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Tausch: American Dream gegen München-Neuperlach

Foto: privat

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An einem Abend im November sitzt Detective Amir Abdalla auf der Couch in seinem Haus in Temple Hills, einem Vorort von Washington D.C. Er ist allein. Vor ihm auf dem Tisch steht eine volle Flasche Cognac, im Fernseher ist CNN-Nachrichtenikone Wolf Blitzer zu sehen. Die Cognac-Flasche wird bald leer sein – und Detective Abdalla unter Tränen einen Facebook-Post absetzen, mit dem er die vergangenen 17 Jahre seines Lebens in Frage stellen wird. Und damit auch das Land, das seine Heimat geworden ist. Das ihn zu dem machte, der er heute ist. Denn: Der Abend im November ist nicht irgendeiner, sondern der, an dem Donald J. Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt werden wird. Detective Amir Abdalla schreibt: „Looking for affordable apartments preferably in Neuperlach or Schwabing (Munich).“

Amir Abdalla will wieder dahin zurück, wo er herkommt: in den Münchner Stadtteil Neuperlach. Seine Freunde von früher erinnern sich auch heute, 17 Jahre später, an ihn – unter seinem zweiten Vornamen Peter. Amir Peter wird Ende der Siebziger als Sohn einer Amerikanerin und eines Sudanis geboren. Der Junge mit dem wuscheligen Afro geht in Neuperlach zur Grundschule, spielt Fußball, steht auf den FC Bayern, macht als Jugendlicher an einer Wirtschaftsschule seine Mittlere Reife, schlägt sich dann als Security für eine private Sicherheitsfirma durch. Aber so richtig Fahrt nimmt Amirs Leben nicht auf. „Ich habe nichts Gescheites aus mir gemacht damals“, sagt er heute. Ein Gespräch mit seinem Bruder, der in den USA lebt, verändert Amirs Leben. „Er hat gesagt, dass ich Disziplin lernen muss und mir geraten, auch in die USA zu gehen.“

Mit 21 Jahren beschließt Amir, ins Geburtsland seiner Mutter auszuwandern. Er geht zum Militär, wird Hubschraubermechaniker und ist ein Jahr lang mit US-Truppen im Irak stationiert. Für ihn war die Zeit dort die schwierigste seines Lebens. „Der Irak wäre eigentlich ein schönes Land“, erzählt er – und selbst über die weite Skype-Verbindung spürt man noch die Melancholie, die in diesen Worten liegt. „Aber die Leute dort wollen dir den Kopf abhacken.“ Amir ist hin- und hergerissen – zwischen dem Stolz, für sein neues Heimatland zu kämpfen, und dem Gefühl, sein Leben zu verpassen. Er feiert seinen 27. Geburtstag in der Wüste. „Wenn du jeden Tag immer die gleichen Leute siehst, drehst du irgendwann durch.“ So oder so: Amir ist dem Militär dankbar. „Es hat einen Mann aus mir gemacht“, sagt er. „Ohne diese Zeit wäre ich nicht, wo ich jetzt bin.“

Er kam als zielloser Jugendlicher in die USA, arbeitete sich hoch, mit der Disziplin, die ihn das US-Militär lehrte – mehr American Dream geht kaum.

Insgesamt sechs Jahre dient Amir in der Armee, nach seiner Rückkehr geht er auf die Polizei-Akademie. In Temple Hills baut Amir sich ein Leben auf, wird Vater. Sohn Jaden Lawrence ist acht Jahre alt. Der Kleine lebt bei seiner Mutter. Es hat nicht funktioniert zwischen ihr und seinem Vater. Aber Jaden und er verbringen jedes Wochenende miteinander. Dann schauen sie Spiele der Washington Redskins, ihres Football-Teams – natürlich bekleidet in Trikots des Vereins mit dem markanten Indianerkopf.

