein schwarzes Loch zu fallen. Der Tauschring kann hier ein soziales Netzwerk und sinnvolle Betätigungsmöglichkeiten bieten.” Natürlich locken Tauschringe auch Menschen an, die das System ausnutzen. Dass Leute ihren Umzug mit Hilfe der Tauschringmitglieder organisieren und viele Minusstunden auf dem Konto hinterlassen, ist ein weit verbreitetes Problem. In nahezu allen Tauschringen gibt es daher eine Grenze, bis zu der das Konto überzogen werden darf. Für das alltägliche Tauschgeschäft ist es wichtig, sich gut abzusprechen. Ist einer der Tauschpartner unzufrieden, muss er das in der Regel selbst klären. In einigen Tauschringen gibt es aber auch Streitschlichter, die bei
Schwierigkeiten vermitteln. Wer viel tauscht sollte sich privat absichern. Der TalenteRing Rhein Westerwald rät seinen Mitglieder aber dringend zu überprüfen, ob die private Unfallversicherung auch die Tauschringaktivitäten abdeckt. Und auch die Privathaftpflicht hat ihre Tücken: in vielen Policen sind Gefälligkeitsschäden nicht enthalten. Wer ein Gewerbe angemeldet hat, ist allerdings Unternehmer und haftet selbst.
“Absolut überflüssig”
Während die Tauschringmitglieder großen Spaß am Tauschen haben, stößt das Konzept bei Wirtschaftsexperten auf Unverständnis. Professor Rüdiger Pohl von der MartinLutherUniversität HalleWittenberg hält Tauschsysteme für “absolut ineffizient und überflüssig”. Während die Tauschringe weg wollen vom gegenwärtigen Profitdenken hält der Wirtschaftswissenschaftler dagegen, Profit habe eine Funktion: “Wie soll ein Unternehmer denn seine Maschinen finanzieren?” Professor Martin Rosenfeld befürchtet gar einen Rückschritt ins Mittelalter. Der Stadtökonom vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle erklärt: “Üblicherweise wird der Preis über den Markt geregelt. Über Tauscheinheiten ist das komplizierter und man ist an dieses Netzwerk gekettet.” Ulf Dräger vom Dachverband der deutschen Münzvereine räumt zwar ein, dass es für den Staat problematisch wäre, wenn die Tauschringe zu groß würden. “Aber sie haben auf alle Fälle ihre Nische und es ist sympathisch, dass sie diesen Fluch des Zinseszins umgehen.”, so Ulf Dräger. Positiv findet der Münzexperte auch, dass Tauschringe trotz der Globalisierung eine Regionalisierung bewirken: “In der Anonymität unserer Großstädte entstehen Beziehungsgeflechte gegenseitiger Hilfestellung.” “So groß werden Tauschringe nie sein, dass sie die Geldwirtschaft ablösen.”, beschwichtigt Elisabeth Fahlbusch vom LETS Tauschring München, mit über 1000 Mitgliedern einer der Größten in Deutschland. Sie rechnet jedoch mit einem verstärkten Zulauf im nächsten Jahr, wenn die Arbeitslosigkeit ansteigt. “Tauschringe sind da, wo kein Geld ist und können Menschen, die nicht so viel Geld zum Ausgeben haben, eine gute zusätzliche Möglichkeit bieten, ihren Bedarf zu decken.”, erläutert Elisabeth Fahlbusch. “Nach dem Krieg wurde auch viel getauscht.”
