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Bernies Revolutionäre

Foto: Matthias Kolb

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Die größte Gefahr für die „politische Revolution“ sind leere Akkus. Moumita Ahmed braucht nicht mehr als ihr Smartphone und ihren Computer, um 15 Stunden am Tag Werbung für Bernie Sanders zu machen. Die 25-Jährige wohnt eigentlich in Brooklyn, doch seit Wochen reist sie durch die USA, um andere für ihren Kandidaten zu begeistern.

Dieser Mann ist 74, sieht aus wie ein zerstreuter Professor und wäre der älteste US-Präsident aller Zeiten. Doch Amerikas Jugend verehrt Sanders: Bei den ersten Vorwahlen stimmten mehr als 80 Prozent der Unter-30-Jährigen für den Senator aus Vermont, der sich als „demokratischen Sozialisten“ bezeichnet. Doch nicht nur Schüler und Studenten finden ihn großartig, sondern auch junge Arbeiter und jene, die aus Angst vor hohen College-Gebühren und mehreren zehntausend Dollar Schulden nicht zur Uni gegangen sind.     

Weil das „Bernie 2016“-Büro in South Carolinas Hauptstadt Columbia überfüllt ist, arbeitet Moumita an diesem Nachmittag in einem Coffeeshop. Die Aktivistin durchforstet Twitter nach möglichen Sympathisanten: „Ein schwarzer Abgeordneter hat zur Wahl von Hillary Clinton aufgerufen. Wir suchen nach Leuten, die ihm deswegen kritische Tweets geschickt haben.“ 

Moumita twittert diese User an und fordert sie auf, Sanders zu unterstützen: mit einem Link zu Infos, wie sich Freiwillige engagieren können. Moumita nutzt den Account @Bernlennials, der für „Millennials for Bernie“ steht. Mit Bekannten hat sie vor einem Dreivierteljahr die Facebook-Gruppe gegründet, die mittlerweile knapp 50.000 Fans hat. 

Vom Café aus fährt Moumita 40 Minuten in ihr neues Zuhause: Seit einer Woche wohnt sie in einem großem Haus, das Susan Aiken gehört. Die 57-Jährige beherbergt zehn Aktivisten in mehreren Gästezimmern („Nehmt euch einfach Handtücher“) und auf diversen ausziehbaren Sesseln und Sofas  – entsprechend laut geht es manchmal zu. Während die anderen kochen, steckt Moumita das Netzteil ihres Computers an den Mehrfach-Stecker auf dem Küchentisch und erzählt.     

Ihre Zeit in South Carolina, wo am Samstag die nächste Vorwahl stattfindet, finanziert Moumita auch aus ihrem Ersparten. Andere wie Mike Ferguson aus der Nähe von Seattle haben per Crowdfunding Spenden gesammelt, um Essen und Reisekosten zu bezahlen: „Mein Flugticket nach Iowa hat ein Kumpel bezahlt, das nach South Carolina ein ehemaliger Lehrer.“ 

  

Moumita hat nach der Uni für demokratische Politiker gearbeitet, doch niemand war in seiner Politik so konsequent wie Sanders: Er fordert 15 Dollar Mindestlohn pro Stunde, kostenlose Unis und die Zerschlagung der Wall-Street-Banken. Hillary Clinton werde dies nie durchsetzen, weil die Ex-Außenministerin selbst Spenden von Banken angenommen hat, sagt Moumita. 

„Es muss sich etwas ändern in den USA. Mit ihr wird das nicht passieren“ 

Dass Bernie Sanders seine Kandidatur nur mit Kleinspenden finanziert, imponiert auch Nicolas Pastore. Der 18-Jährige beginnt bald sein Studium an der renommierten Tufts-Uni. Weil seine Eltern bei den Vereinten Nationen arbeiten, werden seine Uni-Gebühren zum größten Teil übernommen. Doch Nicolas kennt den Zwiespalt vieler Millennials: Sollen sie sich verschulden, um auf die Uni zu gehen? Bis vor zehn Jahren war ein Hochschulabschluss die Garantie, gut zu verdienen und die Schulden abbezahlen zu können – heute ist dies nicht mehr so. Nicolas zitiert die Theorien des französischen Ökonomen Thomas Piketty, der sich mit wachsender sozialer Ungleichheit beschäftigt. Nicolas sagt: „Es muss sich etwas ändern in den USA. Mit ihr wird das nicht passieren.“ 

Fast immer, wenn in der temporären Bernie-WG die Worte „sie“ oder „ihr“ fallen, dann ist Clinton gemeint. „Ich habe einfach kein Vertrauen in sie“, sagt Erin Reagan aus Pennsylvania. Die 23-Jährige muss 29 000 Dollar abbezahlen (ihre Eltern noch mehr), doch trotzdem hat sie ihre Job-Suche nach der Uni nun unterbrochen, um durch die Straßen Columbias zu laufen und Sanders-Broschüren zu verteilen. Sie ist stolz darauf, Teil der „politischen Revolution“ zu sein, die mit Sanders an der Spitze die USA verändern und gerechter machen will.  

