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In einem anderen Raum mit Bela B. (I)

Text: hecuba







(photo by atomsk / www.atomsk.de / atomsk1000 on flickr)





Bela B. samt Band Los Helmstedt war der „top act“ auf dem diesjährigen Monsters-of-Spex-Konzert in Köln. Mir hat sein Auftritt gut gefallen. Er spielt die Lieder seiner neuen Solo-CD „Bingo!“ und singt mit seiner unverwechselbaren satten Männerstimme. Er versucht sich als Entertainer und spricht mit uns, dem Publikum. Vielleicht entschuldigt er sich einmal zu viel für sein Alter: „Bleibt man etwa stumm, wenn ein älterer Herr fragt, ob Euch der letzte song gefallen hat?!“ Hey, denke ich, schau Dich mal hier um, im Publikum stehen genug Leute jenseits der 40. Das Spex-Publikum, das nach zwei Tagen Dauerregen auch am dritten Tag noch übrig ist, hat wenig zu tun mit jungem „hippem“ Gemüse. Gestandene Liebhaber der Musik sind sie, allesamt. Dementsprechend ist die Stimmung gut, aber verhalten. Wohlwollend, aber nicht euphorisch. Bela B. scheint das leicht zu irritieren. Aber Monsters-of-Spex ist nicht Rock-am-Ring. Alles ist gut. Und Bela B. ein echter Rockstar.



Ein Wort zu seiner Band, Los Helmstedt, „der bestaussehendsten Band, die es für das wenige Geld zu kaufen gab“. Die SIND jünger, sicher mindestens zehn Jahre, und sind hoffnungsvolle künftige Rockstars. Die baldigen Stars und Anführer sind sie beiden Gitarristen, links und rechts neben Bela B. Dann gibt es neben Bassist und Schlagzeuger noch die einzige Frau und Backgroundsängerin auf der Bühne, ebenfalls sehr jung und hübsch anzuschauen. Bela B. stellt sie vor, sie sei der „eigentliche Grund, warum diese Musiker für 10 EURO am Tag mit mir auf Tour sind.“ Nennen wir sie P.

P. singt auch den weiblichen Part in „1. 2. 3. ...“ und hat beinahe dieselbe Frisur wie Charlotte Roche. P. tanzt eng mit Bela B. Das Publikum applaudiert und johlt, P. geht demonstrativ zu einem der Gitarristen und küsst ihn auf die Wange. Man weiß gleich, wer zu wem gehört.



Um Punkt 22h ist Schluss. Keine Zugabe. Strikte Vorgabe des Veranstalters. Daran haben sich auch die beiden Vorgänger, die top acts der beiden vergangenen Konzertabende, gehalten. „Ja, ich weiß, zehn ist verdammt früh ... DAS haben wir AUCH dem dummen Arschloch Günter Grass zu VERDANKEN.“ Ganz genau habe ich den Gag nicht verstanden, glaube aber, dass Bela B. es sich nicht nehmen lassen wollte, auf Amanda Palmer von den Dresden Dolls zu retournieren. Die hatten vor ihm gespielt und Amanda Palmer sprach von Günter Grass als einem „brilliant writer who made a very brave decision“. Das letzte Wort in Sachen Grass jedoch hat Bela B.



Noch immer Pfiffe und Rufe nach Zugaben. Bela B. betritt die Bühne erneut. „Seid mal alle ruhig, hört mal alle zu.“ Hebt die Hände beschwichtigend. „Wir dürfen nicht mehr. Aber es gibt doch noch diese after-show-party, hier in der Nähe, im Raum9 oder wie dat heißt.“ --– „Kommst Du da etwa hin?“ –-- „Öhm, ja, vielleicht, ja.“ Die Menge lacht. Sehr überzeugend. Der Club heißt richtig: „Gebäude9“. Bela B. scheint ihn als nächste Station für diesen Abend verdammt fest im Kopf zu haben. Aber die Fläche wird geräumt. Wir selbst haben unsere after-show-party-tickets auch schon in der Tasche. Man wird sehen, was der Abend uns weiter schenkt.



Es ist kurz nach elf, als wir ankommen. „Bela B. kommt vielleicht noch.“ verkünden wir wissend an der Kasse. „Ja, könnte echt sein, der Veranstalter hat eben angerufen und Plätze für die Gästeliste reservieren lassen. Bela B. plus sieben. Als wenn Bela B. nicht eh freien Eintritt hätte.“ Also doch? Wir - GEMEINSAM mit Bela B. auf einer after-show-party?



Im Gebäude9 ist es recht leer. Wie üblich, sind mehr Jungs hier. Der Club liegt etwas außerhalb, ist ein stillgelegtes Fabrikgebäude und entsprechend „rough“. Ein Club in den geht, wer Musik hören will, nicht, wer mal eben was um die Ecke trinken und in Ruhe plaudern möchte. Es spielen an diesem Abend zwei Bands: „Beautiful Newborn Children“ und die Mädchen-Band „Good Heart Boutique“. Letztere sind die Vorband von Bela B. Vielleicht kommt er tatsächlich, um sie zu unterstützten. Klingt immer plausibler.