zahlreiche Adressen im Internet
Wer sich einem Tauschring anschließen möchte kann zunächst im Internet recherchieren, ob es bereits einen Tauschring in seiner Nähe gibt. Die Webseite Tauschringportal.de listet über 350 Links zu Tauschringen in Deutschland. Mehr als hundert Links sind jedoch veraltet. Auf Tauschringadressen.de soll eine neue Datenbank entstehen, auf der die Tauschringe ihre Adressen selbst aktualisieren können. Kleine Tauschringe bieten oft nur ein beschränktes Angebot. “Ab hundert macht es richtig Spaß!”, verrät Peter Scharl aus Memmingen. Und die Münchnerin Elisabeth Fahlbusch hält 400 Mitglieder für die optimale Tauschringgröße. Gibt es keinen aktiven Tauschring kann man auch selbst einen gründen. Kostenlose Tauschringsoftware ist im Internet verfügbar. Ein eingetragener Verein erleichtert den Kontakt mit öffentlichen Behörden und bietet zudem den Vorteil, dass die Mitglieder nicht mit ihrem Privatvermögen haften müssen. Wem das zuviel Aufwand ist, der kann sich auch auf OnlinePlattformen registrieren. Auf Exchangeme.de kann man nach Tauschbereiten in seiner Nähe suchen ohne gleich einem Tauschring beizutreten.
In Deutschland ist die Tauschringszene seit 17 Jahren lebendig. Sie wird teils öffentlich gefördert, teils kritisch beäugt.
Die Tauschringlandschaft in Deutschland ist vielfältig. Vom Bodensee bis Flensburg, von Köln bis Dresden schließen sich Menschen zusammen und tauschen untereinander Dienst- und Sachleistungen aus. Das Spektrum ist bunt und reicht von A wie Alternative Medizin bis Z wie Zuhören. Die Tauschringidee stammt aus Kanada, wo 1979 das erste “Local Exchange Trading System” (LETS) gegründet wurde. Seit Beginn der Neunziger Jahre findet das Konzept auch in Deutschland Nachahmer. Das Prinzip ist einfach: Lisa mäht für Karl den Rasen. Karl richtet Oma Herta die Internetverbindung ein. Oma Herta hütet Lisas Tochter. Damit Angebot und Nachfrage zusammen kommen, inserieren die Mitglieder in einer regelmäßig erscheinenden Marktzeitung. So einfach die Funtionsweise eines Tauschringes ist, so unübersichtlich sind Ziele Motivation der Mitglieder.
Lebenszeit ist gleich Lebenszeit
Oliver Endrikat vom Tauschring Markt der Möglichkeiten in Friedrichshafen sieht Vorteile gegenüber dem herkömmlichen Markt. Der EDV-Fachmann lobt die niedrigen organisatorischen Schwellen im Tauschring. Auch ohne Firmengründung kann die Selbstständigkeit erprobt werden und Minimalstangebote, die auf dem freien Markt nicht rentabel wären, finden Abnehmer. Für Peter Scharl vom Tauschring Nimm&Gib Memmingen ist vor allem eines wesentlich: “Der Tauschring muss ein Spiegel der Gesellschaft sein! Da müssen auch Unternehmen mit rein.” Der rüstige Rentner ist stolz darauf, dass im Tauschring regionale Spezialitäten angeboten werden, beispielsweise vom Biobauern. Liesel Graf war früher Bilanzbuchhalterin und ist seit dreizehn Jahren in der Tauschbörse Witten aktiv. Die 72-jährige sagt, sie könne sich ein Leben ohne Tauschring nicht mehr vorstellen. Sie ist begeistert von dem Konzept: Lebenszeit ist gleich Lebenszeit. Die Aussage, die wohl die meisten Tauschringteilnehmer ein, lautet: “Ich kann mir Dinge leisten, die ich mir sonst nicht leisten könnte.”
