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ÖDIPUSKOMPLEX für Beginner

Text: sJMs
Freud ist der Erfinder der Populärwissenschaften. Keine Theorie hat so viele verschiedenen Sozial- und Bildungsschichten angesprochen wie seine des psychischen Apparates und der kindlichen Entwicklung. Vor allem die Theorie des Ödipuskomplexes hat maßgeblich zur Popularität beigetragen.



Heut morgen, mit dem Kaffee in der Hand, hat mir das Lernen wirklich Spass gemacht. Mein Examen in der Literaturwissenschaft steht an und als ich heute meine Zusammenfassung nochmal durchgelesen habe, viel mir auf wie absurd die Theorie des Ödipuskomplexes doch wirklich ist. Irgendwie völlig daneben aber auch irgendwie grandios. Man tendiert dazu sie völlig zu verwerfen und ins Lächerliche zu ziehen; insgeheim ist man aber verblüfft und findet sich sogar vielleicht in Ansätzen wieder. Viele kennen seine Theorie, aber eben meistens nur ansatzweise, das ist schade. Hier eine kurze Einführung.



Sigmund Freud geht von einer infantilen Sexualität aus, indem er behauptet, dass bereits im Kleinkindalter sexuelle Energien zum Tragen kommen. „Das Sexualleben beginnt nicht erst mit der Pubertät, sondern setzt bald nach der Geburt mit deutlichen Äußerun-gen ein“ (Freud 1941, S. 75).



Sexualität nach Freud ist der Lustgewinn aus Körperzonen, so genannte „erogene Zonen“. Im Laufe der kindlichen Entwicklung der Sexualität –der „Libidoentwicklung“ – sind bestimmte Regionen des Körpers –vor allem oral (sexuelle Befriedigung durch Lutschen, Dinge in den Mund nehmen), anal (Ausscheiden und Aufhalten der Aus-scheidung von Exkrementen) und phallisch (autoerotische und masturbatorische Betätigungen) – verschieden dominant. Jacques Lacan geht davon aus, dass die Dominanz der Regionen durch Sozialisation vermittelt wird: Welche Regionen am Ende der Entwicklung erogen "bleiben" hängt davon ab inwiefern Gesellschaft (vor allem Eltern) bestimmte Zonen als erogen deklariert. Normen, Werte, Gesetze vermittelt durch Sprache bestimmen was erogen ist und was nicht: „The body is overridden with signifiers“, so Lacan. Lacan kann somit erklären wieso erogene Zonen bei Männer anders stark ausgeprägt sind als bei Frauen. Okay genug von diesem Wichtigtuer Lacan, zurück zu unserem Freund Freud.








In der phallischen Phase –zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr– kommt es zur Entdeckung der Genitalien als dominante Lustquelle. In dieser Phase entwickelt sich der Ödipuskomplex. Freud dazu in einem wunderschönen Zitat; bitte auswendig lernen und bei Familienfesten vortragen:



„Wenn der junge Knabe […] in die phallische Phase seiner Libidoentwicklung eingetreten ist, lustvolle Empfindungen von seinem Geschlechtsteil empfängt und gelernt hat, sich diese durch manuelle Reizungen nach Belieben zu verschaffen, wird er zum Liebhaber der Mutter. Er wünscht, sie körperlich zu besitzen in den Formen, die er durch seine Beobachtungen und Ahnungen von Sexualleben erra-ten hat, sucht sie zu verführen, indem er ihr sein männliches Glied zeigt, auf dessen Besitz er stolz ist. Mit einem Wort: seine früh erwachte Männlichkeit sucht den Vater bei ihr zu ersetzen […]. Jetzt ist der Vater sein Rivale, der ihm im Wege steht und den er aus dem Weg räumen möchte. […] Wenn er während der Abwesenheit des Vaters das Bett der Mutter teilen durfte, aus dem er nach der Rückkehr des Vaters wieder verbannt wird, bedeuten ihm die Befriedigung beim Verschwinden des Vaters und die Enttäuschung bei seinem Wiederauftauchen tiefgreifende Erlebnisse.“ (Freud 1941, S. 116)



Natürlich gibt sich die Mutter nicht dem Inzest mit ihrem eigenen Sohn hin und bestraft diesen. Die drastischste Bestrafung für den penisstolzen Jungen ist: die Kastration. Der Junge hat Angst, dass sein Vater diese vollziehen wird da der Sohn ja genau ihn battled. Jetzt kommt Freuds beste Überleitung: Noch panischer wird der Junge wenn er sieht, dass Frauen und Mädchen keinen Penis haben, ergo bereits schon kastriert sind. Freud nennt dies den „Kastrationskomplex“ und bezeichnet es als „das stärkste Trauma im jungen Leben des Knaben“ welches es zu überwinden gilt. Als Abwehrmechanismus –der Junge will ja nicht kastriert werden– kommt es zur „Identifikation“. Der Junge möchte die Kastration verhindern und beginnt sich mit dem Vater zu identifizieren indem er alles tut was Papa will und sagt. Freud nennt dies poetisch die „Identifikation mit dem Aggressor“. Diese Identifikation führt letztendlich dazu, dass das Kind sich normal entwickelt und andere Menschen sexuell anziehend findet (vor allem heterosexuelle Beziehungen unterhält). Die Identifikation ist „anaklitisch“ wenn die Identifikation nicht mit dem Aggressor (dem Vater) sondern dem Liebesobjekt (die Mutter) geschieht.








Freud erklärt somit auch wieso so viele Männer genauso werden wie ihre Väter: Bei der Identifikation mit dem Aggressor werden die Normen und Werte des Vaters internalisiert in symbolischer Form des Über-Ichs (die tadelnde, bestrafende Instanz, die Moral, das Gesetz). Das "sich-nicht-loslösen-können" vom Vater ist ein populäres literarisches Thema nicht nur bei Hamlet, sondern auch bei Bret Easton Ellis - Lunar Park.



Wie sieht’s aus bei Mädchen? Analog zum Ödipuskomplex durchlaufen Mädchen den „Extrakomplex“. Sie sehen Jungs, Papa und andere Männer mit stolzen Penissen und denken: ich wurde/bin kastriert. Dies führt zu einem „Penisneid“ bei allen Mädchen im Alter von vier bis sechs. Die Mutter ist schuld an der Kastration, sie war der Aggressor. Das Mädchen nimmt Distanz von ihr und wendet sich zu Papa, dem Liebesobjekt.






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