Moumita, deren Eltern aus Bangladesch stammen, klopft selten an Haustüren. Sie ist am effektivsten, wenn sie bei Instagram, Twitter und Facebook für Bernie wirbt: „Dort sind die jungen Amerikaner, keiner von uns schaut mehr fern.“ Die Besonderheit des Sanders-Wahlkampfs besteht darin, dass die besten Ideen oft von freiwilligen Helfern kommen. Moumita gehört mit früheren Mitgliedern von Occupy Wall Street zu der Gruppe „People for Bernie“, die sich Ende April 2015 gründete und später den Slogan „Feel the Bern“ erfand. Aus einem Tweet mit dem Hashtag #FeelTheBern, so erzählt Moumita, entstand eine Massenbewegung, inzwischen erschallt der Spruch bei Sanders-Auftritten aus tausenden Kehlen. 

Nicht alle sind so überzeugt, dass sie sich gleich ein Bernie-Tattoo stechen lassen. Doch für Freiwillige gibt es zahllose Möglichkeiten, die Kampagne zu unterstützen. Ein Nerd aus Oregon hat im Alleingang voteforbernie.org programmiert, wo jeder herausfinden kann, wann in seinem Staat gewählt wird und wo er abstimmen kann. Ein anderer hat eine App gebastelt, die während der Debatten automatisch alle Tweets von @BernieSanders retweetet – alles mit dem Ziel, den Kandidaten Sanders bekannter zu machen.  

Der Gegensatz zu Clintons Digitalkampagne, die von einer früheren Google-Managerin geleitet wird, ist enorm. Straffe Organisation und ein Riesenbudget stehen Leidenschaft und „Do-It-Yourself“-Haltung gegenüber. Egal ob Schüler, Arbeiter oder Rentner: Die Offenheit der „Bernie 2016“-Kampagne gibt allen das Gefühl, gebraucht zu werden. Sie wollen den Einfluss von Milliardären reduzieren – und Politik aktiv verändern.  

„Was wir machen, ist nicht wirklich effizient. Es gibt viele Überschneidungen, aber alle fühlen sich akzeptiert“, sagt Will Lockhart aus New York beim Abendessen. Der Physikstudent ist 25, trägt Brille und Karohemd und zieht einen interessanten Vergleich: „Eigentlich ist es wie im Kapitalismus: Die besten Produkte setzen sich durch.“

Alle lachen und reden weiter durcheinander. Diplomatensohn Nicolas berichtet, wie er lange Texte der Website feelthebern.org ins Spanische übersetzt. Gastgeberin Susan Aiken sitzt strahlend in ihrem Esszimmer, an dessen Wänden Ölgemälde hängen und hört den jungen Leuten zu. Sie lässt sich Reddit erklären (der Subreddit SandersForPresident  hat 188.000 Abonnenten und ist damit laut dem Magazin Politico beliebter als Seiten für Bier oder Pornos) und diskutiert bis drei Uhr morgens mit. Immer wieder ruft jemand „Kennt ihr das schon?“ und zeigt ein neues Youtube-Video, das Bernie feiert. Besonders beliebt an diesem Abend ist der Hip-Hop-Sanders im „Bern it Up“-Remix.

Am nächsten Vormittag, als Erin, Will und Nicolas nach Columbia aufbrechen, erzählt Susan in ihrer Küche vom Internet-Portal „Bernie BNB“, auf dem sie Schlafplätze anbietet. Seit ihrer Scheidung wohnt sie allein mit Hund Tinker in ihrem großen Haus. Sie hat drei Söhne, die alle Ende 20 sind, und genießt nun die Gesellschaft der Bernie-Aktivisten. 

