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Auch ich frage mich: Sind Strumpfhosen nun geschlechtsspezifische Kleidung oder was kann ein Mann in der Öffentlichkeit für Kleidung tragen?

Text: rocki
Ich trage schon seit vielen Jahren gerne Feinstrumpfhosen. Einfach so, weil ich es praktisch finde und weil ich den Nylonstoff gerne auf der Haut verspüre.

Von meiner Leidenschaft weiß in meinem privatem Umfeld niemand, ich muss es ja nicht jedem auf die Nase binden, und außerdem habe ich keine Lust auf ellenlange Diskussionen bei denen man schon im Voraus das Ende kennt.

Schon lange frage ich mich: kann ein Mann in der Öffentlichkeit sichtbar Strumpfhosen tragen? Es war einfach an der Zeit, das auszuprobieren.

Die letzten Zweifel hat der Bericht von Binsofrei zerstreut, ich wollte es genau wissen.

Nun war ich einige Tage beruflich in Stuttgart, also anonym in einer Großstadt, und hier wollte ich diese Frage für mich beantwortet haben.

Im Vorfeld habe ich geplant, in blickdichter schwarzer Strumpfhose, Hotpants, meinen schwarzen Westernhalbschuhe und hellbrauner Winterjacke der City von Stuttgart am späten Nachmittag einen Besuch abzustatten.

Es drehten sich immer wieder die Gedanken um die Frage: Wie reagieren die Menschen, die dir begegnen? Aber, ich war festen Willens das Vorhaben jetzt zu verwirklichen.

Nun der anvisierte Tag kam, Mittwoch wollte ich einen Versuch in Kornwestheim in der Fußgängerzone starten um vielleicht auch noch ein paar Schuhe zu bekommen, denn bei einer Schuhgröße 43 ist es doch recht schwierig Damenschuhe zu bekommen, und es sollte ja eigentlich vom Nabel abwärts damenhaft sein. Leider waren keine Schuhe zu finden. Die ersten Reaktion fielen einfach aus, niemand nahm Notiz. Ich schob das auf die eintretende Dunkelheit.

Nun wollte ich es aber wissen. Da mein Seminar nur bis Mittwoch dauerte, ich aber am Donnerstagmorgen ja in die City von Stuttgart wollte, suchte ich mir ein anderes Hotel. Dies wurde dann mit bestrumpften Beinen gemacht. Wieder keine Reaktion. Irgendwie war ich erstaunt aber auch erleichtert. Der nächste Tag sollte es beweisen, Männer mit sichtbaren Strumpfhosen sind nicht besonders auffallend.

Schon beim Frühstück merkte niemand dass ich blickdichte Strumpfhose und Hotpants trug. Jetzt aber los zur Fußgängerzone in Stuttgart. Ich wühlte mich durch den Verkehr um im Parkhaus in der Dorothenstraße direkt an der Markthalle zu parken. Wieder war mir etwas mulmig, aber die Erfahrungen vom Vortag zustreuten die Zweifel und Ängste. Also raus aus dem sicheren Schutz des Autos, Treppe rauf und schon stand ich mitten auf dem Marktplatz inmitten der Buden des Weihnachtsmarktes. Das Einkaufstreiben setzten gerade ein und die Besucher wurden sichtlich mehr. Ich marschierte eine kleine Runde über die Königsstraße zur Markthalle um hier durch die Stände zu schlendern. Niemand nahm Notiz. Zusehends sicherer werdend, wurde ich etwas forscher, ging in einen nahegelegenen Schuhladen um doch noch ein paar passende Schuhe zu kaufen. Leider musste die Verkäuferin wegen der Größe abwinken, gab mir aber den Tipp es3 Straßen weiter zu versuchen. Nach gut 200m Fußmarsch kam ich am besagten Laden an. Ja und hier wurde ich fündig. Die Verkäuferin kümmerte sich vorbildlich, beriet mich, damit das Ganze auch gut ausschaute und nicht tuntig wirkte. Ich kaufte die von ihr vorgeschlagenen hohen schwarzen Stiefel mit einem ca. 5cm Absatz, behielt diese gleich an und machte mich auf den Weg zurück zum Marktplatz. Auch jetzt trotz dem Geklacker der Absätze keine Reaktionen oder gaffende Blicke. Niemand interessierte sich darüber was der Mann der ihnen da entgegen kam für Kleidung trug. OK dachte ich es muss doch etwas geben, das für den Normalbürger dann doch zuviel ist. Ich ging in ein großes Bekleidungshaus und kaufte mir eine schwarze 12den Strumpfhose. Dann zurück ins Auto, die Blickdichte gegen die doch sehr transparente, schwarze Strumpfhose gewechselt. Ich fand das dann doch etwas extrem, aber ich wollte ja sehen wie weit ein Mann gehen kann.

Jetzt wieder raus auf den Marktplatz. Gut, vielleicht waren es jetzt ein paar seltene, verstohlenen Blicke die mir aufgefallen sind. Dann nach gut 20 Minuten doch eine Reaktion. Mir kommen 2 Herren vom Typ Banker entgegen. Als sie an mir vorbeigingen musterten sie mich von oben bis unten und hinter meinem Rücken hörte ein lautes Lachen. Das ordnete ich eindeutig meinem zweideutigen meinem Aussehen zu, das war aber auch alles. Ich kehrte zum Auto zurück, wechselte wieder zur blickdichten Strumpfhosenvariante um mich auf den Heimweg zu begeben. Hier machte ich noch zweimal einen Stopp in einer Autobahnraststätte und zum Tanken, aber auch hier interessierte es sehr wenig was ich an den Beinen und Füßen trug.

Nun mit einem Tag Abstand bin ich zu allererst erleichtert, dass ich keine negativen Reaktionen mir gegenüber hervorgerufen habe. Es war eine interessante Erfahrung, festzustellen dass es sehr wenig interessiert, wie ein Mann gekleidet ist. Egal ob Frauen jeden Alters oder erwachsene Männer, alle reagierte eher gleichgültig. Gut ich gebe zu, Gruppen mit ausländischen Jugendlichen habe ich schon gemieden.

Werde ich das wieder tun oder brauche ich diesen Kick öfters?

Ich werde sicher wieder einmal mit bestrumpften Beinen anonym in der Öffentlichkeit auftreten, werde aber dann nicht mehr auf die Reaktion anderer warten, sondern werde einfach das tun, wozu ich bei so einem Stadtbummel einfach Lust habe, da es Anderen scheint’s egal ist , wie der Mann angezogen ist.

Trotz diesen positiven Reaktionen möchte ich aber auch weiterhin in meinem privaten Umfeld nicht von meiner Leidenschaft berichten, denn wie eingangs geschrieben, ist es im ländlichen Raum in dem ich nun mal lebe schwer zu vermitteln.

Es stellt sich heute für mich aber auch die Frage, ob wir unser Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit nicht überbewerten?

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