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Ein Liebesbrief nach all den Jahren

Text: Orch_Idee







Mein liebster Ex-Freund K.,



wer hätte das gedacht, dass ich dir eines Tages noch mal einen Brief schreiben würde? Noch dazu einen, der sich wohl in großen Teilen wie ein Liebesbrief lesen wird. Und das, nachdem ich dich jahrelang als den größten Arsch in meiner Erinnerung herum getragen habe. Du selbst wärst wahrscheinlich am meisten erstaunt darüber, wenn dir dieser Brief ins Haus flatterte. Wird er nicht. Aber manchmal stelle ich mir vor, dir eines Tages zufällig über den Weg zu laufen und dir diese Dinge sagen zu können. Oder ich hoffe, dass du inzwischen auch für dich Friede mit mir geschlossen hast und ähnliche Gedanken über mich und uns denkst.



Wo fange ich an? Bei dem, wie es zwischen uns aufhörte? Oder wie es bei uns anfing? Schön fing es an und scheußlich hörte es auf. So scheußlich, dass ich dich jahrelang dafür hasste und darüber alles Schöne vergaß. Aber mittlerweile erinnere ich mich wieder daran. Paradoxerweise mit jedem neuen Mann ein Stückchen mehr. Weil ich an jedem neuen Mann Wesentliches vermisse, das ich an dir hatte.



Das wesentlichste Wesentliche war Respekt. Du bist mir mit Respekt und Achtung entgegengetreten. Respekt vor meinen Gefühlen und vor meinen Grenzen. Du hättest mir nie nach flüchtiger Bekanntschaft bei der ersten Verabredung nach 1,5 Stunden Smalltalk durch Gestik, ein lässiges Heranwinken, und Mimik, ein müdes Lächeln, zu verstehen gegeben, dass man sich doch jetzt endlich küssen könnte. Du hättest mich nie mit Sätzen wie „Diese Phase hättest du mit 14 ausleben sollen“ oder „Ich möchte dich kennen lernen ... körperlich“ oder „Mit Sandra war's viel einfacher als mit dir“ zu „verführen“ versucht. Du hättest keine Nachricht von mir unbeantwortet gelassen. Du hast meine Grenzen respektierst und kamst daher viel weiter als jeder andere.



Ich durfte bei dir Angst haben und diese auch ohne Angst äußern. Ich durfte bei dir schüchtern sein und musste das nicht schüchtern verbergen. Ich durfte bei dir unsicher sein und diese Unsicherheit ohne Absicherung zeigen. Ich durfte Schwächen haben und dir meine Schwäche zeigen und mich dadurch stark und gestärkt fühlen. Warum bei dir und warum danach nie wieder?



Vielleicht war das wesentlichste Wesentliche, dass du mich erkannt hast? ERkannt, bevor du mich richtig GEkannt hast, und dir daher die Mühe gemacht hast, Respekt, Achtung, Geduld, Nachsicht und Rücksicht in mich zu investieren, um mich kennen zu lernen. Natürlich gab es viele Missverständnisse und Unverständnisse, dennoch habe ich mich eigentlich im Grunde immer verstanden gefühlt. Verstanden im Sinne von Verständnis haben, dass der andere einfach so ist. Einfach ist. Und so sein darf. Sein darf.



Jeder Mann in den letzten Jahren hat mich mit dem Gefühl zurückgelassen, mich nicht verstanden zu haben. Weil er mich nicht hat verstehen wollen. Weil der süße Po, die blonden Haare, die schmale Taille, die langen Beine genügt hätten. Und wenn es die nicht ohne meine Gedanken und ohne meine Gefühle gab, dann lieber gar nicht. Du wolltest beides. Weil dir meine Gedanken und Gefühle gefallen haben, mochtest du meinen Po, meine Haare, meine Taille, meine Beine umso mehr. Und weil dir mein Po, meine Haare, meine Taille, meine Beine gefallen haben, mochtest du meine Gedanken und Gefühle umso lieber. Aber diese Zusammenhänge sieht keiner mehr. Keiner der Männer nach dir. Das verletzt. Lässt mich zerfleddert und leer zurück.



Manchmal stelle ich mir vor, du würdest sehen, wie mich die Männer nach dir zerfleddern. Dann würdest du mich in den Arm nehmen und mich trösten und mir sagen, dass solches Verhalten respektlos wäre und dass ich das nicht verdient hätte. Oder du würdest dem anderen eins auf die Fresse geben, bei jedem Wort eins: „Du [peng] Arsch [peng], so [peng] geht [peng] man [peng] mit [peng] ihr [peng] nicht [peng] um [peng]!“



Wir hatten uns auseinander gelebt, und die letzten Jahre haben diese Kluft sicherlich vergrößert. Dennoch hoffe ich, dass du dir das Wesentliche bewahrt hast. Die Erinnerung an mein Wesen. Sonst hätte nie jemand gewusst, dass es mich gibt. Wovon die Welt nichts weiß, gibt es nicht. Dann gäb's mich nicht. Ich fände das schade. Ich hoffe, du auch. Immer noch. Trotz allem.



In liebevoller Erinnerung

Deine L.

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