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Die Sache mit der Nase

Text: Nojenta
Herbstzeit ist Schnupfenzeit,

rote Nasen und Taschentücher sind also mal wieder an der Tagesordnung. Das Werbefernsehen verspricht balsamreiche Tempos, um wenigstens die roten Nasen in den Griff zu kriegen. Norweger lösen das Problem auf ganz andere Weise - Taschentücher sind hier in der Öffentlichkeit nicht zu finden, dementsprechend auch keine wundgeriebenen Nasen.

Ich sitze seit etwa einer Woche im Vorlesungssaal der Universität, als mich ein norwegischer Freund mit gesenkter Stimme taktvoll darauf hinweist, ich solle mich nicht so laut schneuzen. Froh, meine Nase wenigstens kurzfristig freigeräumt zu haben, begegne ich seinem Blick vollkommen verständnislos.

"Wie bitte?" Seine Anschuldigung macht den Eindruck, ich würde mich wie ein Nilpferd aufführen. "Ich habe mir nur ganz normal die Nase geputzt."

"Normal?" Jørgen ist ernsthaft entsetzt. "Wenn du das normal machen würdest, würde man nichts dabei hören."

"Du bist, entschuldige, nicht ganz gescheit", sage ich. "Man kann sich nicht lautlos die Nase schneuzen."

"Klar kann man." Er führt mir pantomimisch vor, wie er sich mit einem imaginären Tuch einmal über die Nasenspitze wedelt.

"Nicht besonders effektiv", kommentiere ich. "Da bleibt doch der Nasenmüll da, wo er ist. Und nervt weiterhin."

Meine Rechtfertigungsversuche scheitern. Jørgen bleibt bei seinem Urteil. Wie oft hat er die deutschen Studenten schon an ihrem Schneuzverhalten erkannt - wie eklig und unanständig dieses Benehmen doch ist. Ich fühle mich in meiner Ehre als sauberer Mensch gekränkt.

"Was macht ihr denn, wenn der Schnupfen eure Nasen zum Überlaufen bringt?"

Ich hätte gar nicht fragen brauchen. Im Grunde ist es mir seit meinem ersten Tag aufgefallen, ohne dass ich einen Zusammenhang zu unserer Diskussion gesehen hätte. Norweger schneuzen sich; sie ziehen die Nase hoch. Ach was - sie schniefen in einer Lautstärke, dass sich jedem zufällig anwesenden Nichtnorweger der Magen zusammen krümmt.

"Das kann doch nicht dein Ernst sein", halte ich Jørgen vor. "Unser verhaltenes Naseputzen soll ein Benimmverstoß sein, während man bei euch förmlich hören kann, wie der ganze Schnodder in der Nase nach oben gesogen wird. DAS ist eklig!"

Kaum zu glauben, wie banal ein Kulturcrash doch sein kann.

Seitdem fallen mir die schniefenden norwegischen Nasen überall auf. Im Lesesaal, wo im Gegensatz zu deutschen Uni-Biblioteken fast himmlische Stille herrscht, in der allerdings das herzhaftes Schniefen wie eine Explosion zu hören ist; im Bus, wo man die Lautäußerung fast schon als kollektiv bezeichnen kann; und in der Kantine, wo sich mein Magen langsam daran gewöhnen muß, das Essen bei sich zu behalten, wenn der Student am Nachbartisch den Höhepunkt seiner Erkältung durchmacht.

Trotz aller anderen Anpassungsversuche konnte ich mich bisher noch nicht dazu durchringen, mich der allgemein anerkannten Nasenräumaktion anzuschließen. Aber ich habe zumindest ein Hintertürchen ausfindig gemacht. Naseputzen ist unter gewissen Umständen nämlich doch erlaubt: Man geht vor die Tür, oder besser noch aufs Klo. Dort, wo niemand Zeuge des unanständigen Benehmens sein kann, darf man sich hemmungslos deutsch dem Taschentuch hingeben.

Vor einigen Wochen jedoch entdeckte ich einen Artikel in der SZ, in dem ein Arzt zur Vorbeugung einer Nasennebenhöhlenentzündung riet, das Nasensekret besser nicht herauszuschneuzen (und damit in die Nebenhöhlen zu pressen), sondern es hochzuziehen. Bedeutet das also, dass uns die Norweger gesundsheitstechnisch gesehen einfach eine Nase voraus sind?

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