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Wie die US-Wahl und die Diskussion um Donald Trump Freundschaften und Familien beeinflusst haben
Als am 8. November in den USA gewählt wurde, gab es in Manhattan eine „Watch Party“, auf der sich endlich alle wieder vertragen sollten. Der Party-Veranstalter David Shapiro hatte sie organisiert und ihr Motto lautete: „We are stronger together and together we’ll make New York City great again“ – eine Mischung aus den Wahlkampf-Slogans der beiden Kandidaten Hillary Clinton und Donald Trump. Der Deal: Wer einen anderen wegen seiner politischen Meinung angreift, muss ihm einen Drink ausgeben. „Auf dieser Party wollen wir vergessen, wie schrecklich Freunde in den vergangenen Monaten zueinander waren“, sagte Shapiro am Tag vor der Wahl am Telefon. „Viele haben auf Facebook Freunde gelöscht und Diskussionen sind zu schnell zu emotional geworden.“
Shapiro war nur einer von vielen, die darauf hofften, dass sich die Spannungen im Land nach der Wahl legen würden. Dann siegte Donald Trump – und die Emotionen kochten weiter hoch. Überall im Land gehen seitdem Menschen auf die Straße und protestieren gegen den neu gewählten Präsidenten, teils kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. Die Wahl hat das Land noch tiefer gespalten.
Das ist das große Bild. Aber wenn man näher ranzoomt, sieht man, dass es diese Spaltung auch im Kleinen gibt: Langjährige Freundinnen reden nicht mehr miteinander. Paare haben sich getrennt. Manche lassen das anstehende Thanksgiving mit der Familie ausfallen oder verlegen ihre Hochzeit ins Ausland, damit die Verwandten nicht kommen können. Auf „Whisper“, einer Seite, auf der Menschen anonym ihre dunkelsten Geheimnisse veröffentlichen, gestehen Menschen, dass sie sich von ihrem Partner scheiden lassen wollen, weil er Trump gewählt hat. Ein Beitrag lautet: „Wenn meine Freundin rausfindet, dass ich für Trump gestimmt habe, wird sie mich verlassen.“
In einer Umfrage der Monmouth University gaben sieben Prozent der Befragten an, dass sie im Laufe des Wahlkampfs Freunde verloren oder Freundschaften beendet haben. Genauso viele sagten, dass ihnen das bei vorherigen Wahlen auch schon passiert sei – was zeigt, dass das Land nicht erst seit diesem Wahlkampf gespalten ist, sondern schon länger. Aber es ist in diesem Jahr eben noch einmal schlimmer geworden: Ganze 70 Prozent gaben an, dass die Wahl 2016 „das Schlechteste in den Menschen“ hervorgebracht habe.
Rebecca konnte immer verstehen, warum ihre Eltern Republikaner gewählt haben – aber bei Trump endete ihr Verständnis
Es scheint also, als kämen auch Menschen, die einander mögen oder sogar lieben, plötzlich nicht mehr oder schwerer miteinander aus. An ihren Beispielen kann man sehen, wann Politik anfängt, Zuneigung, Liebe und Vertrauen zu beeinflussen. An einigen aber auch, wie man die Risse wieder kitten kann. Und diese Heilung im Kleinen kann vielleicht ein Vorbild sein für die Heilung im Großen.
Am 10. November, zwei Tage nach der Wahl, sitzt Rebecca Zaritsky, 18 Jahre alt, Studentin, in einem Restaurant neben dem Krankenhaus der Georgetown University in Washington. Sie stochert in ihrem Salat und sieht müde aus. Sie kann immer noch nicht fassen, dass Trump die Wahl gewonnen hat. Dabei kennt sie Menschen, die ihn gewählt haben: ihre Eltern. „Ich wünsche mir gerade sehr, dass während seiner Präsidentschaft etwas passiert, dass sie dazu bringt, zu sagen: ‚Wir haben uns geirrt.‘“ Sie macht eine Pause und sagt dann: „Es fühlt sich seltsam an, sich zu wünschen, dass die eigenen Eltern falsch liegen.“
Rebecca liebt ihre Eltern, klar. Aber während sie schon als Teenagerin angefangen hat, sich als eher links zu identifizieren, sind ihre Eltern sehr konservativ. Sie sind als Juden in der Sowjetunion aufgewachsen und wollen heute in einem Land leben, das möglichst weit vom Sozialismus entfernt ist. Außerdem ist ihnen eine konsequente pro-israelische Politik wichtig. Rebecca und ihre Eltern haben schon immer über politische Themen gestritten, zum Beispiel über Abtreibung oder gleichgeschlechtliche Ehe. Doch Trump hat sie noch weiter voneinander entfernt.
