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In Texas müssen Frauen nach der Abtreibung bald Embryos und Föten beerdigen

Foto: dpa; Bearbeitung: jetzt

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Wenn zurzeit beim texanischen Gouverneur Gregg Abbott die Luftpolsterbriefumschläge in Massen eintrudeln, ist das nicht unbedingt Weihnachtspost. In seinem Briefkasten landen derzeit auch benutzte Tampons, Binden und blutige Unterhosen. Frauen in Texas schicken sie ihm: Sie protestieren damit gegen eine neue Vorschrift zum Thema Abtreibung.

Ab dem 19. Dezember müssen Frauen, die abtreiben oder eine Fehlgeburt haben, die Überreste beerdigen oder einäschern lassen. Die Kosten dafür müssen sie selbst tragen. Sie können sich auf bis zu 2000 Dollar belaufen. Immerhin: Das Ausstellen einer Sterbe- oder Geburtsurkunde sei nicht notwendig, Fehlgeburten zu Hause seien von den Maßnahmen ausgenommen, so die Vorschrift.

"Wenn ihr euch nicht sicher seid, ob euer Tampon, eure Binde oder eure auf immer ruinierten Unterhosen eventuell befruchtet sein könnten, schickt sie zu Gouverneur Gregg Abbott, um sie untersuchen zu lassen“, heißt es in dem Facebook-Aufruf, „das ist unsere Pflicht als Bürgerinnen.“ Tausendfach wurde der Aufruf auf Facebook bereits geteilt:

Der Gouverneur hat diese Regeln geschickt und schnell durchgesetzt: Als direkte Auflage der Gesundheitsbehörde – und nicht als Gesetz, das eine öffentliche Debatte im Senat und eine Abstimmung der Politiker erfordert hätte. Die Begründung für die neuen Vorschriften: Sie würden die Gesundheit und die Sicherheit der Öffentlichkeit erhöhen.

Nach dem ersten öffentlichen Aufschrei gab es im August eine Anhörung. Vor der Gesundheitsbehörde kamen Ärzte, Bestatter und Frauen zu Wort. Die Gegner der Vorschrift hatten keinen Erfolg. Und der texanische Senator Don Huffines (Republikaner) hatte noch eine ganz andere Begründung für die Maßnahme als das Gemeinwohl: „Viel zu lange hat der Staat Texas es zugelassen, dass die Unschuldigsten unter uns einfach mit dem Müll entsorgt werden. Das Leben beginnt mit der Empfängnis.“ Eine Position, die der Gouverneur teilt und der sich nun alle Frauen beugen müssen: Die neuen Regeln gelten unabhängig von der Dauer der Schwangerschaft und ohne Rücksicht auf die Umstände, wie es zur Schwangerschaft kam.

Bisher wurden die Überreste, die in der Regel so groß sind wie eine Erbsenhülse, von einem Dienstleister für medizinischen Abfall entsorgt. Wer wollte, konnte trotzdem eine Beerdigung abhalten. So erzählte eine Frau bei der Anhörung, für sie sei die Trauerfeier nach einer Fehlgeburt hilfreich gewesen, mit dem Verlust fertig zu werden. Doch nicht für jeden war die Aussicht auf eine Zwangsbeerdigung positiv: Sie habe ihre Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung abgebrochen, berichtete eine andere Frau. Hätte sie die Überreste beerdigen müssen „hätte mir der Staat Texas meine Vergewaltigung noch einmal unter die Nase gerieben“ zitiert der Austin-American Statesman von dieser Anhörung. Im Januar will der Gouverneur die neuen Vorschriften der Gesundheitsbehörde auch noch als Gesetz verankern.

