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Der Schimmelreiter
Theodor Storm. Als unsere Professorin den Namen des Autors für die nächste Klassenlektüre nennt, zusammen mit dem Titel des Werkes, Der Schimmelreiter, schießen mir Gedanken durch den Kopf; meine Mutter erzählte mir vor kurzem über die besondere Stimmung dieses Buches, welches sie geradezu verschlungen hat. Nebelige, mystische Landschaften, die Melancholie des hohen Nordens; Assoziationen wie dese überkommen mich in Zusammenhang mit diesem Werk.
Also mache auch ich mich ans Verschlingen des Schimmelreiters, ich beginne, all die Mystik und stille Wehmut, welche ihm beherrschen, in mich aufzusaugen.
Ich schließe mich in mein Zimmer ein, wie ich es immer tue, wenn ich mich ans Verschlingen mache, und lese zuerst den Klappentext: Ich hatte begonnen, ihm meine seltsame Begegnung auf dem Deiche zu erzählen. ( ), Der Schimmelreiter!, rief einer aus der Gesellschaft, und eine Bewegung des Erschreckens ging durch die Übrigen.
Dieser kurze Absatz genügt mir, um den Worten meiner Mutter Glauben zu schenken fast kommt es mir vor, als ob ein Hauch der feuchtkalten Luft sich in mein Zimmer geschlichen hat und mir nun die Nackenhaare zu Berge stehen lässt. Auf ans Verschlingen, also!
Ich lege das Buch zur Seite, stehe auf, um das Fenster zu öffnen. Friesische Namen schwirren durch meinen, scheinbar nebelverhangenen Kopf. Hauke Haien, Ole Peters, Trien Jans. Friesische Namen und ein wenig Enttäuschung. Wo bleiben Spannung, Gänsehaut und Grauen?
Ein Gruselmärchen habe ich mir ausgemalt, eine Landschaft in meinem Kopf entworfen, voller Nebel und kalter Luft, die nach Meer riecht, kreischende Möwen, über einen wilden, grauen Ozean fliegend, und was habe ich bekommen, nach 20 Seiten lesen?
Verworrene Handlungsstränge, einen kleinen Jungen, der gerne rechnet, tagelang das Meer anstarrt und Katzen umbringt. Nach einigem Überlegen beschließe ich, dem Buch eine zweite Chance zu geben und öffne es von neuem.
Es dämmert draußen, als ich den Schimmelreiter schließlich zuschlage. Gespenstisch flattern die Vorhänge vor meinem Fenster im Abendwind. Fröstelnd schließe ich es, setze mich auf mein Bett und lasse das Gelesene noch einem revue-passieren:
Der kleine, rechnende Hauke Haien ist herangewachsen, hat nach seines Vaters Tod Elke, die Tochter de Deichgrafen geheiratet, diese hat ihm ein behindertes Kind namens Wienke geboren. Hauke wird Deichgraf und lässt einen neuen Deich errichten, gegen den Willen vieler Dorfbewohner, und am Ende stirbt Familie Haien bei einer Sturmflut.
Eine Gänsehaut überläuft mich. Und dann ist da noch dieser Schimmel
Scheinbar zum Leben erweckt wird er, sein Gerippe haben die beiden Knechte, deren Namen mir schon entfallen sind, noch im Mondlicht schimmern sehen, bis es sich von Geisterhand erhebt, zu Fleisch und treuer Begleiter ihres Herren, Hauke Haien wird.
Hauke Haien, überlege ich weiter, er hat mir gefallen.
Er sticht hervor unter all den seltsamen Gestalten in dem Werk. Er hat Persönlichkeit und Charakter, im Gegensatz zu den anderen Figuren, die sich mit ihrer kauzigen, komischen Verhaltensweise perfekt einfügten, in das Bild, das sich mir von der Geschichte bot.
Grau in grau war alles, alte Weiblein, seltsame, abergläubische Männer, die sich dem Willen dessen fügen, der den Mund am Weitesten offen hat. Das Meer, selbst mein geliebtes Meer ist grau und bedrohlich, es macht den Menschen Angst, birgt Gefahren in seiner unendlich grauen Tiefe.
