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Plötzlich ist die eigene Mutter verliebt...

Text: life_is_sweet
Meine Mutter hatte einen Freund. Fast dreizehn lange Jahre. Letztes Jahr haben sie sich getrennt.

Ich habe mich nicht gewundert darüber, aber war doch überrascht. Sie haben nie zusammen gepasst, haben sich von Anfang an so viel gestritten, hatten kaum Gemeinsamkeiten, waren viel zu unterschiedlich, haben sich nicht glücklich machen können.



Manchmal lag ich oben in meinem Bett, wenn sie sich gestritten haben und hatte Angst. Angst davor, dass meine Mutter sich etwas antun könnte. Angst vor dem, was diese Beziehung mit ihr gemacht hat. Konnte nie runtergehen, um ihr zu helfen, war wie gelähmt. Stille, heiße Tränen der Wut habe ich geweint. Immer und immer wieder. Ich war wütend auf ihn, weil er ihr so oft wehgetan hat. Und ich war wütend auf sie, weil sie sich das hat gefallen lassen, weil sie ihn nicht verlassen hat, obwohl sie es so oft gesagt hat, weil sie zugelassen hat, dass er Macht über sie haben konnte.



Alle anderen haben gesagt, dass er doch so ein netter Mann sei. Ein bisschen „maulfaul“ vielleicht, aber er sei doch so gut zu meiner Mutter und zu uns. Sie konnten nicht verstehen, warum ich ihn nie wirklich mochte.



Er hatte seine guten und seine schlechten Phasen. In den guten Phasen hat er nicht viel geredet, war nicht ständig betrunken, hat mich nicht jeden Tag fertig gemacht wegen nichts und war manchmal sogar ganz nett. Aber die schlechten Phasen waren anders. Streit, Wut, Hass, Tränen waren da alltäglich. Aber nur meine Mutter und ich, versteht sich. Meine Schwester war noch zu klein und der eigene Sohn perfekt.



Ich konnte irgendwann nicht mehr. Bin ausgezogen. Meine Mutter war sehr traurig. Manchmal habe ich mich gefragt, ob ich länger hätte bleiben sollen. Aber sie hat doch nie auf mich gehört, wollte nicht hören, dass er nicht gut für sie ist und dass er mir wehtut. Vielleicht hätte sie sich sogar entscheiden können. Für die Tochter, gegen den Mann. Aber meine Mutter war nicht so. Sie liebt die Liebe und kann sich nicht gegen sie entscheiden. Und ich war nicht stark genug, um sie vor die Wahl zu stellen. Nicht stark genug, eine Entscheidung für ihn und gegen mich zu hören.



Viele Jahre ist das schon her. Ich hasse ihn nicht mehr. Manchmal fühle ich fast so etwas wie Mitleid mit ihm. Aber mögen kann ich ihn nicht. Habe es schon so oft versucht. Meine Mutter versteht sich noch mit ihm, mag ihn immer noch. Aber sie ist regelrecht aufgeblüht, seitdem sie nicht mehr in dieser unglücklichen Beziehung steckt. Sie hat wieder Träume, Wünsche, Hoffnungen, die ich bei ihr lange verloren glaubte.



Und plötzlich ist die eigene Mutter dann wieder verliebt und man weiß gar nicht, was man dazu sagen soll. Sie erzählt mir davon wie einer Freundin. Kaum ein Detail, das sie mir erspart, auch wenn ich manches gar nicht so genau wissen möchte. Sie kennt diesen Mann schon seit zwanzig Jahren. Aber sie waren noch nie zusammen und hatten sich viele Jahre nicht gesehen. Und jetzt sind sie verliebt und schweben im siebten Himmel.



„Ich war noch nie so glücklich wie jetzt“ und „Das war das erste Mal, dass ein Moment perfekt war in meinem Leben, dass ich nirgendwo anders sein wollte“ sind zur Zeit ihre Worte. Ich freue mich für sie, wünsche mir, dass es dieses Mal wirklich stimmt. Denn ich möchte nie mehr solche Dinge von ihr hören wie dass sie nicht alt wird, höchstens sechzig, oder mit ansehen müssen wie sie an Heiligabend in mein Zimmer kommt und kaum noch laufen kann und weint, weil sie so viel getrunken hat, wie sie sich gehen lässt und ihr Leben überhaupt nicht lebt, sondern einfach nur hinter sich bringt.



Ich möchte, dass du glücklich bist, Mama!

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