Des langen Stehens müde setzen wir uns an einen Tisch in Nähe der Bar. Ich habe die Eingangstür im Blick. Und: Bela B. rauscht herein. Plus sieben plus security. Ein ganzer Schwung Bela B. Es sind alle dabei, P., die anderen Los Helmstedts, alle in coolem schwarz. Bela B. scannt den spärlich besuchten Raum, scannt die Gesichter. Wie reagiert man jetzt eigentlich richtig? Ihn anlächeln, gar die Hand zum Gruß heben? Der kennt einen doch gar nicht. Also besser mal so tun, als bemerke man gar nicht, dass da eben Bela B. reinkommt, auch wenn jeder weiß, der ist es, auf den wir warten. Nun ist er da. Unser Tischgespräch nehmen wir nach kurzem Stocken wieder auf.



Und: Let the show begin!



Nach einer weiteren halben Stunde ist der Club berstend voll. Eine besondere Spezies füllt das Gebäude9: Der weibliche Groupie. Mädchen und Frauen zwischen 16 und sagen wir 46, auffallend „aufgebretzelt“, wie man im Ruhrgebiet zu sagen pflegt. In der Regel als Duo unterwegs und gerne sich auffallend ähnelnd. Im Laufe einer knappen Stunde hat sich herumgesprochen: Bela B. ist im Gebäude! Es scheint, als würde sich Bela B. buchstäblich vermehren – jedes zweite Gesicht, in das man blickt, gehört zu einem Mädchen, dass suchend in die Menge blickt und den Kopf mal hier hin, mal dorthin reckt. Wo ist er denn gerade?



Und wo IST Bela B.? Der durchstreift die Örtlichkeit, ist mal hier, mal dort. Tut so, als bemerke er die Wellenbewegungen nicht, die seine Ortswechsel auslösen. Tut so, als bemerke er den Schwarm nicht, der sich an seine Fersen geheftet hat. Er durchquert die Räume, trifft offenbar alte Bekannte, schwätzt hier und da ein Weilchen. Hört auch Musik, ist fast bis zum Schluss vor der Bühne, als seine Vorband „Good Heart Boutique“ singt und scheint sich zu freuen, dass die drei Mädchen beim Publikum ganz gut ankommen. Ich finde, er blickt auffallend freundlich d’rein. Mit ein und demselben Groupie sehe ich ihn nie länger als ein zwei Worte wechseln, dann ist er wieder weg, unterhält sich mit Musikern, Managern, Bekannten.



Irgendwann muss er jedoch anfangen, sich um P. zu kümmern, denn deren Freund (?) scheint den Umgang mit Groupies noch nicht so gewohnt, vielleicht ist es aber auch der Umgang mit Alkohol oder die pure Lust auf Party, die ihn treiben: Ein Gespann zweier Groupies, die seit Stunden vergeblich hinter Bela B. herschwärmen, konzentriert sich nun auf besagten Gitarristen. Dieser hat schon viele Wodkas getrunken, und viel Kölsch, jedenfalls scheint es, als torkele er eher durch die Menge, als dass er schreite, die Arme dabei schützend vor sich haltend, als teilte er das Meer vor sich. Das Groupie-Gespann dürfte Anfang bis maximal Mitte 20 sein. Die eine trägt die Haare rot gefärbt, wie einen roten Helm auf dem Kopf, zum Bubikopf geschnitten und mit jeder Menge Haarspray fixiert. Sie trägt ein tief ausgeschnittenes, jedoch bis über das Knie reichendes Sommerkleid, weiß mit schwarzem Blumenmuster. Das Kleid betont ihre üppige weibliche Form und ausladende Hüfte. Sie ist stark geschminkt, schwarzer Kajal, schwarze Augen und dunkelroter, glänzender Lippenstift, der sich mit ihrem roten Haar beißt. Ihre Freundin: identisch geschminkt, jedoch weißblond gefärbt und mit einem kurzen Röckchen und schwarzen Strümpfen bekleidet. Sie stecken die Köpfe zusammen. Taxieren. Ihre Augen suchen die Stars. Sie trinken. Sie tuscheln und lachen. Und schwärmen aus. Los! Wie auf Kommando. Ich beobachte die Rothaarige. Sie stürmt auf den Gitarristen zu und drückt sich an ihn. Drückt ihren Mund an sein Ohr und redet hinein. Er legt eine Hand auf ihre Hüfte, in der anderen hält er sein Wodka-Pinnchen. Er schwankt. Die Rothaarige stützt ihn.



Plötzlich aber entwischt er ihr, untergetaucht in der Menge. Die Rothaarige geht zurück zu ihrer Freundin. Wieder tuscheln, taxieren, trinken sie. Herr Gitarrist stellt sich zu P. Sie reden und sehen eigentlich recht harmonisch aus. Kurze Zeit später geht P. mal für kleine Mädchen. Die zweite Chance für die Rothhaarige: Wieder stürmt sie auf den Gitarristen zu. Diesmal wartet sie erst gar nicht ab, sonder küsst ihn gleich. Knabbert leicht an seiner Lippe, er streckt ihr die Zunge entgegen, sie schlägt ihre dagegen. Geschafft! Sie hat es geschafft. Als P. zurückkommt, geht sie nicht mehr zurück zu ihm, der schwankend und unübersehbar in den Armen der Rothaarigen steht, sondern sucht Bela B. Der hat das Schauspiel bereits bemerkt und kümmert sich ab sofort um P. Er unterhält sie und lenkt sie ab. Sehr nett, sehr fürsorglich. Zwei Freunde, die sich einen netten Abend machen, denke ich. Einmal will P. sich zu Gitarrist umdrehen, aber Bela B. hält ihr Gesicht sanft zwischen den Händen, schüttelt kaum merklich den Kopf, lächelt sie sehr lieb an und beginnt mit ihr zu tanzen.



(...)

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