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Die Angst vor dem Vergessen
Manchmal, wenn ich still aus dem Fenster eines fahrenden Zuges blicke und völlig gedankenverloren meinen Erinnerungen nachhänge, während die Landschaft in bunten Streifen an meinen Augen vorbeiströmt, überkommt mich trotz völliger geistiger und körperlicher Gesundheit die Angst. Es ist eine meiner größten Ängste, die Angst vor dem Vergessen. Nicht etwa die Angst davor, vergessen zu werden, das passiert manchmal früher oder später. Nein, es ist die Angst davor, sich nicht mehr an die vielen Erlebnisse und Erfahrungen erinnern zu können. Denn es ist so: eine Erinnerung ist nicht etwa nur die Rekapitulation eines Ereignisses, sie ist ein komplexes Gebilde, zusammengesetzt aus einem Erlebnis und den damit verbundenen Gefühlen und Gedanken. Es ist aber auch die Selektion und Komprimierung des Ereignisses auf seine wichtigen Knotenpunkte. Das hört sich jetzt sehr analytisch an, aber die Summe dieser Einzelteile ist in der Lage, einem ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern oder erneut Tränen über eine längst vergangene Geschichte. Die Macht der Erinnerung ist immens und sie ist in der Lage in einer aktuellen Situation eine neue Bedeutung anzunehmen. Eine Erinnerung kann unendlich viele Bedeutungen haben. Genauso kann eine Erinnerung aber auch einfach nur unterhaltend sein, wenn man sie anderen Menschen mitteilt. Sie ist eine Geschichte, evtl. anonymisiert und verrät dem Zuhörer etwas über die eigene Identität, ohne dass man das Gefühl hat, man würde einen Seelenstriptease hinlegen. Genauso ist eine Erinnerung auch verbindend, nämlich genau dann, wenn man sie mit einer oder mehreren Personen teilt. Wer kennt sie nicht, die Gespräche mit dem besten Freund oder der besten Freundin, die mit dem Satz: Weißt Du noch damals, als.... beginnen und meist in schallendem Gelächter enden. Und es gibt die besonders schönen Erinnerungen, die man mit niemandem teilt, weil man sie einfach für sich behalten möchte oder sie einfach nicht in Worte fassen kann. Und bei solchen Erinnerungen sitze ich im Zug und schaue einfach nur so aus dem Fenster, mal ein Lächeln auf den Lippen und mal das Schimmern einer kleinen Träne in den Augenwinkeln. Ich genieße diese Zeit allein mit mir und meinen Erinnerungen, die so viele schöne Gefühle beinhalten. Doch gerade die schönen Momente im Leben, scheint man besonders schnell zu vergessen. Dazu muss man noch nicht einmal an einer besonderen Krankheit leiden. Es gibt einfach Tage, an denen ist die ganze Welt ein einziger Scheißhaufen, zumindest empfindet man das so und dann kann einen keine noch so schöne Erinnerung wieder aufheitern. Ich frage mich oft warum das so ist, aber die Antwort auf diese Frage muss ich leider schuldig bleiben. Es gibt einfach Zeiten, in denen bin ich mit mir und der Welt zufrieden und unendlich glücklich, und es gibt Zeiten, in denen ist mein Herz schwer wie eine Tonne Stahlbeton. So ein Glücksgefühl ist ein "schlüpfriges kleines Scheißerchen". Und immer, wenn mir das bewusst wird habe ich wieder Angst zu vergessen. Es ist erstaunlich, dass man eine Erinnerung, die vor wenigen Monaten einfach nur schön war, einige Zeit später nur noch mit Wehmut und Trauer betrachtet, weil sie vorbei ist. Anstatt sich über das Erlebte zu freuen, heult man den Dingen hinterher und verbaut sich damit die Chance auf neue Erlebnisse. Das ist kein Vorwurf und wenn doch, dann gilt er ganz alleine mir. Ich will diese Erkenntnis nur festhalten, damit ich mich in der nächsten Depriphase wieder daran erinnern kann.
Egal was dieses Vergessen verursacht, ich habe beschlossen, dagegen zu kämpfen. Ab jetzt werde ich, nur für den Fall, dass ich sie vergessen könnte, meine Erinnerungen aufschreiben. Und wenn ich eines Tages schwach und alterskrank in meinem Bett liege und vor lauter Alzheimer kaum noch meinen eigenen Namen kenne, dann möchte ich, dass mir jemand meine Erinnerungen vorliest. Wahrscheinlich werde ich völlig dement, gestützt von mehreren Kissen in meinem Bett sitzen und mich mit dem letzten Rest meines Verstandes über die komische Person wundern, die so seltsame Sachen in ihrem Leben erlebt hat, aber ich bin sicher, etwas in mir wird sich erinnern....

© Bild: Thomas Frick www.fotocommunity.de
Egal was dieses Vergessen verursacht, ich habe beschlossen, dagegen zu kämpfen. Ab jetzt werde ich, nur für den Fall, dass ich sie vergessen könnte, meine Erinnerungen aufschreiben. Und wenn ich eines Tages schwach und alterskrank in meinem Bett liege und vor lauter Alzheimer kaum noch meinen eigenen Namen kenne, dann möchte ich, dass mir jemand meine Erinnerungen vorliest. Wahrscheinlich werde ich völlig dement, gestützt von mehreren Kissen in meinem Bett sitzen und mich mit dem letzten Rest meines Verstandes über die komische Person wundern, die so seltsame Sachen in ihrem Leben erlebt hat, aber ich bin sicher, etwas in mir wird sich erinnern....

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