So fügen sich die Teilchen zusammen, wie ein großes, graues Puzzlespiel, zu einem traurigen, grauen Bild von einem kleinen nordfriesischen Dorf.
Doch unter diesem Berg von grauen Puzzleteilen, den ich nur mühsam zusammenzusetzen vermag, stoße ich auf ein einziges farbiges Steinchen. Es trägt Hauke Haiens Namen und scheint in einem hellen Licht zu erstrahlen, neben all den anderen, es hat Leben in sich.
Das ist es wohl, das Hauke von den anderen unterscheidet; er ist lebendig, er hat Träume, die er zu verwirklichen sucht, er hat Liebe, die er zu teilen vermag, er hat Leidenschaft, mit der er ansteckt, Ehrgeiz, der ihn vorantreibt in seinem Tun.
Es sollte mehr Hauke Haiens geben, mehr farbige Puzzleteilchen, überlege ich. Denn auch eine nicht-friesische Landschaft kann trist und hoffnungslos wirken, grau und verloren.
Mir fällt mein erhofftes Gruselmärchen wieder ein und ich suche in meinen Eindrücken nach Gänsehaut und Grauen. Doch da ist nichts, alles was ich finde, ist Bewunderung für Hauke, der anders ist. Anders und bunt, lebendig und zäh hat er an seinen Idealen festgehalten, obwohl er damit den Groll der Dorfbewohner auf sich zieht. Sie haben ihn ja gerade zu gefürchtet, wenn er auf seinem Schimmel angeritten gekommen ist !
Da ist sie plötzlich, meine Furcht, da ist das Gruselmärchen! Hauke Haien ist das Gespenst, er jagt den Menschen Angst ein, lässt sie misstrauisch ihm gegenüber werden, und sich Schauergesichten über Geisterpferde ausdenken!
Sollte es etwa möglich sein, dass wir unsere Mitmenschen zu Gespenstern machen, nur weil sie anders sind?
Weil sie neue Ideen gebären, weil sie eben farbig aus der grauen Masse hervorstechen?
Ich schaue aus dem Fenster. Die Sonne ist untergegangen und der Wald ist in graues Dämmerlicht gehüllt. Ein paar Nebelfetzen hängen zwischen den Bäumen in der kühlen Luft. Es fängt wohl bald an zu regnen
Also mache auch ich mich ans Verschlingen des Schimmelreiters, ich beginne, all die Mystik und stille Wehmut, welche ihm beherrschen, in mich aufzusaugen.
Ich schließe mich in mein Zimmer ein, wie ich es immer tue, wenn ich mich ans Verschlingen mache, und lese zuerst den Klappentext: Ich hatte begonnen, ihm meine seltsame Begegnung auf dem Deiche zu erzählen. ( ), Der Schimmelreiter!, rief einer aus der Gesellschaft, und eine Bewegung des Erschreckens ging durch die Übrigen.
Dieser kurze Absatz genügt mir, um den Worten meiner Mutter Glauben zu schenken fast kommt es mir vor, als ob ein Hauch der feuchtkalten Luft sich in mein Zimmer geschlichen hat und mir nun die Nackenhaare zu Berge stehen lässt. Auf ans Verschlingen, also!
Ich lege das Buch zur Seite, stehe auf, um das Fenster zu öffnen. Friesische Namen schwirren durch meinen, scheinbar nebelverhangenen Kopf. Hauke Haien, Ole Peters, Trien Jans. Friesische Namen und ein wenig Enttäuschung. Wo bleiben Spannung, Gänsehaut und Grauen?
Ein Gruselmärchen habe ich mir ausgemalt, eine Landschaft in meinem Kopf entworfen, voller Nebel und kalter Luft, die nach Meer riecht, kreischende Möwen, über einen wilden, grauen Ozean fliegend, und was habe ich bekommen, nach 20 Seiten lesen?
Verworrene Handlungsstränge, einen kleinen Jungen, der gerne rechnet, tagelang das Meer anstarrt und Katzen umbringt. Nach einigem Überlegen beschließe ich, dem Buch eine zweite Chance zu geben und öffne es von neuem.