Nehmen lernen
Doch auch der ungezwungene Kontakt untereinander bereitet vielen Freude. Häufig endet die Gartenarbeit mit einem Kaffetrinken. Besonders ältere Menschen schätzen es, dass sie nicht Bittsteller sind, sondern selbst etwas leisten können. So fällt es ihnen leichter, um Hilfe zu fragen. “Bei der normalen Nachbarschaftshilfe bleibt oft ein schlechtes Gewissen, weil die Leute nicht das zurück geben können, was vom anderen gebraucht wird.”, bestätigt Margit Kern vom Tauschring Gib&Nimm Nürnberg. “Durch den Ringtausch ist keiner verpflichtet demjenigen etwas zurück zugeben, von dem er etwas erhalten hat.” Es gibt aber viele Mitglieder, die sehr viel geben und erst einmal lernen müssen, zu nehmen. Die 50-jährige
Sachbearbeiterin musste sich selbst erst daran gewöhnen, nach einem Bandscheibenvorfall die Hilfe ihrer Tauschringnachbarn in Anspruch zu nehmen. Für solche Krisensituationen richten manche Tauschringe auch ein eigenes Spendenkonto ein. Auch für Jüngere bietet ein Tauschring Vorteile: “Wenn Leute neu in die Stadt kommen, können sie sich in Tauschringen wie unserem einfach fallen lassen.”, hebt Michaela Hirsch vom Tauschring IngolstadtEichstätt positiv hervor.
Organisierte Nachbarschaftshilfe
Die Grundidee vieler Tauschringe ist, dass jede Arbeit gleichwertig sein sollte. Elisabeth Fahlbusch, Teilnehmerin im LETS Tauschring München, sieht in der Gleichbewertung der Arbeit einen sozialen Ausgleich. Die Historikerin will mit dem Tauschring Gerechtigkeit in der Gesellschaft fördern: “Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Wenig angesehene und schlecht vergütete Jobs, die vor allem von Frauen ausgeübt werden, sollen
besser vergütet werden.” Außerdem fördere ein Tauschring den sozialen Ausgleich und soziale Kontakte, deshalb handele es sich um organisierte Nachbarschaftshilfe, so ein weit verbreitetes Argument. Der Deutsche Bundestag entschied 1997 in der Drucksache 13/6807 zwar, Tauschringteilnehmer seien keine Nachbarn im Rechtssinne. Doch Marc Kinert vom Bundesfamilienministerium rückt die Sache in ein etwas anderes Licht: “Aus unserer Sicht sind Tauschringe grundsätzlich eine besondere Form bürgerschaftlichen Engagements, deren Wirken auf dem Prinzip der Nachbarschaftshilfe beruht.” Kritiker werfen den Tauschringen jedoch vor, Schwarzarbeit zu betreiben. Vor allem, wenn professionelle handwerkliche Arbeiten angeboten werden. Die Tauschringteilnehmer argumentieren, für den Handwerker lohne sich die Anfahrt nicht, nur um einen Dübel in die Wand zu schlagen. Paul Laukötter vom Malerund Lackierverband Westfalen widerspricht dem. Er komme auch bei Kleinigkeiten zu seinen Kunden. Auch wenn er schätzt, dass sich die Tauschaktivitäten überwiegend auf der Bagatellebene abspielen, stuft er sie negativ ein: “Wir haben uns auf der Ebene unserer Handwerkerschaft ganz klar davon abgrenzt.” Da die Leistungen im Tauschring nicht direkt getauscht werden müssen, ist eine Verrechnungseinheit nötig. Für eine geleistete Stunde erhält ein Teilnehmer beispielsweise zehn “Talente” auf einem zinslosen Tauschkonto gutgeschrieben. Abweichend vom Ideal “Lebenszeit gleich Lebenszeit”, kann der Stundensatz fest sein oder frei verhandelbar. Jeder Tauschring handhabt das unterschiedlich. Auch eine Mischform aus Tausch- und Eurowährung ist möglich, beispielsweise Kilometergeld für Fahrdienste in Euro, die aufgewendete Zeit in Tauscheinheiten. Und natürlich hindert die Tauschpartner auch niemand daran, den Stundensatz selbst auszuhandeln. Wäre es nicht praktischer, in Euro abzurechnen? Andreas Artmann von der Lokalen Wirtschaftsinitiative Münster erklärt die Notwendigkeit einer eigenständigen Tauschwährung so: “Wenn einer im Monat 10.000 Euro zur Verfügung hat und ein anderer mit 600 Euro auskommen muss, dann hat ein Euro für die beiden nicht den gleichen Wert.”
