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Interview mit Vincent Urban von Isenseven

Das Licht geht aus. Der Beamer wirft einen Lichtkegel auf die Wand vor mir. Über 3000 Leute schauen gespannt hoch, denn sobald der erste Ton erklingt und das erste Bild auf der Leinwand flackert, geht die Party los. Die Zuschauer gehen von Anfang an mit. Es wird getanzt, gegrölt und gejubelt eben eine typische Isenseven Filmpremiere, mitten im Epizentrum der Fan-Hysterie: München.
Isenseven, das waren einmal sieben Jungs aus dem kleinen Städtchen Isen, die im Jahr 1999 anfingen, sich mit der kleinen Videokamera gegenseitig beim Snowboarden zu filmen. Ihre Art Filme zu machen begeisterte so viele Leute, dass sie jetzt, 10 Jahre später, zu den besten Snowboardfilmproduktionen Europas gehören.
Die Crew ist international. Das Herzstück von Isenseven sind die drei fürs Kreative: Vincent, Alex und Felix. Einer, der von Anfang an dabei war, ist Vincent Urban, Filmer und Editor bei den Isenern. Mit ihm habe ich mich anlässlich ihres neuen Films, Lets go get lost(Erscheint im Herbst 2009) unterhalten.
Hey Vincent, wir sind grade mitten im Hochsommer. Was machst du zu dieser Zeit?
Ich komme gerade von einem Dreh. Heute haben wir unser erstes Intro gefilmt und ich bin komplett nassgeschwitzt.
Ihr filmt auch im Sommer?
Ja, wir drehen die Zwischenszenen zu unserem Film immer im Sommer. Erst wenn die ganzen Aufnahmen vom Winter im Kasten sind, weiß man wie der Film aussehen wird. Darauf passen wir dann die übrigen Szenen an. Ansonsten arbeite ich an Schnittprojekten für andere Firmen, filme Skaten in der Stadt, liege am Eisbach rum oder trinke Tegernseer am Gärtnerplatz. München ist wundervoll im Sommer.
Wie würdest Du Leuten, die Euch nicht kennen, Isenseven beschreiben?
Heute würde ich sagen, wir sind eine kleine Filmproduktion. Früher hätte ich gesagt, wir sind wahlweise eine saucoole Snowboardcrew oder ein totaler Sauhaufen.

Foto: Lorenz Holder
Isenseven ist mittlerweile eine der bekanntesten Produktionen in ganz Europa. Gibt es ein Geheimnis für Euren Erfolg?
Nein! Absolut nicht. Zumindest weiß ich nichts davon. Wir machen seit acht Jahren mit Herzblut Filme und arbeiten dafür 365 Tage im Jahr. Es macht Spaß, natürlich, aber es ist auch ein anstrengender Job. Wir sind ständig motiviert, immer besser zu werden und glücklich, dass ein bisschen Erfolg nicht ausbleibt. Das Geheimnis heißt schlicht: Arsch aufreißen.
Lets go get lost ist der Titel Eures neuen Films. Wie seit ihr darauf gekommen, versteckt sich da etwa ein tieferer Sinn hinter?
Entgegen unserer üblichen straffen Saison-Planung haben wir uns dieses Jahr einfach treiben lassen und sind mit dem Motto "wird scho werdn, klappt eh immer" in den Winter gestartet. Wir hatten absolut keine Ahnung was wir eigentlich tun sollten. Wirklich konkret wurde es immer erst zwei Tage vor Abflug. Aber bei so wenig Vorlauf passiert es dann auch schon mal, dass man verwirrt irgendwo in Skandinavien herumläuft. Uns schien der Titel sehr passend. "Back to Sauhaufen" hätt es auch getan.
Der Titel hätte mir auch gefallen. Wie man schon im Trailer sehen kann, habt ihr mal wieder keine Mühen gescheut. Gab es einen Fortschritt gegenüber der letzten Saison?
Auch wir gehören leider zu den Kindern von Papa Finanzkrise. Die Snowboardindustrie ist Anfang des Jahres vor Schreck zusammengezuckt und vor allem im Marketing wurden wahllos Budgets gestrichen; da sind wir nicht verschont geblieben. Was den technischen Aufwand betrifft, haben wir also keine großen Sprünge machen können, sondern eher gespart, wo es nur ging. Aber wir haben schon gute Ideen für die Postproduktion, um den Film trotzdem außergewöhnlich zu gestalten.