„Pro-Choice“-Organisationen wie NARAL Pro-Choice, die sich früher National Abortion and Reproductive Rights Action League nannte, rüsten sich bereits für den Kampf. Alexa Garcia-Ditta arbeitet für die Organisation: „Unsere Regierung ist gegen Abtreibung, sie hat keinen Respekt vor individuellen Entscheidungen zur Gesundheit und Familienplanung“, so die 30-jährige Texanerin. „Schwangere Frauen sollen an den Pranger gestellt werden.“

Sogar der „Satanic Temple“ will gerichtlich dagegen vorgehen, berichtet Jezebel. Auch wenn der Name eine Sekte vermuten lässt, handelt es sich um eine politische Organisation, die mit überspitzten und zum Teil satirischen Aktionen ihres satanischen Glaubens für soziale Gerechtigkeit und die Trennung von Kirche und Staat kämpft – ein bisschen wie die Kirche des Spaghetti-Monsters. Beerdigungsrituale, so sagt der Satanic Temple jetzt, seien tief verankert in der Ausübung religiösen Glaubens – und stünden im Konflikt mit dem Glauben der Gruppe. In Missouri zog der Satanic Temple bereits gegen Anti-Abtreibungsgesetze vor Gericht und argumentierte mit dem ersten Zusatzartikel der Verfassung: dem Recht auf Religionsfreiheit. Wenn der Staat sie vorschreiben will, solle er nachweisen, dass diese Rituale einen medizinischen Nutzen haben – was er bisher nicht getan hat.

Seitdem der Oberste Gerichtshof Frauen das Recht auf eine sichere, legale Abtreibung im Jahr 1973 zusprach, versuchen konservative Bundestaaten das Gesetz zu umgehen. Erst im Sommer hatte der Oberste Gerichtshof ein texanisches Gesetztespaket für verfassungswidrig erklärt, welches Abtreibungskliniken ihre Arbeit fast unmöglich machte. Keine vier Tage nach dem Urteilsspruch kündigte Gouverneur Abbott den Einäscherungs-, beziehungsweise Bestattungszwang an. „Eindeutig ein Gegenschlag nach unserem Sieg vor dem Obersten Gerichtshof“, sagt Garcia-Ditta, „doch genau dieser Sieg gibt uns die Kraft, weiter zu kämpfen.“

Doch Texas kam nicht von ungefähr auf die Idee einer verpflichtenden Beisetzung. Mike Pence, der künftige Vizepräsident der USA, hat als Gouverneur des US-Bundestaates Indiana ein ähnliches Gesetz verabschiedet. Aktiv ist es noch nicht, zurzeit wird gegen das Gesetz geklagt. 

Donald Trump hat angekündigt, er wolle das bundesweite Recht auf Abtreibung abschaffen, jeder Bundestaat solle selbst entscheiden. Dafür muss er konservative Richter in den Obersten Gerichtshof ernennen, die entsprechende Staatsgesetzte als rechtens anerkennen. Frauen müssten dann eben in einen anderen Staat reisen, wenn sie zuhause keinen Zugang zu einer Abtreibungsklinik hätten, so Trump weiter. Eine mitunter teure Hürde, die besonders Frauen in ohnehin finanziell schwierigen Verhältnissen erst einmal nehmen müssten.

 

Eine Politikerin in South Carolina  versucht, die Unverhältnismäßigkeit der ganzen Debatte aufzuzeigen. Mia McCleod hat ein Gesetz vorgeschlagen, das es amerikanischen Männern schwer machen würde, an Viagra zu kommen. Zum Beispiel müsste eine schriftliche Bestätigung der Erektionsstörung durch einen Sexualpartner vorgelegt werden. Eine Untersuchung durch einen staatlichen Sexualtherapeut wäre Pflicht, um auszuschließen, dass es sich um ein psychisches Problem handelt. Regeln, die angelehnt sind an Vorschriften zur Abtreibung, nach denen sich Frauen zum Beispiel einer staatlichen Beratung unterziehen müssen, die explizit darauf angelegt ist, ihnen eine Abtreibung auszureden. McCleod ist realistisch und glaubt nicht, dass das Gesetz verabschiedet wird: „Mir geht es um die Diskussion“, sagte sie dem US-Sender NBC, „und dass die Leute über die Probleme der Frauen nachdenken, die eine legale Abtreibung in diesem Staat brauchen.“

 

Bei Gouverneur Gregg Abbott dürfte das Nachdenken vielleicht schon begonnen haben, als er in den vergangenen Tagen seine Post öffnete.

 

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