„Bisher ging es darum, dass wir verschiedene Prioritäten hatten, und ich konnte zumindest verstehen, warum sie für jemanden wie Mitt Romney stimmen. Mit Trump ist es anders: Ich kann absolut nicht begreifen, wieso sie ihn gewählt haben. Er bedroht Minderheiten und hat ungefähr jeden unter der Sonne beleidigt. Er wird dieses Land zerstören“, sagt Rebecca. Sie klingt frustriert. „Meine Eltern sind sehr glücklich über den Wahlausgang und haben zu mir gesagt: ‚Du bist jetzt sicher traurig, was?‘“
Rebeccas Eltern fühlen sich im Recht. Und ihre Tochter hat den großen Wunsch, dass sie am Ende Recht behalten wird. Das zeigt, wo hier das Problem liegt: Im US-Wahljahr 2016 ging es in Rebeccas Familie nicht mehr um verschiedene Meinungen, sondern um etwas viel Grundsätzlicheres. Nämlich ums Prinzip. Um richtig oder falsch. Gut oder böse. Und darum, wer am Ende gewinnt.
Trumps Sieg und Clintons Niederlage bedeuten auch einen Sieg und eine Niederlage in der Familie. Und eine solche Einteilung in Gewinner und Verlierer ist Gift für Beziehungen. Rebecca ist darum ziemlich besorgt, wenn sie an den Feiertag denkt, der ihr bald bevorsteht: „Mal sehen, wie Thanksgiving wird…“.
Nun kann man sich seine Familie nicht aussuchen. Seine Freunde und Partner allerdings schon, und in den USA wird diese Wahl sowieso schon sehr stark entlang der Parteilinien getroffen. Laut einer aktuellen Studie des Pew Research Center zur Polarisierung der US-Gesellschaft führen zum Beispiel mehr als drei Viertel der verheirateten Demokraten eine Ehe mit einem anderen demokratischen Wähler. Bei den Republikanern sind die Zahlen ähnlich. Auf manchen Dating-Portalen bekommt man, wenn man seine politische Einstellung angibt, einen Andersdenkenden gar nicht erst vorgeschlagen. Für viele wäre das ein totales No-Go.
Die meisten Menschen leben sogar in Nachbarschaften, in denen alle ungefähr gleich denken. Heißt: Man kommt sowieso immer weniger mit Vertretern der anderen Partei in Kontakt. Und wenn doch, sortiert man sie eher aus, weil man das Gefühl hat, dass sie einfach nicht zu einem passen.
„Aussortieren“, das geht am einfachsten dort, wo man eigentlich noch am ehesten mit Menschen in Kontakt bleiben könnte, die ein anderes Leben führen als man selbst: im Internet. Vor allem auf Facebook. David Shapiro, der New Yorker Partyveranstalter, hatte sich beklagt, in diesem Wahlkampf sei sehr viel entfreundet worden. Auch Hedya Chibane, 26, angehende Lehrerin und ebenfalls aus New York, hat Trump-Wähler aus ihrer Freundesliste gelöscht. Heute ist sie sich nicht mehr sicher, ob das richtig war.
Hedya hat sich für einen "politischen blinden Fleck" entschieden. Das war mutig – und pragmatisch
Da gab es zum Beispiel den Ehemann einer Freundin. „Er hat Trump unterstützt und er hat Vorurteile gegen Muslime. Das wurde aus seinen Posts deutlich“, sagt Hedya. Sie selbst wurde in Algerien geboren und ist Muslima, darum reagierte sie darauf sensibel. Erst mal hat sie ihn nur entfolgt. Als er weiterhin in ihrer Timeline auftauchte, weil er Beiträge von ihr oder anderen kommentierte, hat sie ihn gelöscht – aber nicht, weil sie generell nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. „Er ist ein netter Typ und ich wollte diesen Teil von ihm einfach nicht sehen müssen, um kein negatives Bild von ihm zu bekommen“, sagt Hedya.
Das ist ein interessantes Argument. Weil es zeigt, dass es uns auf der Beziehungsebene manchmal gut tun kann, politisch einen „blinden Fleck“ zu haben und einen bestimmten Teil einer Person, der für die Beziehung keine Rolle spielt, einfach zu ignorieren. Manchmal sogar dann, wenn jemand Vorurteile gegenüber einer Gruppe hat, der man selbst angehört. Das kann natürlich nicht immer funktionieren – vor allem dann nicht, wenn das Politische wirklich persönlich wird und der Ehemann der Freundin Hedya zum Beispiel direkt beleidigen würde. Und es wird vermutlich auch schwerer, je näher man sich steht.
