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Kopflos im Computerzeitalter

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Herr Weber, ich muss Ihnen was gestehen. Ich habe Ihr Buch „Das Google-Copy-Paste-Syndrom“ gar nicht zu Ende gelesen. Aber mit dem Durchblättern, dem Klappentext und ein paar Zeitungsmeldungen könnte ich sofort eine Rezension schreiben. Das würde doch niemand merken? Als Autor könnte ich mit ein paar einfachen Fragen schon heraus finden, wie tief ihr Wissen über das Buch ist. Aber der Leser würde es natürlich nicht merken. Er muss sich darauf verlassen können, dass Sie objektiv und redlich arbeiten. Leider gehören Text-Plagiate heute zum Alltag in der Textproduktion: Studenten, Wissenschaftler, Journalisten und PR-Manager kopieren und fügen ein was das Zeug hält. Wie merke ich denn, ob ich an dem von Ihnen beschriebenen Google-Copy-Paste-Syndrom leide? Da hilft nur eine ehrliche Selbstprüfung. Mit dem GCP-Syndrom meine ich, dass Texte heute immer öfter das Produkt eines dreistufigen Prozesses sind. Zuerst ergoogelt man sich sein Thema. Die Suchmaschine und ihre unsichtbaren Parameter und Algorithmen sind zu unserem Tor zur Wirklichkeit geworden. Das wäre an sich nicht so schlimm. Aber im zweiten Schritt eignet man sich wohlklingende und prägnante Textbausteine durch schnelles Strg C / Strg V an und kopiert sie in das Textverarbeitungsprogramm. Diese Module werden dann neu montiert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sie sind in Österreich als Plagiat-Jäger bekannt, der zusammengeschnipselte Diplom- und Magisterarbeiten sucht und den Universitäten zur Anzeige bringt. Plagiate sind in der Wissenschaft ein weit verbreitetes Problem. Bei anonymen Umfragen in den USA und England haben mehr als 30 Prozent der Studierenden zugegeben, schon einmal in einer Arbeit „Informationen aus Online-Quellen“ ohne Kennzeichnung verwendet zu haben. Die modernen Technologien schaffen Zugänge zu Informationen, die unvereinbar sind mit der Belegkultur der Gutenberg-Galaxis. Es geht dabei doch darum, dass die Quellen für alle auffindbar und die Thesen deshalb besser nachvollziehbar sind. Das gilt für Webseiten einfach nicht, weil die verändert oder abgeschaltet werden können. Ihre Tätigkeit macht Sie sicher nicht sonderlich beliebt an den Universitäten? Ich bekommen viele Mails und Anrufe. Vor allem von Leuten, die ich erwischt habe. Die schreiben dann: Such dir doch ein anderes Hobby! Oder vermuten, dass ich psychische Probleme hätte, und irgendetwas kompensieren müsse. Manchmal setzt es auch Drohungen. Die häufigste Reaktion ist allerdings: Schweigen. Aber ich habe erst angefangen mit der Arbeit. Ich werde Plagiate weiter aktiv suchen. Es geht auch darum zu verstehen, wie sich die Textkultur verändert hat. In Ihrem Buch schreiben Sie über die „Textkultur ohne Hirn“. Was verstehen Sie darunter? In der Gegenwart wird mehr Text produziert als jemals zuvor in der Geschichte. Aber das heißt nicht, dass die Qualität proportional zur Quantität gestiegen ist. Wenn sie sich Magister-Arbeiten heute anschauen, dann finden Sie eine abstruse Mischung aus Online- Quellen, Wikipedia und Plagiaten anderer Hausarbeiten. Es ist sehr dünn, und, mit Verlaub, oft Bullshit. Aber das ist nicht so schlimm. Es gibt ja auch niemanden mehr, der diese Arbeiten liest – bis auf mich. Die Textkultur ohne Hirn entsteht aus dem unnötigen Text, der nicht selbst verfasst und auch nicht gelesen wird. Vielleicht müssen wir uns alternative Formen des Leistungsnachweises ausdenken: 30 Seiten. Kurz und knapp und dafür originär. Eine Dissertation hatte Anfang des 20. Jahrhunderts oft nur 50 Seiten, heute sind es selten weniger als 200 Seiten. Je leichter die Zugänge zu Informationen werden, desto verschwenderischer und vielleicht auch nachlässiger gehen wir offenbar mit ihnen um. Soll das heißen, dass neue Medien wie das Internet, dass schnellere Kabelverbindungen und digitale Datenbanken die Menschen eher dümmer machen? Ich neige mittlerweile tatsächlich dazu, das so zu sehen, ja. Denn wer hat denn heute noch die Zeit ein Buch linear zu lesen? Da sind so viele Kanäle, aus denen wir permanent Informationen aufnehmen. Da sind die ganzen Maschinen, die unsere Beachtung verlangen. Wir befinden uns in einer Ablenkungs-Konzentrationsdefizit-Spirale. Kein Wunder, dass die schlechten und nichtssagenden Texte niemandem auffallen.