Den deutschen Pass hat er abgegeben. Genau wie seinen zweiten Vornamen. „Ich heiße jetzt nur noch Amir“, erklärt er. „Peter ist in Deutschland geblieben.“ Er lächelt, wenn er das sagt.

Der neue Amir ist durch und durch Amerikaner. Er steht auf American Football, große Autos und Barbecue. Er, der Einwanderer, der als zielloser Jugendlicher in die USA kam, hat sich hochgearbeitet, mit der Disziplin, die ihn das US-Militär lehrte – mehr American Dream geht kaum.

Und jetzt, plötzlich, fragt sich Amir, ob die Vereinigten Staaten von Amerika noch sein Land sein können. Nicht erst seit dem Wahlabend hadert Amir immer wieder mit seiner neuen Heimat. Nach dem Abschluss auf der Polizeiakademie wird Amir zum Police Officer, fährt Streife in den Vororten von Washington D.C.. Er lernt dabei, wie tief der Rassismus in der US-Gesellschaft verwurzelt ist. Die meisten Amerikaner leben ihren Rassismus nicht offen, Amir spürt ihn dennoch immer wieder. Die Richtung spielt dabei keine Rolle:

Einmal, als er eine Gruppe schwarzer Jugendlicher aus dem Bandenmilieu kontrolliert, beschimpft ihn einer als „Scheiß-Araber“ – wegen des Namensschildes an Amirs Polizeiuniform. Auch unter den Kollegen gibt es Rassisten. „Ich poste viel politisches Zeug auf Facebook“, erzählt Amir. „Einige Kollegen haben mich deswegen in den vergangenen Monaten entfreundet.“ Als er einen von ihnen darauf anspricht, antwortet der: „Warum bist Du überhaupt bei der Polizei? Wir sind für Trump!“

Und der versprach im Wahlkampf schließlich eine umfassende Polizeireform. Das überzeugte viele Polizisten. Amir nicht. Der machte von Anfang an deutlich, dass Hillary Clinton seine Favoritin ist. Amir machen die Spannungen zwischen Schwarzen und Weißen traurig. „Wenn diese Leute ihre Uniform ausziehen, sind sie blonde, blauäugige Amerikaner“, sagt er. „Für sie ist alles einfach, aber wenn ich meine Uniform ausziehe, bin ich schwarz.“

Und Schwarze haben es in den USA immer noch schwer. Sehr. Immer wieder werden sie Opfer von Behördenwillkür und Gewalt. Amir selbst hatte bisher meistens Glück, kennt die wirklich schlimmen Horrorgeschichten nur aus Erzählungen. Einmal aber bekommt er mit, wie ein weißer Kollege einer Gruppe von Nachwuchspolizisten rät, die Bewohner der schwarzen Viertel von Washington D.C. nicht wie Menschen zu behandeln, sondern wie Tiere. „Da musste ich schon schlucken“, erzählt Amir. Dabei kennt er das Prinzip selbst: „Wenn ich ein Auto mit vier jungen Schwarzen sehe, kontrolliere ich es auch“, sagt er. „Weil die Wahrscheinlichkeit, bei dieser Personengruppe Waffen oder Drogen sicherzustellen, einfach hoch ist.“

Solche Vorurteile begegnen aber auch Amir als schwarzem US-Amerikaner immer wieder. Wenn er selbst zum Opfer wird. Wenn er Probleme wegen seines Namens bekommt. Einmal hätte er deswegen fast einen Flug verpasst. „Die Leute vom Sicherheitspersonal haben meinen Namen überprüfen lassen und wollten checken, ob ich ein Terrorist bin.“ Schikanen gegen Minderheiten – schon jetzt ein Problem. Und unter Trump?

Amir hat Angst, dass alles noch schlimmer wird. Dass der neue Präsident seine Ankündigungen wahrmacht und die Situation in den USA noch härter wird – vor allem für Leute, die schwarz sind und mit Nachnamen Abdalla heißen.