Hedyas Entscheidung für diesen „bewussten blinden Fleck“ wirkt im ersten Moment feige – und auf der politischen Ebene wäre sie es auch, wenn Hedya also als „Bürgerin“ und Wählerin Vorurteile gegen Muslime ignorieren oder sich nicht gegen Islamophobie aussprechen würde. Aber genau das macht sie regelmäßig. Sie ist politisch interessiert und engagiert. Dass sie sich allerdings auf der persönlichen Ebene dafür entschieden hat, solche Kommentare auch mal zu ignorieren, ist mutig und stark – und in jedem Fall pragmatisch.
Allerdings scheinen immer weniger Menschen in der Lage zu sein, diesen „blinden Fleck“ zuzulassen. Im vergangenen Frühjahr erschien das Buch „Good Neighbors: The Democracy of Everyday Life“ der Harvard-Professorin Nancy L. Rosenblum. Darin untersucht sie die Geschichte und die Bedeutung von „Nachbarschaft“ in den USA, und wie Politik nachbarschaftliche Beziehungen beeinflusst. Rosenblum schreibt, dass ein Grund für die immer stärkere Polarisierung der Gesellschaft der moderne Trend zur „Ganzheitlichkeit“ sei: Während in der Bevölkerung der Pluralismus – also unterschiedliche Herkunft, Religion, Lebensstile – immer stärker betont werde, werde gleichzeitig der Pluralismus jeder einzelnen Person immer stärker zurückgedrängt.
Wir alle seien „many-sided“, schreibt Rosenblum, „we are not of one piece“, und in jeder „Sphäre“ unseres Lebens sei eine andere Seite von uns wichtig: in der einen unsere Nachbar-Seite, in der nächsten unsere politische Seite, in wieder einer anderen unsere Tochter- oder Liebespartner-Seite. Doch der Trend zur „Ganzheitlichkeit“ will, dass wir immer und in jeder Situation mit allen unseren Teilen in eben jene Situation passen. Und dass die Teile außerdem immer alle zusammenpassen. Nur dann gelten wir als moralisch integer und vertrauenswürdig – vor anderen, aber auch vor uns selbst.
Dieser Anspruch der Ganzheitlichkeit kann dazu führen, dass Menschen nach dem Grundsatz pars pro toto beurteilt werden und sich Beziehungen darauf begründen – oder eben nicht entstehen oder beendet werden: Jemand, der eine bestimmte Seite von uns kennenlernt, zieht auf dieser Basis automatisch einen Schluss auf unsere ganze Person und fällt dann ein schnelles und oft radikales Urteil. Beziehungsweise: ein Vorurteil. Weil er dem Individuum aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe – egal ob Republikaner, Veganer oder SUV-Fahrer – bestimmte Eigenschaften zuschreibt.
Wieder auf das konkrete politische Beispiel bezogen: Rosenblum zitiert einen Fall, in dem ein konservativer Nachbar in einer Wohngegend von den anderen, überwiegend progressiven Anwohnern nicht etwa als jemand wahrgenommen wurde, mit dem man eine Meinungsverschiedenheit hat, sondern als jemand, der „isoliert, abgeschottet und verstoßen“ gehört. Donald Trump hat diesen Effekt noch verstärkt, weil durch seine Rhetorik, seinen offenen Rassismus und Sexismus das Politische noch stärker emotionalisiert und moralisiert wurde. Wer Trump gewählt hat, gilt wegen dieser Entscheidung für viele automatisch als „böser Mensch“.
Während Hedya den Ehemann der Freundin gelöscht hat, um ein pars pro toto-Urteil zu vermeiden, hat sie eine andere Facebook-Freundschaft genau auf der Basis eines solchen Urteils gekündigt: die mit einer Bekannten, deren islamkritische Posts sie ebenfalls störten. Doch nachdem sie die Freundin gelöscht hatte, schrieb die sie an und fragte: „Warum hast du das gemacht?“ So kamen sie ins Gespräch – das vorher keine der beiden gesucht hatte. „Ich habe ihr meine Sicht geschildert und sie hat ihren Standpunkt genauer erklärt und dass sie nicht generell gegen meine Religion ist“, sagt Hedya. „Danach dachte ich, dass das Löschen wohl etwas übereilt war. Und man miteinander sprechen sollte.“ Weil sie so herausgefunden hat, dass der Social-Media-Teil der Bekannten nicht für ihre ganze, pluralistische Persönlichkeit steht.