Herr Weber, sind Sie ein Kulturpessimist? Ein Mann von gestern? Nein. Ich habe nur ein Problem mit zunehmender Heuchelei. Ich finde es auch nicht besonders progressiv, Schlampigkeiten und Unschärfen cool zu finden. Ich bin ja selber den ganzen Tag im Internet. Die Suchmaschinen und Online-Datenbanken ermöglichen es mir - und der Plagiatsprüfungssoftware, die immer besser wird - ja erst, die Fälschungen zu finden. Wir schlagen die Internet-Betrüger mit ihren eigenen Waffen. Die Bachmann-Preisträgerin und Bloggerin Kathrin Passig meinte kürzlich zu dem Problem: „Freier Zugang zu Informationen ist doch eine Drei-Sterne-Weltverbesserung“, die Debatten um Urheberrechte würden bald in Vergessenheit geraten. Gerade aus der Kulturszene gibt es oft Stimmen, die fordern: Mehr Plagiate. Da beruft man sich auf postmoderne Konzepte wie multiple Autorenschaft oder die Vielstimmigkeit eines Textes. Mashups, Remixes, Rhizome - das sind schöne Wörter, haben aber im Bereich der Wissenschaft oder Informationswirtschaft nichts verloren. Ich bin für die freie Verbreitung von Informationen, finde aber trotzdem dass gewisse Arbeitsstandards eingehalten werden müssen. Ein schönes Beispiel: Ein Linzer Museum hat vor kurzem einen Katalog über „Die Subversion der Zeichen“ herausgebracht. Leider war der gesamte Katalogtext geklaut. Zwar waren die Original-Texte zum Teil im Internet unter einer Creative-Commons-Lizenz verfügbar, was ihre Verbreitung, Bearbeitung erlaubt. Aber den Autor muss man doch trotzdem nennen. Was sollen wir tun? Es gibt in Österreich mittlerweile einen skurrilen Vorschlag: Eine Schule der Google-Akademiker, die einen alternativen Ehrenkodex ausarbeiten wird: Eine Arbeit ist gut, wenn sie es schafft, den Modulen aus den verschiedensten und unverbundenen Quellen den Anschein eines authentisch generierten Textes zu verleihen: Das Diplom in der erfinderischen Täuschung. Das ist natürlich Satire. Ich sehe keine Alternative dazu, die Print-Logik und ihre Belegkultur auch im Netz-Zeitalter aufrecht zu halten. Kann ich mit Copy-Paste nur vortäuschen, dass ich einen Text verstanden habe, oder lerne ich mit dieser Methode nicht auch etwas? Wenn sich alle immer nur gegenseitig kopieren, dann stecken wir in einem reziproken Recycling-Loop fest. Das verhindert, dass neue Ideen entstehen, die Qualität nimmt immer weiter ab. Weil die Kopie der Kopie der Kopie irgendwann defekt ist. Das ist vor allem in den Wissenschaften ein Problem, die nur um den Text zirkulieren. Dass man die Gedankengänge und Denkstrukturen von Philosophen und Theoretikern nicht bis zum Ende nachvollziehen muss, um eine Prüfung zu bestehen, ist schon bedenklich. Aber wenn das Plagiieren zur gängigen Praxis wird, und alle immer nur so tun, als wüssten sie, wovon sie sprechen, müsste es doch irgendwann zu einer Implosion kommen. Stellen sie sich vor: ein Nukleartechniker erschleicht sich mit einem Plagiat das Diplom, sitzt dann am Schaltpult und weiß nicht, was er tut. Das ist ein böser Gedanke. In Tirol gab es kürzlich einen Fall, dass ein Geologe eine Studie über einen Gletscher plagiiert hat. Er hat die Schlussfolgerung aus einer zehn Jahre alten Studie abgeschrieben. Und auf solchen Informationen basieren dann die Entscheidungen über neue Wasserkraftwerke. Ich will das gar nicht zu Ende denken: Stellen Sie sich vor, wir sind alt und abhängig von medizinischer Hilfe, und dann ist mein Hausarzt ein Plagiator.

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