Foto: Creager
Ein häufiges Problem in den letzten Jahren waren ja immer die vielen Verletzten. Wie lief es dieses Jahr? Wieder hohe Krankenhausrechnungen?
Ja. Das Lazarett war leider gut gefüllt. Publikumsliebling Marco Smolla hat sich Anfang des Jahres das Kreuzband gerissen und musste sich während der Saison mit bayrischen Kulturaktivitäten beschäftigen. Unser neuer Marc Swoboda hat sich gleich zweimal das Bein gebrochen und Christophe Schmidt war nach einem Bänderriss in der Schulter auch unbrauchbar. Daneben gibt es natürlich noch eine Vielzahl kleinerer Wehwehchen. Aber gerade dadurch, dass wir ohnehin schon ein sehr kleines Team sind, haben die Verletzungen auch die Planung stets ordentlich durcheinandergebracht.
Kommen wir zu etwas heiteren Sachen. Der Song im DVD-Menü von Teenage Love Graffiti, Eurem letzten Film, war von Euch selbst produziert. Darf man dieses Jahr wieder Ähnliches erwarten?
Auf jeden Fall. Im letzten Jahr haben Alex Schiller und ich viel musiziert. Er spielt jetzt auch noch Klavier und ich habe mir eine Geige zugelegt. Für den Gesang gibt es auch schon eine Kandidatin. Wir hoffen, nach Ende des Filmschnitts noch Luft zu haben, damit wir uns in unser kleines Garageband-Studio verkriechen können, um für die DVD noch eigene Stücke einzuspielen. Irgendwann gibt's hoffentlich auch mal Lieder, die wir nicht nur für den Film machen.
Könnt Ihr von dem Verkauf Eurer Filme und der Klamotten überhaupt leben?
Ganz und gar nicht. Der Verkauf der Filme und das Merchandising ist eine Nullnummer - man nimmt in etwa genauso viel ein wie die Produktion eben kostet. Ohne die Budgets der Sponsoren gäbe es einen solchen Film nie. Aber selbst das reicht nicht aus, um davon Miete und Bier bezahlen zu können. Deshalb arbeiten wir nebenbei an vielen Produktionen für Firmen außerhalb des Snowboardbereichs. Das ist nicht nur gutes Geld, sondern auch eine willkommene Abwechslung. Bei 100% Snowboarden über so lange Zeit hat man irgendwann einen an der Schüssel.
So wie beispielsweise Eure Arbeit für die Lufthansa?
Du Spion! Aber ja, ganz richtig. Lufthansa arbeitet gerade an einer Art multimedialen Reiseführer-Plattform im Internet und wir sind da für das Editing zuständig. Und um deiner Frage zuvorzukommen: Nein, wir fliegen jetzt trotzdem nicht First-Class und gratis um den Globus. Wir müssen immer noch radln.

Wann wurde Dir klar, dass du professioneller Snowboardfilmer werden willst?
Das war vor fünf Jahren in Japan. Ich war mit dem Snowboard-Verband-Deutschland als Kameramann auf Worldcup-Tour unterwegs und noch völlig grün hinter den Ohren. Durch eine absurde Verkettung von Ereignissen war ich allein mit Vinzenz Lüps, einem Paradiesvogel sondergleichen, im japanischen Niemandsland unterwegs, während der Rest der Crew schon in Tokio abhang. Wir haben uns durch die Labyrinthe japanischer Schriftzeichen gekämpft und sind erst nach langer Reise wieder in Tokio angekommen. Bis dahin war ich eher der Typ, der die heimische Sicherheit und Geborgenheit hoch schätzte. Aber durch Vinzenz' Einfluss und die dort gesammelten Erfahrungen, wurde mir klar, dass ich nur noch Reisen und Snowboardfilme machen wollte.
Nachdem wir mit Dir im japanischen Niemandsland waren, würde mich interessieren, was denn die typischen Probleme sind, mit denen Du dich beim Filmen immer so rumplagst?
Man muss verdammt früh aufstehen. Es ist meistens arschkalt und man muss viel schleppen - gerne auch mal bergauf durch Tiefschnee. Man kriegt einen echten Lagerkoller mit lauter skandinavisch brabbelnden Jungspunden im Wohnmobil auf Bergpässen ohne W-LAN. Dazu kommt, dass man nur sehr wenige Erlebnisse einfach für sich genießen kann, ohne den Drang zu haben, sofort die Kamera auspacken zu müssen.