“Geld” in anderer Form
Sind Tauscheinheiten Geld? Diese Frage hat eine zentrale Bedeutung für die Tauschringmitglieder. Denn Einkünfte müssen versteuert werden. Ulf Dräger von der Deutschen Numismatischen Gesellschaft, dem Dachverband der Münzsammler, sieht in den Tauschwährungen keinen Geldersatz, denn Geld funktioniere nur mit staatlichem Zwang. Aber grundsätzlich könne alles, was einen Wert hat, auch Geld sein. Thomas Kirchhammer, städtischer Beamter in Ingolstadt, sieht die Sache so: “Es werden Anrechte auf Leistungen erworben. Diese Anrechte können in Dienstleistungen beliebiger Art eingetauscht werden. Es handelt sich damit um "Geld" nur in anderer Form.” Martin Burholt aus Emsdetten listet daher die 40 bis 60 Arbeitsstunden die er jährlich im Tauschring ableistet für das Finanzamt auf. Der gelernte Tischler übt seinen Hauptberuf auch im Tauschring aus und hat ein Gewerbe angemeldet. Mit der Gewerbepflicht haben sich die meisten Tauschringe intensiv auseinander gesetzt. Sie kommen allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einig sind sie sich darin, dass professionelle Handwerker ein Gewerbe anmelden sollten. Und auch die Tatsache, dass für manche Tätigkeiten ein Eintrag in die sogenannte Handwerksrolle erforderlich ist, ist bekannt. Denn einige Berufe, wie beispielsweise Maler oder auch Frisör, sind geschützt und nicht jedermann darf sie ausführen. Der Tauschring Weinheim rät deshalb dazu, lediglich "handwerkliche Unterstützung" oder "Reparaturhilfe" anzubieten. Ob Laien ein Gewerbe anmelden müssen, darüber gehen die Meinungen bei den Tauschringen jedoch weit auseinander.
Jeder Fall ist ein Einzelfall
Die entscheidenden Kriterien für die Anzeigepflicht eines Gewerbes lauten: die Tätigkeit muss auf Dauer angelegt und auf Gewinnerzielung ausgerichtet sein. In vielen Fällen handelt es sich wahrscheinlich tatsächlich um Bagatelltätigkeiten. Aber um die Gewinnerzielung klein wirken zu lassen geben manche Tauschringe “nach außen” ein Umrechnungsverhältnis an nach dem eine Stunde einem Arbeitslohn von 2,50 Euro entspricht. Peter Scharl von Nimm&Gib Memmingen plädiert hier für mehr Ehrlichkeit. Als Faustformel gibt der Allgäuer an: “Bei mehr als 40 Stunden im Jahr sollte man ein Gewerbe anmelden, da hat man nur Vorteile davon.” Ab wann eine Tätigkeit nachhaltig ist, können Fachleute jedoch nicht pauschal beantworten. Ein Mitarbeiter der Industrie- und Handelskammer München stellt dazu fest: “Der Gesetzgeber hat den Gewerbebegriff absichtlich sehr offen gehalten.” Feste Grenzen gibt es nicht. Es ist nicht teuer, ein Gewerbe anzumelden. Die Kosten liegen zwischen 15 und 65 Euro. Dann wird der Gewerbetreibende allerdings Pflichtmitglied in der Industrie- und Handelskammer oder in der Handwerksammer, je nach Art des Gewerbes. Aber wenn der Umsatz unter 5.200 Euro pro Jahr liegt müssen sogenannte Bagatellgewerbetreibende keine Beiträge zahlen. Das Gewerbeamt
informiert zudem noch weitere Stellen, beispielsweise das Finanzamt und die Bundesagentur für Arbeit.