Kylie und Megan beweisen, wie bereichernd es sein kann, Zeit mit jemandem zu verbringen, der anders denkt als man selbst
Endlich wieder miteinander sprechen, statt sich zu empören, das halten ja gerade ohnehin viele für die ultimative Lösung. In der schon zitierten Pew-Studie mussten Republikaner ihre Gefühle gegenüber Demokraten auf einem „Gefühlsthermometer“ angeben. Das Ergebnis: Die Republikaner mit wenigen oder gar keinen demokratischen Freunden gaben doppelt so oft „sehr kalte Gefühle“ gegenüber Demokraten an wie diejenigen, die Wähler der anderen Partei als Freunde haben (62 Prozent vs. 30 Prozent).
Die Freundschaft von Kylie, 21, und Megan, 19, aus Las Vegas beweist, dass es bereichernd sein kann, viel Zeit mit jemandem zu verbringen, der – in Teilen – anders denkt als man selbst. Die beiden kennen sich seit zwei Jahren und bezeichnen sich als „beste Freundinnen“ – obwohl Kylie Trump gewählt hat und Megan Clinton.
„Megan war die erste Person, die ich kennengelernt habe, die nicht entweder genau meiner Meinung war oder sie wütend verurteilt hat. Wir können einfach zivilisiert darüber sprechen“, sagt Kylie. Und Megan ergänzt: „Kylie war die erste Republikanerin in meinem Alter, die ich jemals getroffen habe. Das war so, als hätte ich zum ersten Mal ein Einhorn gesehen.“ Sie mag an Kylie besonders, dass sie so fest zu ihren Überzeugungen steht – obwohl sie als Konservative in ihrem Umfeld keine besonders populäre Meinung hat.
Megans Familie stammt aus Lateinamerika. Hispanics hat Trump in seinem Wahlkampf besonders stark bedroht. Sie hat Angst vor den Entscheidungen, die in den kommenden Jahren gefällt werden. An ihrer Freundschaft zu Kylie ändert das nichts. „Wir sind so viel mehr als unsere politische Meinung: Wir sind Kolleginnen, Schwimmerinnen, Studentinnen, Schwestern“, sagt sie. Ihre Freundschaft ist also das Gegenteil von pars pro toto.
Kylie und Megan sind ein gutes Vorbild. Für andere Amerikaner. Und vielleicht auch für Deutsche? Seit der Wahl wird ja dauernd gewarnt, wir müssten aufpassen, dass uns das nicht auch passiert. Dass Deutschland und die EU sich nicht auch so extrem spalten wie die USA. Gerade mit Blick auf den Aufstieg der Rechtspopulisten. Und auf die kommende Bundestagswahl.
Der Politikwissenschaftler Torben Lütjen, derzeit Direktor des Instituts für Demokratieforschung in Göttingen, hat mehrere Jahre zur ideologischen Polarisierung in den USA geforscht. Vor Kurzem ist sein Buch „Die Politik der Echokammer“ erschienen. Er gibt vorsichtige Entwarnung, wenn man ihn fragt, ob sich Deutschland und Europa genauso entwickeln werden wie die USA. „Einige soziale Trends sind zwar ähnlich, aber vieles kann man nicht vergleichen, weil unsere Gesellschaften und unsere politischen Systeme sehr unterschiedlich sind“, sagt er.
Die USA haben zum Beispiel ein Zwei-Parteien-System, während sich in Deutschland und vielen anderen europäischen Staaten die Regierungen aus Koalitionen zusammensetzen. Und die europäischen Populisten treten immer noch vergleichsweise moderat auf. „Selbst Marine Le Pen in Frankreich versucht derzeit, sich zur Mitte hin zu orientieren – anders als das Trump in seinem Wahlkampf gemacht hat“, sagt Lütjen. In den USA sei die Radikalisierung viel „linearer“, weil jede Seite nach einer Niederlage damit reagiere, noch prinzipientreuer zu werden. „Es ist also zu früh zu glauben, dass Deutschland oder zum Beispiel auch Frankreich vor einer Polarisierung ähnlichen Ausmaßes steht.“
Eine Warnung kann uns die Situation in den USA trotzdem sein. Oder eine Lehre. Dass wir miteinander sprechen, aber in manchen Beziehungen auch hin und wieder schweigen oder das Politische ignorieren müssen. Dass wir für unsere Überzeugungen einstehen, aber die Überzeugungen anderer uns nicht zu einem vorschnellen Urteil verleiten sollten. Damit wir nicht sofort alle Brücken abbrechen. Wir brauchen sie nämlich, um unsere Gesellschaft zusammenzuhalten. Und unsere Beziehungen.