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Und ich bin mitgegangen - Abriss einer Katastrophe

Text: luzerne
Nachts um vier



Ein Wodka nach dem anderen. Hier um vier Uhr nachts. Wahrscheinlich ist es vier. Wahrscheinlich später. Ich lehne an der Bar und brauche ihre Mithilfe was das Stehen betrifft.

Dieser Jens steht ein paar Meter weiter an der Bar, lehnt sich weit nach vorn und bestellt. "Ich hol noch mal Nachschub." hatte er gesagt und hatte nicht mal eine Antwort abgewartet. Aber eigentlich hatte er ja auch nicht gefragt.



Wischer hin Wischer her



In meinem Kopf dreht es sich. Ich reiße den Kopf in eine Richtung und die Wahrnehmung schwingt langsam hinterher. Wischer. Ich reiße den Kopf in die andere Richtung. Alles kommt langsam hinterher. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Wodkaglas nach schneller Entleerung auf die Theke knallte. Gerade eben wahrscheinlich. Aber vielleicht auch nicht. Die Wahrnehmung verzerrt sich.



Robert heißen



Dieser Jens könnte jetzt auch kommen und behaupten, dass er Robert heißt, ich würde dann nur kurz denken: ja, huch, ich dachte du wärst Jens, aber Robert, auch kein Problem. Geht klar. Kein Ding.

Und wundern würde ich mich wohl nicht wirklich.



Kurze kippen



Jens kommt, gibt mir einen Kurzen, schaut mich fordernd an und wir kippen beide den Wodka runter. Ich schmecke schon gar nicht mehr wirklich viel. Aber es ist auf jeden Fall Wodka. Gott sei Dank, jetzt noch anfangen zu mischen wäre nicht gut. Mir aber auch egal. Alles ist irgendwie schon egal. Nein, sogar fast schön.



Alles ist schön



Ich schaue mir Jens an und lächle. Warum weiß ich nicht. Ich finde ihn eigentlich ganz süß plötzlich. Vorhin fand ich ihn noch nervig, wie er immer und immer wieder darauf bestand, mir noch Wodka zu bringen. Und dann auch noch darauf bestand, dass ich bleiben soll, als Lise ging. Er hatte mich weichgetrunken. Ich blieb. Und jetzt, jetzt plötzlich finde ich ihn schön. Habe dringend das Bedürfnis, ihn zu küssen.



Noch einen



"Trinken wir noch einen?" fragt er. Er merkt wohl, dass ich willig werde und denkt, ich bräuchte jetzt noch einen. Ich bin schon willig, trinke aber noch einen mit. Ich will mit ihm gehen. Immerhin will ich diesen Mann vergessen, an dem ich hänge. Da braucht man Abwechslung. Es spricht ja auch nichts dagegen: ich habe mich vor keinem Menschen dafür zu rechtfertigen. Und Sex ist doch schön. Warum nicht auch mit Jens?



Unterwäschencheck



Ich überlege, was ich eigentlich für Unterwäsche anhabe. Konnte ja keiner ahnen, dass die noch jemand zu sehen bekäme, als ich abends mit Lise losging. Komisch, ich kann mich nicht erinnern, was ich drunter trage. Vielleicht den bunten BH? Nicht gut, der geht eigentlich gar nicht. Ich werde mich schnellstens seiner entledigen, dann sieht Jens ihn gar nicht, denke ich. Und Unterhose? Ich weiß es nicht, also ziehe ich meine Hose leicht nach vorn, um Einblick auf die Unterhose zu kriegen. Jens schaut mich horny an.



Frag doch



Ich lächle betrunken. Denke, ich sehe lasziv aus. Dann sehe ich Jens herausfordernd in die Augen. "Wenn du mich fragst, komm ich noch mit auf ein Glas Saft!" Jens freut sich. Grinst ein bisschen zu selbstverliebt. Ich habe ihm gerade einen Gefallen getan, obwohl ich nur mir einen tun will. Gedankenfokusänderung. Quatsch, nichts will ich. Im Kern bin ich betrunken und deshalb leichter zu haben.



Taxi



Schnell will er mich zu sich kriegen, bevor ich es mir anders überlege. Wir sitzen nebeneinander im Taxi und fangen an zu knutschen. Wild und feucht. Er greift mir ungeschickt zwischen die Beine und rubbelt kräftig hin und her. Irgendwo in hinteren Gehirnstrukturen frage ich mich, was er da macht, aber die besoffenen Gehirnhälften führen meine Hand an seinen Schritt. Auch ich rubble jetzt irgendwie hin und her. Richtig hart ist da nichts.



Drin



"Ich kann gar nicht glauben, dass du mitgekommen bist! So eine tolle Frau!" sagt er und schließt aufgeregt seine Haustür auf. Ich gehe hinter ihm rein. "Hier runter!" Er wohnt im Souterrain. Nicht geil. Wir knutschen uns von der Tür zum Bett - viel mehr ist in der kleinen Einzimmerwohnung auch nicht drin. Und es stinkt hier. Vielleicht von den Klamotten, die da auf dem Boden liegen.



Bett



Und er hat Fußball-Bettwäsche! Ich klapp ab. Ich bin schon sehr betrunken, aber das ist ein seltsamer Abtörner. Nach allem vorher kann selbst der Alkohol meine Lust nicht mehr hochhalten. Aber ich bin so betrunken, dass er mich aufs Bett schmeißen kann und ich überhaupt keine Kraft habe. Er zieht sich schnell aus und steht plötzlich nackt vor mir. Kleiner Penis, Bauchansatz, untrainiert und weiß. Ich kriege große Augen vor Schreck, dass das mein spannender Sexpartner sein soll.



Steif



Er spielt sich an seinem Penis rum. "Ich hab schon viel getrunken, aber er kommt bestimmt gleich." Er starrt auf seinen Penis und ich auch. Auf Jens und das Geschehen hier. Alles dreht sich, mir ist übel, ich kann nicht aufstehen. "Er kommt! Er wird steif! Zieh dich schnell aus." Ich starre ihn weiter an. Er schmeißt sich auf mich, leckt nass meinen Hals und mein Gesicht ab, steckt mir dann die Zunge in den Mund und schiebt mir meine Klamotten hoch. Den BH über die Brust. Er leckt an meinen Brüsten. Ich bin unbewegt und passiv. Mir ist alles egal irgendwie.



Mist



"Ich bin wohl zu betrunken. Er wird nicht wirklich steif." Jens jammert fast. "Aber ich kann dir einen blasen, wenn du willst. Willst du? Ich mach das. Echt." Er fummelt mir am Hosenknopf rum. Ich schiebe seine Hand weg, ziehe mein Shirt wieder zurecht, schaffe es, irgendwie aufzustehen, fokussiere erst meine Jacke, greife sie, fokussiere dann die Tür und trete den Rückzug an. "Ich bin mal weg." Lalle ich ihm hin und er guckt entsetzt.

"Krieg ich deine Nummer?" fragt er noch und ich schreibe ihm eine falsche auf.



Draußen



Es wird jetzt gerade hell. Ich schaue mich um und habe überhaupt keine Idee, wo ich bin. Irgendwo. Irgendwo zwischen Vergessen des Einen und Warten auf den Nächsten. Ich laufe los. Irgendwann wird schon eine U-Bahn kommen.








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