Keine Ausnahmen für Unternehmer in Tauschsystemen
Charlotte Weigelt, stellvertretende Pressesprecherin des bayerischen
Landesamts für Steuern teilt mit, dass Umsätze steuerlich erfasst werden müssen, wenn Unternehmer innerhalb eines Tauschsystems an einem Tauschvorgang teilnehmen. Für Unternehmer sind stets sämtliche Geschäfte steuerlich relevant. Bei einem Tausch richtet sich die Einnahme nach dem Wert des erhaltenen Gegenstandes oder der Dienstleistung. Kleinunternehmer brauchen aber keine Umsatzsteuer zahlen. Privatpersonen sollten allerdings eines beachten: “Auch nicht gewerbliche Betätigungen sind steuerpflichtig,
wenn dadurch Einkünfte von jährlich mindestens 256 Euro erzielt werden.”, so Charlotte Weigelt. Einkommensteuer muss aber nur gezahlt werden, wenn das zu versteuernde Einkommen über den gesetzlichen Freibeträgen liegt. Auf ihren Webseiten raten einige Tauschringe ihren arbeitslosen Mitgliedern, nicht mehr als 15 Stunden in der Woche im Tauschring zu arbeiten. Laut dem Bundesarbeitsministerium unterliegt die Tätigkeit in einem Tauschring jedoch keiner zeitlichen Begrenzung. Empfänger des Arbeitslosengeldes II hätten auch keine Leistungskürzungen zu befürchten, so die Behörde.
“Es gibt nichts schlimmeres, als auf dem Sofa zu hocken”
Eine Sprecherin des Hauses merkt allerdings an: “Es ist präzise zu
unterscheiden, in welchem Umfang Einnahmen erzielt werden, die über Bagatellen hinausgehen.” Anja Huth von der Pressestelle der Bundesagentur für Arbeit sieht die Tauscheinheiten jedoch nicht als Währung an, auch nicht als sogenannten “geldwerten Vorteil”. Sie stellt klar: “Wenn kein Geld fließt, müssen Arbeitslose oder Hartz IVEmpfänger das nicht angeben.” Sie müssen allerdings weiterhin verfügbar sein, also täglich ihren Briefkasten leeren und sie dürfen einen Termin nicht absagen, weil sie Kinder hüten. Anja Huth sieht
in den Tauschringaktivitäten von Arbeitslosen auf jeden Fall positive Effekte: “Es gibt nichts schlimmeres, als wenn man zu Hause auf dem Sofa hockt.” Die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen oder Menschen mit Behinderung ist vielen Tauschringen ein Anliegen. Nicht immer gelingt sie. Dörte Krause (Name geändert) vom Talente Tauschring BraunfelsWetzlar berichtet: “Wir haben massig Probleme.” Unter den 50 Mitgliedern sind viele Arbeitslose, die jedoch keine Struktur mehr gewohnt sind in ihrem Tagesablauf. “Sie sind unzuverlässig.”, klagt die Rentnerin. Elisabeth Fahlbusch vom LETS Tauschring München kennt hingegen positive Beispiele: “Bei Arbeitslosigkeit sind Menschen gefährdet in ein schwarzes Loch zu fallen. Der Tauschring kann hier ein soziales Netzwerk und sinnvolle Betätigungsmöglichkeiten bieten.” Natürlich locken Tauschringe auch Menschen an, die das System ausnutzen. Dass Leute ihren Umzug mit Hilfe der Tauschringmitglieder organisieren und viele Minusstunden auf dem Konto hinterlassen, ist ein weit verbreitetes Problem. In nahezu allen Tauschringen gibt es daher eine Grenze, bis zu der das Konto überzogen werden darf. Für das alltägliche Tauschgeschäft ist es wichtig, sich gut abzusprechen. Ist einer der Tauschpartner unzufrieden, muss er das in der Regel selbst klären. In einigen Tauschringen gibt es aber auch Streitschlichter, die bei
Schwierigkeiten vermitteln. Wer viel tauscht sollte sich privat absichern. Der TalenteRing Rhein Westerwald rät seinen Mitglieder aber dringend zu überprüfen, ob die private Unfallversicherung auch die Tauschringaktivitäten abdeckt. Und auch die Privathaftpflicht hat ihre Tücken: in vielen Policen sind Gefälligkeitsschäden nicht enthalten. Wer ein Gewerbe angemeldet hat, ist allerdings Unternehmer und haftet selbst.