Susan war lange Zeit sehr angetan von Hillary Clinton, erzählt sie, doch damals habe sie noch nichts von Bernie Sanders gewusst. „Er war seiner Zeit immer voraus. Schon vor 30 Jahren hat er sich dafür eingesetzt, dass Schwule und Lesben heiraten dürfen und dass Frauen den gleichen Lohn erhalten“, schwärmt sie. Je mehr sie recherchierte, umso mehr wuchs ihre Begeisterung: „Es geht um Integrität und Beharrlichkeit. Hillary kann da einfach nicht mithalten.“   

 

Nachdem Sanders bei der ersten Vorwahl in Iowa knapp den Sieg verpasste und dann in New Hampshire triumphierte, tut er sich nun in South Carolina ziemlich schwer. Hier ist die Mehrheit der Demokraten-Wähler schwarz – und bei Afroamerikanern ist Hillary Clinton sehr beliebt. Der 74-jährige Sanders kommt dagegen bei liberalen Weißen sehr gut an. 

 

Sehnen nach einer Zeit, "als in der Politik noch nicht alles vom Geld beeinflusst war"

 

Die Bernie-Kommune in Susans Haus ist sehr typisch: Abgesehen von Moumita und einem indisch-stämmigen Ehepaar Mitte 40, die vormittags ihrer Arbeit in der Tech-Branche nachgehen und dann an Haustüren klopfen, sind alle weiß und gut ausgebildet. Nicht jeder spricht wie Nicolas, dessen Eltern bei den UN arbeiten, so deutlich davon, dass er sich manchmal fast schuldig fühle für den Wohlstand seiner Eltern und wie ungerecht er das globale Finanzsystem findet. Das Wort „Sozialismus“ finden sie überhaupt nicht abschreckend; allerdings interpretieren sie es eher im Sinne von „sozialer Marktwirtschaft“ im Stil der alten BRD.      

 

Gastgeberin Susan regt sich jedes Mal auf, wenn sie liest, dass Bernie Sanders und Donald Trump nur so erfolgreich seien, weil immer mehr Amerikaner frustriert wären. „Wenn ich meine Aktivisten anschaue, dann finde ich nicht, dass die schrecklich wütend sind. Wir sehnen uns einfach alle nur nach jener Zeit zurück, als in der Politik noch nicht alles vom Geld beeinflusst war.“ Viele ihrer Nachbarn hätten vor kurzem für Trump gestimmt und halten Susan für verrückt, dass sie nun Sanders wählen will. Sie weiß, dass sie ihren eigenen Interessen schadet, doch sie ist überzeugt, dass sich der Staat um jeden Bürger kümmern müsse – auch und vor allem um die Armen.

Egal, wie die Vorwahl in South Carolina ausgeht und ob Sanders zum Kandidaten der Demokraten gekürt wird: Er hat es geschafft, Hillary Clinton nach links zu drängen und zu klaren Aussagen zu zwingen. Dank dieses 74-Jährigen interessieren sich viele junge Amerikaner wieder für Politik. Fast alle haben eine gute Meinung von US-Präsident Barack Obama, doch sie glauben, dass Sanders dessen Politik besser fortführen würde als Clinton, die unter Obama immerhin Außenministern war. 

 

Die Millennials, also die jungen Amerikaner zwischen 18 und Anfang 30, fühlen sich im Stich gelassen von drückenden College-Kosten und sind genervt, dass sie von den Älteren als faul angesehen werden. Für Erin und Moumita gibt es noch einen anderen Aufreger: Das Argument, dass sie als junge Frau Hillary Clinton wählen sollen, damit endlich eine Frau ins Weiße Haus kommt. Die Feministin Moumita findet das anmaßend – und ziemlich bescheuert.

Parallel zu den langen Wahlkampf-Tagen in South Carolina werden die nächsten Etappen geplant. Das indisch-stämmige Ehepaar wird nach Boston zurückfahren – und auf dem Nachhauseweg zwei Tage lang in Virginia „alles tun, wofür Bernie uns braucht.“ Erin schwankt noch, ob sie auch nach Virginia reisen soll oder vielleicht in Texas mehr bewegen kann. „Ich habe viele Bonusmeilen von einem Freund, ich kann dir einen Flug buchen“, meint Nick, ein Krankenpfleger.   

 

Und auch Susan, die 57-jährige Gastgeberin, ist fest entschlossen, die Rollen zu wechseln und im März selbst irgendwo in den USA Wahlkampf machen. Wenn es darum geht, Amerika gerechter zu machen, findet sie, dann müssen Junge und Alte zusammenarbeiten. 

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