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Brieffreundschaft oder was daraus werden kann

Text: jonash
Aus unserer "Brieffreundschaft" ist plötzlich mehr geworden. Mehr als nur Briefe, und mehr als nur Freundschaft. Dieser Gedanke geht mir als erstes durch den Kopf, als ich morgens aufwache, in Deinem Bett, Dich schlafend in meinen Armen. Dich, die ich gestern Nachmittag das erste Mal überhaupt gesehen habe.



Innerhalb von nur 4 Tagen wurde aus eMail-Schreiben erst Telefonieren, dann aus Telefonieren Dein spontaner Vorschlag, ich solle Dich besuchen kommen:



"Ich bin am Wochenende irgendwie ganz alleine hier, wollte eigentlich wegfahren, aber das klappt jetzt nicht. Meine Mitbewohner sind auch nicht da."

"...meine Mitbewohner sind auch weg, weiß auch noch nicht so recht was ich am Wochenende mach."

"Dann komm doch her!"

"...?!"

"Hab ich das grade laut gesagt?"



Hattest Du. Und am nächsten Tag hast Du's nochmal gesagt. Hab ein wenig daran gezweifelt ob das eine gute Idee ist. Zumindest hab ich das vor mir selbst und vor meinen Freunden behauptet. Und bin natürlich trotzdem gefahren, mich damit erklärend, dass ich ja sowieso nichts anderes zu tun habe und einfach mal schauen werde. Vom bei Dir übernachten war nie die Rede, meine Zahnbürste hab ich trotzdem eingepackt.



Dann steh ich plötzlich vor Dir. Einfach so. Du siehst anders aus als auf den Fotos (hast ein bisschen zugenommen, aber steht Dir nicht schlecht, denke ich). Ich zögere kurz, dann umarme ich Dich zur Begrüßung, stelle fest dass Du gut riechst. Die Umarmumg überrascht Dich offensichtlich, aber ist Dir nicht unangenehm, sondern wird erwidert. Tatsächlich bist Du ein ganz klein wenig größer als ich, und mich stört, dass mich das stört. Dass es Dich so offensichtlich überhaupt nicht stört hilft aber. Als ich Dich das erste Mal am Telefon hörte, da war ich anfangs enttäuscht. So anders klang Deine Stimme, gar nicht passend zu der Frau, die ich mir ausgemalt hatte, die Frau die in meiner Vorstellung so wunderschöne Mails geschrieben hatte. Es hatte nur zwei Telefonate gedauert um mein Bild von Dir anzupassen: eine noch viel wunderbarere Frau, die auch mit Deiner Stimme sprach. Ich war darauf eingestellt, dass unser Treffen dieses Bild wieder über den Haufen werfen, es dieses Mal durch deine echte Gegenwart ersetzen würde. Aber Du bist fast so wie ich Dich mir vorgestellt hatte, nur noch viel mehr: viele kleine Dinge an Dir, dich ich jetzt zu meinem Bild hinzufügen kann, und die es noch schöner machen.



In der Straßenbahn, die uns zum Stadtfest bringt, noch kurze Pausen, in denen keiner von beiden etwas zu sagen weiß. Aber schon nicht mehr unangenehm, eher abwartend, einander fasziniert beobachtend und deshalb zu beschäftigt, um etwas zu sagen.



Schlendern durch die überfüllte Altstadt, Cafe, der Nachmittag vergeht wie ein Augenblick. Am frühen Abend trinken wir, stilles Einvernehmen, dass ein wenig Enthemmung nicht schaden kann. Gemeinsam Essen macht aber bald wieder nüchtern - und träge. Wir bleiben auf einem Platz hängen, eine Band spielt. Ein schöner Abend, aber gerade jetzt stockt das Ganze ein wenig, wir beide spüren das. Du glaubst, eine Lösung zu wissen:



"Ich hol mir mal ein Bier, willst Du auch eins?

"Du weißt aber, dass ich dann nicht mehr heimfahren kann..."

"Willst Du jetzt eins, oder was?"



Zu dem Zeitpunkt bietest Du mir aber noch anstandsvoll das Gästebett an. Auch das Bier hilft nicht, wir stehen rum, wippen zur Musik und amüsieren uns nur schleppend. Dann die Rettung: Regen! Unglaublich viel Wasser, das auf einmal vom Himmel kommt. Ich erspähe eine leere Telefonzelle, praktisch, weil die so eng ist. Die Band packt ein, die Leute flüchten in alle Richtungen vom Platz, unter die Vordächer der Stände oder nach hause. Gelbe Plastiktischdecken werden massenweise von den Biertischen entwendet und schützen kleine Gruppen angeheiterter Feiernder vor dem Guss. Bevor alle Tischdecken verschwunden sind, beschließen wir einen Ausfall aus der Zelle zu wagen, und erobern die letzte Decke. In dieser Zeit erobert ein knutschendes Pärchen unsere Zelle. Also müssen wir weiter, Arm in Arm, beschützt von gelbem Plastik durch die nasse Menschenmasse. Wir parken unsere Tischdecke vor einer Kneipe, drinnen Hitze und ein Heer betrunkener Abiturienten. Wir fühlen uns zu alt und trinken uns jung.



Dann willst Du plötzlich Salsa tanzen gehn, meinst Du kennst einen Laden in der Nähe wo man das kann. Ich kann das nicht, aber bin neugierig und ohnehin nicht mehr in der Lage, nein zu Dir zu sagen. Salsa tanzen. Geht ganz gut. Streiten wer wen führt. Enger tanzen. Wangen und Nasen berühren sich. Ich spüre Deinen Atem, Deinen Schweiß. Ein kurzer Kuss auf der Tanzfläche, wir stehen plötzlich still in mitten der Tanzenden. Dann ziehst Du mich nach draußen.



Ich spüre nicht, ob es noch regnet.




Alles was danach kommt, ist unwirklich in meiner Einnerung. Irgendwann haben wir die Kälte gespürt, sind wieder nach drinnen, bis der Nachtbus kam um uns zu Dir nach hause zu bringen. Deine Umarmung im überfüllten Bus, Deine warme Hand in meiner. Zu hause mehr küssen, berühren, Dich spüren... doch wir sind erschöpft und übermüdet und vielleicht auch plötzlich wieder ein bisschen nervös. Irgendwann schlafen wir aneinandergekuschelt ein.



Als ich mir das alles durch den Kopf gehen lasse, hebst Du plötzlich den Kopf, blinzelst mich an und lächelst. "Guten Morgen." Auf einmal ist nichts mehr unwirklich. Ich bin ausgeschlafen und gar nicht mehr nervös.



Und ich weiß, dass ich noch hierbleiben möchte.




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