“Absolut überflüssig”
Während die Tauschringmitglieder großen Spaß am Tauschen haben, stößt das Konzept bei Wirtschaftsexperten auf Unverständnis. Professor Rüdiger Pohl von der MartinLutherUniversität HalleWittenberg hält Tauschsysteme für “absolut ineffizient und überflüssig”. Während die Tauschringe weg wollen vom gegenwärtigen Profitdenken hält der Wirtschaftswissenschaftler dagegen, Profit habe eine Funktion: “Wie soll ein Unternehmer denn seine Maschinen finanzieren?” Professor Martin Rosenfeld befürchtet gar einen Rückschritt ins Mittelalter. Der Stadtökonom vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle erklärt: “Üblicherweise wird der Preis über den Markt geregelt. Über Tauscheinheiten ist das komplizierter und man ist an dieses Netzwerk gekettet.” Ulf Dräger vom Dachverband der deutschen Münzvereine räumt zwar ein, dass es für den Staat problematisch wäre, wenn die Tauschringe zu groß würden. “Aber sie haben auf alle Fälle ihre Nische und es ist sympathisch, dass sie diesen Fluch des Zinseszins umgehen.”, so Ulf Dräger. Positiv findet der Münzexperte auch, dass Tauschringe trotz der Globalisierung eine Regionalisierung bewirken: “In der Anonymität unserer Großstädte entstehen Beziehungsgeflechte gegenseitiger Hilfestellung.” “So groß werden Tauschringe nie sein, dass sie die Geldwirtschaft ablösen.”, beschwichtigt Elisabeth Fahlbusch vom LETS Tauschring München, mit über 1000 Mitgliedern einer der Größten in Deutschland. Sie rechnet jedoch mit einem verstärkten Zulauf im nächsten Jahr, wenn die Arbeitslosigkeit ansteigt. “Tauschringe sind da, wo kein Geld ist und können Menschen, die nicht so viel Geld zum Ausgeben haben, eine gute zusätzliche Möglichkeit bieten, ihren Bedarf zu decken.”, erläutert Elisabeth Fahlbusch. “Nach dem Krieg wurde auch viel getauscht.”
zahlreiche Adressen im Internet
Wer sich einem Tauschring anschließen möchte kann zunächst im Internet recherchieren, ob es bereits einen Tauschring in seiner Nähe gibt. Die Webseite Tauschringportal.de listet über 350 Links zu Tauschringen in Deutschland. Mehr als hundert Links sind jedoch veraltet. Auf Tauschringadressen.de soll eine neue Datenbank entstehen, auf der die Tauschringe ihre Adressen selbst aktualisieren können. Kleine Tauschringe bieten oft nur ein beschränktes Angebot. “Ab hundert macht es richtig Spaß!”, verrät Peter Scharl aus Memmingen. Und die Münchnerin Elisabeth Fahlbusch hält 400 Mitglieder für die optimale Tauschringgröße. Gibt es keinen aktiven Tauschring kann man auch selbst einen gründen. Kostenlose Tauschringsoftware ist im Internet verfügbar. Ein eingetragener Verein erleichtert den Kontakt mit öffentlichen Behörden und bietet zudem den Vorteil, dass die Mitglieder nicht mit ihrem Privatvermögen haften müssen. Wem das zuviel Aufwand ist, der kann sich auch auf OnlinePlattformen registrieren. Auf Exchangeme.de kann man nach Tauschbereiten in seiner Nähe suchen ohne gleich einem Tauschring beizutreten.