Es dämmert draußen, als ich den Schimmelreiter schließlich zuschlage. Gespenstisch flattern die Vorhänge vor meinem Fenster im Abendwind. Fröstelnd schließe ich es, setze mich auf mein Bett und lasse das Gelesene noch einem revue-passieren:
Der kleine, rechnende Hauke Haien ist herangewachsen, hat nach seines Vaters Tod Elke, die Tochter de Deichgrafen geheiratet, diese hat ihm ein behindertes Kind namens Wienke geboren. Hauke wird Deichgraf und lässt einen neuen Deich errichten, gegen den Willen vieler Dorfbewohner, und am Ende stirbt Familie Haien bei einer Sturmflut.
Eine Gänsehaut überläuft mich. Und dann ist da noch dieser Schimmel
Scheinbar zum Leben erweckt wird er, sein Gerippe haben die beiden Knechte, deren Namen mir schon entfallen sind, noch im Mondlicht schimmern sehen, bis es sich von Geisterhand erhebt, zu Fleisch und treuer Begleiter ihres Herren, Hauke Haien wird.
Hauke Haien, überlege ich weiter, er hat mir gefallen.
Er sticht hervor unter all den seltsamen Gestalten in dem Werk. Er hat Persönlichkeit und Charakter, im Gegensatz zu den anderen Figuren, die sich mit ihrer kauzigen, komischen Verhaltensweise perfekt einfügten, in das Bild, das sich mir von der Geschichte bot.
Grau in grau war alles, alte Weiblein, seltsame, abergläubische Männer, die sich dem Willen dessen fügen, der den Mund am Weitesten offen hat. Das Meer, selbst mein geliebtes Meer ist grau und bedrohlich, es macht den Menschen Angst, birgt Gefahren in seiner unendlich grauen Tiefe.
So fügen sich die Teilchen zusammen, wie ein großes, graues Puzzlespiel, zu einem traurigen, grauen Bild von einem kleinen nordfriesischen Dorf.
Doch unter diesem Berg von grauen Puzzleteilen, den ich nur mühsam zusammenzusetzen vermag, stoße ich auf ein einziges farbiges Steinchen. Es trägt Hauke Haiens Namen und scheint in einem hellen Licht zu erstrahlen, neben all den anderen, es hat Leben in sich.
Das ist es wohl, das Hauke von den anderen unterscheidet; er ist lebendig, er hat Träume, die er zu verwirklichen sucht, er hat Liebe, die er zu teilen vermag, er hat Leidenschaft, mit der er ansteckt, Ehrgeiz, der ihn vorantreibt in seinem Tun.
Es sollte mehr Hauke Haiens geben, mehr farbige Puzzleteilchen, überlege ich. Denn auch eine nicht-friesische Landschaft kann trist und hoffnungslos wirken, grau und verloren.
Mir fällt mein erhofftes Gruselmärchen wieder ein und ich suche in meinen Eindrücken nach Gänsehaut und Grauen. Doch da ist nichts, alles was ich finde, ist Bewunderung für Hauke, der anders ist. Anders und bunt, lebendig und zäh hat er an seinen Idealen festgehalten, obwohl er damit den Groll der Dorfbewohner auf sich zieht. Sie haben ihn ja gerade zu gefürchtet, wenn er auf seinem Schimmel angeritten gekommen ist !
Da ist sie plötzlich, meine Furcht, da ist das Gruselmärchen! Hauke Haien ist das Gespenst, er jagt den Menschen Angst ein, lässt sie misstrauisch ihm gegenüber werden, und sich Schauergesichten über Geisterpferde ausdenken!
Sollte es etwa möglich sein, dass wir unsere Mitmenschen zu Gespenstern machen, nur weil sie anders sind?
Weil sie neue Ideen gebären, weil sie eben farbig aus der grauen Masse hervorstechen?
Ich schaue aus dem Fenster. Die Sonne ist untergegangen und der Wald ist in graues Dämmerlicht gehüllt. Ein paar Nebelfetzen hängen zwischen den Bäumen in der kühlen Luft. Es fängt wohl bald an zu regnen