Gerade für Euch ist ja gutes Wetter und viel Schnee wichtig: Was macht ihr, um das Ozonloch zu verkleinern?
Ozonloch? Das war doch mal in den 90gern der große Aufschrei. Das erinnert mich an die Venga Boys und Mister Scatman. Also, ich bin mir sicher, unsere Kühlschränke arbeiten ohne FCKW. Ansonsten machen wir da aktiv recht wenig. Und wenn's um globale Erwärmung und Naturschutz im Allgemeinen geht, sollte man als Snowboarder eh schnell Deckung suchen. Im Ernst, um diesen Sport in seiner jetzigen Form zu betreiben, mit den riesigen Parks, die dafür gebaut werden, dem Schnee, der dafür künstlich hergestellt wird und der Fliegerei, die die Snowboarder dafür aufbringen müssen, wird wahrscheinlich so viel Energie verblasen wie damals für das Projekt Mondlandung.
Einige Firmen wollen sich ja jetzt den Naturschutz als Marketing-Gag auf's Programm schreiben, aber das finde ich irgendwie verlogen. Als würde man sich das Gewissen reinigen, wenn man in einem künstlich beschneiten Park fährt, für den der Wald abgerodet werden musste, nur weil man ein T-Shirt aus biologisch abbaubarem Material trägt.
Bisher fand ich Im a Scatman immer cool. Hat Euch der Bürgermeister von Isen eigentlich je für eure Promotion gedankt?
Nicht direkt. Aber wir wissen, dass er es würdigt, wie viele andere der Einwohner von Isen. Meine Familie fragt mich auch oft, ob wir denn nicht mal einen Event in der Stadthalle machen wollen, damit die Leute uns sehen und kennenlernen. Fraglich ist, ob es je dazu kommt. Auf einen Schweinsbraten mit Sigi, dem Bürgermeister, würde ich aber schon gehen.
Die kennen Euch also gar nicht persönlich in Isen? So wie kaum einer Dieter Bohlen in Tötensen persönlich kennt?
Naja, viele kennen den Alex oder mich als kleines Kind. Aber heute besuchen wir nur unsere Familie, wenn wir überhaupt mal nach Isen kommen. Ich lebe ja bereits seitdem ich 6 Jahre alt bin in München.
Was sagst Du dazu, dass selbst vor Isenseven die Internet-Raubkopiererei nicht Halt macht?
Natürlich hätte ich es gerne, wenn Jeder den Film legal kauft. Auf der anderen Seite, hat man mit einer Snowboard-DVD stets Verkaufsprobleme. Die liegt ja nicht gerade im Mediamarkt herum. Als Filmeschaffender bin ich zwar froh, dass dadurch wenigstens sehr viele Menschen auf der Welt unsere Filme sehen. Aber als Unternehmer knirschen mir natürlich die Zähne. Da sich das Problem stetig ausweitet, überlegen wir - wie viele andere Filmemacher auch - neue Wege der Vermarktung und Finanzierung. Internet killed the videostar!
Wie schwierig ist es, sich nach mehrwöchigem Schneiden des Films und anschließendem Party-Marathon wieder für die neue Saison zu motivieren und neue Ideen zu entwickeln?
Außerordentlich. Das geht leider inzwischen auch nicht mehr von selbst. Da sitzt man verkatert rum und versucht klar nachzudenken. Es braucht ein bisschen Zeit, klappt aber meistens.
Schlussfrage: Welche Pläne habt Ihr für Isenseven?
Da möchte ich momentan nicht zu viel verraten. Sicher ist, dass wir uns auf allerlei Bereiche ausweiten werden. Dabei wollen wir uns auch noch stärker auf München konzentrieren und versuchen, viel von der hiesigen Jugendkultur filmerisch darzustellen. Nach jahrelangem Reisen lockt die Heimat.
Okay. Lets Go Get Lost!
Premiere von "Let's Go Get Lost" ist am 18. September im der Alten Kongresshalle in München
www.isenseven.de
Das Interview führte Niklas Vogt