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Über die Schwierigkeit verliebt und cool zu sein.

Text: irreal
Warum Liebe sehr deutsch ist und ich ein gutes Beispiel bin.

Ich habe eine Freundin, lange schon und bin verliebt, vielleicht schon länger. Wir lieben uns, sind in Beziehung, stehen zu und auf einander. Das ist schön. Das ist alles was viele Menschen wollen. Ich gehörte zu diesen Menschen, als ich noch in den Besten Bars der Stadt saß, als ich noch wusste welche The-Band gerade die beste ist, als ich Sonnenbrillen trug, gut aussah und vermeintlich schlecht gelaunt war.



Die Zeiten sind vorbei. Und ich wünschte, dass es nicht so ist.

Es gibt nur cool oder uncool und wie man sich fühlt. Das sagt Dendemann und Tocotronic haben das in ihrer verschlafenen Art auch mal von sich gegeben.

Ich bin uncool und fühle mich beschissen und sehe da einen Zusammenhang. Doch hier soll es nicht um den Zusammenhang gehen, weil ich es nicht für erklärungswürdig halte, das cool sein die Basis von Zufriedenheit ist, das cool sein im Grunde das Sein als solches legitimiert.

Wer das nicht versteht war nie cool, hat nie dazu gehört, weis nicht worum es geht.



Ich war also cool, gehörte dazu, ich war arrogant und selbstsicher, ich war merkwürdig und anerkannt. Und dann kam sie:

Sie fand mich in einer Telefonzelle (weil ich damals noch so cool war kein mobiles Telefon zu haben) ich trug ein Unterhemd und eine kurze Lederjacke, meine fünftausenddollar Nase war Schneeweiß. Ich sollte einen Bericht schreiben, über eine russische Punkband, ich war Journalist, ich war schlecht vorbereitet, ich war in Berlin.



Dann traf ich dieses Mädchen. Sie verführte mich, wir hatten Sex, wir blieben irgendwie zusammen. Das ist etwa ein Jahr her. Mittlerweile wohnt das Mädchen in Berlin, mittlerweile trage ich Mäntel, kaufe Hosen bei H&M. Ich habe Flugzeuge in meinem Milchkaffeebauch und weit und breit ist kein Mohammed Atta in Sicht, kein Terror und ihr ahnt nicht wie schrecklich das ist. Ich habe alles verloren was mir irgendwas bedeutet hat: meine coolness.



Aber auch darum geht es hier nicht. Weil das nicht mein Problem und auch nicht mein Fehler ist. Es geht darum, dass es unmöglich ist cool und verliebt zu sein. Darum geht es.

Und der Beweis dafür bin ich. Ich bin der beste Beweis, weil ich einer von den Besten war, bevor das anfing mit der Liebe, und nun bin ich nichts.



Leute denken immer das Problem an der Liebe wäre ihre Abwesenheit, aber das stimmt nicht. In der Abwesenheit von Liebe wird man groß, man ist frei und ungezwungen. Die Anwesenheit von Liebe ist das wirkliche Problem: sie verdrängt alles, alles was je wichtig war, sie macht dich fertig und zwar richtig.

Wie kannst du cool sein am Morgen, wenn ein Mädchen neben dir liegt das deine Telefonnummer hat?

Liebe heißt reden. Reden ist nicht cool. Rock n Roll ist cool. Rock n Roll basiert auf der Idee einer verschrieenen Wahrheit, die im elektronischen Lärm untergeht. Liebe ist Verständnis.

Liebe heißt ernst sein und verlässlich, liebe heißt Langeweile und Pünktlichkeit. Insofern ist Liebe sehr deutsch, etwas was ich nie war.



Und jetzt? Jetzt kaufe ich Orangen, die ich auspresse um acht Uhr morgens. Ich wechsele meine Bettwäsche alle zwei Wochen, weil sie immer nach dem gleichen Mädchen riecht. Wenn nachts um drei mein Telefon klingelt, weis ich wer es ist.

Ich habe mich verloren und ich war das Wichtigste. Jetzt hab ich sie, jetzt ist sie das Wichtigste. Und sie ist cool, aber ich, ich bin es nicht.

Ich war noch nie so gesund, ich war noch nie so dumm (wie soll man lesen, wenn da immer deine Freundin ist?). Ich weis jetzt alles über sie und nichts über die neuen Clubs, den Job hab ich verloren, den Artikel über die Punkband nie geschrieben. Ich gehe nicht mehr aus. Ich hab’s versucht, es geht nicht. Wie soll man sich betrinken, wie soll man rauchen auf dem Mädchen-Klo, wenn man verliebt ist?

Zu Weihnachten schenke ich ihr einen trip nach London. Ich will ihr die Tate zeigen. Früher gab es nur einen Grund für London, und der hieß Kate. Silvester verbringe ich in Stockholm, mit ihr, bei ihrer Familie, nicht allein, nicht in Warschau. Die Champagner-Tage sind vorbei. Wir trinken Rotwein, spielen Scrabble, sie gewinnt und es stört mich nicht.



Das ist das Problem, und ich bin so unzufrieden wie ich uncool und verliebt bin: sehr!

Was man dagegen tun kann? Ich weis es nicht. Ich warte darauf, dass sie es merkt, das mit dem uncool - nicht das mit dem verliebt - meine ich. Dann könnte sie schnell Schluss machen, mich verlassen. Ich könnte Whisky kaufen, was vermutlich die beste Medizin ist. Ich könnte wieder der James Dean von Berlin sein, der Rebell ohne Grund und seit sicher, ich würde mich nicht mehr verlieben, nicht noch mal den gleichen Fehler machen. Ich würde sterben in einem Porsche, mit Lippenstift am T-Shirt Kragen und niemand säße auf dem Beifahrersitz.



Aber wie es scheint, werde ich immer uncool bleiben, weil sie liebt mich noch immer und hört nicht auf damit.

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