Auf Streife wurde er von einer Kugel getroffen. Glatter Durchschuss durchs linke Bein, Not-OP

Trotzdem sei es nicht leicht, ein Land zu verlassen, in dem man seit fast 20 Jahren gelebt hat. Amir ist inzwischen kein Streifenpolizist mehr, sondern Detective. Er bearbeitet große Kriminalfälle, hat Karriere gemacht. Dazu kommt, dass seine ganze Familie in den USA wohnt. Bruder David, die Schwestern Amira und Monira. Zuletzt holten die Geschwister Papa Mohammed vor einem knappen Jahr aus Neuperlach.

„Ich liebe Amerika, ich habe mir ein Leben hier aufgebaut“, erklärt Amir. „Aber die kommenden vier Jahre werden eine Katastrophe.“ Er, seine Familie und auch seine Freunde: Sie alle haben für Hillary Clinton gestimmt. Zu furchteinflößend waren Trumps Ankündigungen im Wahlkampf gewesen. Einreiseverbot für Muslime, eine hohe Mauer an der Grenze zu Mexiko und so weiter und so fort. Amir mag nicht glauben, dass Trump das Horrorszenario wirklich umsetzt. Er habe keine Erfahrung in der Politik, müsse sich auf hoffentlich intelligentere Berater verlassen.

Amir stört aber vor allem etwas anderes: Bill Clinton, Barack Obama, sogar George W. Bush – sie alle seien ernst zu nehmende Politiker gewesen, zu ihnen habe man aufschauen können. Aber Trump? „Wenn er den Mund aufmacht, klingt er wie ein Fünftklässler“, sagt Amir bitter. „Ich kann nicht glauben, dass wir so dumm waren, so einen Mann zum Präsidenten unseres Landes zu machen.“

Vor ein paar Jahren hatte Amir ein einschneidendes Erlebnis. Auf Streife wurde er von einer Kugel getroffen. Glatter Durchschuss durchs linke Bein, Not-OP. „Das war ein Warnschuss“, erzählt Amir. „Da habe ich realisiert, dass es bei allen meinen Entscheidungen auch um Jaden geht, nicht nur um mich.“ Auch wenn er sich seit seinem Post in der Wahlnacht mittlerweile etwas beruhigt hat und nicht auf gepackten Koffern sitzt, ist München deshalb für Amir jetzt eine ernsthafte Option. Obwohl er in den USA so stark verwurzelt ist. Obwohl seine Karriere dort gut läuft und seine Verwandten in den Staaten leben.

Familie Abdalla ist gerne in der Stadt an der Isar. Erst im Sommer waren Amir und Jaden dort. Sie sind durch den Englischen Garten geradelt, haben in der Isar geplantscht, Amir hat alte Schulkumpels getroffen und deftig bayrisch gegessen. Diesen Sommer fühlte sich seine Reise nach München aber nicht nur nach Spaß und Urlaub an. „Natürlich denke ich oft daran, wie es wäre, wieder fest in München zu wohnen“, sagt Amir. „Es wäre schon besser, wenn Jaden in Deutschland aufwachsen könnte“, sagt Amir. „Dort ist es viel sicherer.“

 

Und Jaden? Auch dem scheint es in München zu gefallen. Klickt man sich durch Amirs Facebook-Timeline, fällt auf: Ob vor dem Rathaus, im Englischen Garten oder in der U-Bahn: Der Kleine scheint sein FC-Bayern-Trikot gar nicht ausziehen zu wollen.

 

Tauscht Amir die USA gegen sein Geburtsland ein? Bald wieder Bayern München statt Washington Redskins? Bayerische Polizei statt Cop in Washington? „Ich liebe München“, sagt Amir. „Wenn ich gehe, dann nur dorthin.“ Ein Problem gäbe es da aber doch: „Ich bin US-Cop, ich stehe auf Verfolgungsjagden und so“, sagt er lachend. „In München würde ich mich zu Tode langweilen.“

 

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