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„Fresse halten, selber machen“
Man könnte behaupten, das hier sei die Geschichte einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderung. Eine Geschichte, die belegt, warum Politiker junge Menschen nicht mehr verstehen und weshalb diese sich für bestehende Parteien kaum mehr interessieren. Man kann aber auch ganz einfach sagen: Das hier ist die Geschichte von Susan, Klaus, Florian und Florian – und ihrer WG in München; eine geräumige Drei-Zimmer-Wohnung, im fünften Stock über dem Deutschen Theater in der Schwanthaler Straße gelegen. Es gibt zwei Badezimmer, FM4-Poster an den Wänden, eine WG-Küche mit Sofa und W-Lan in der ganzen Wohnung. Die Bücher auf dem Küchentisch sind Notebooks, der Besucher kann zwischen Club Mate und Augustiner wählen. Was für Florian, Florian, Susan und Klaus ganz normal ist, ist doch etwas Besonderes: Münchens erste Piraten-WG. Totenschädel überm Bett Im September 2006 gründete sich in Berlin die Deutsche Piratenpartei. Kurz danach schlossen sich Susan, Klaus und der eine Florian – intern wegen seines Studiums Informatiker-Flo genannt – den Piraten an. Sie wurden Mitglieder der Partei und waren dabei, als Anfang des Jahres in München der bayerisches Landesverband gegründet wurde. Der vierte WG-Bewohner – intern wegen seiner Geburtsstadt Salzburg Ösi-Flo gerufen – will keiner Partei beitreten, die Piraten aber mag er.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Susan Lucke,27, und Florian Sesser, 23 Mit ihrem ungewöhnlichen Namen wollen die Parteigründer eine Zuschreibung der Musik- und Filmindustrie umdeuten: Diese spricht oft von Datenpiraten, wenn sie gegen Menschen vorgeht, die Film- und Musikdateien im Internet tauschen. Dadurch würden diese negativ vorverurteilt und „teilweise ungerechtfertigt in die Illegalität gedrängt“, erklärt die Partei in einer Selbstbeschreibung: „Darum nennen wir uns ebenfalls Piraten.“ Doch Susan, Florian und Klaus wollen nicht nur als Filesharer oder Downloader wahrgenommen werden, es geht ihnen um viel mehr: „Ich habe den Eindruck, dass viele Leute die Tragweite von Entscheidungen nicht erfassen, die heute getroffen werden“, zählt der Informatiker-Flo das Spektrum seiner Partei auf: „beim Datenschutz, bei Patentgeschichten und auch beim Urheberrecht“ wollen sie sich engagieren. Und ihren Themen in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen. „Lobbyarbeit für die Interessen der Nutzer“, nennt Klaus das. Man muss vorbei an der Küche und an der einen Toilette, über den Holzboden des langen WG-Ganges, bis man im Zimmer von Susan und Klaus ein Piraten-Zeichen in der WG findet. Hinten rechts gegenüber des Fensters mit Blick auf den Pausenhof des Deutschen Theaters hat Klaus eine Piratenflagge übers Bett gehängt. Der Totenschädel ist schief aufgemalt, nicht wirklich zum Fürchten – und doch mag der 27-Jährige die schwarze Flagge. „Ich habe sie bei so einem Ramschladen gekauft“, erinnert er sich, „als ich auf dem Weg zur Gründung des Landesverbands war.“ Die Fahne fand wenig Anklang bei den Parteifreunden, Klaus hingegen schon: Heute ist er stellvertretender Vorsitzender der bayerischen Piraten und die Fahne eine persönliche Erinnerung an eine spannende Zeit. Denn keiner der drei Münchner Piraten der WG hatte bislang Parteierfahrung. Bürokratie lernen Im vergangenen Sommer entdeckte der Informatiker-Flo auf einer Webseite Berichte über die schwedische Piratenpartei. Deren Ansätze, sich für ein neues Urheberrecht und besseren Datenschutz einzusetzen, weckten nicht nur sein Interesse, sondern auch das seiner Mitbewohner. Am Küchentisch der WG wurde intensiv über die Piraten diskutiert. „Wir waren schon immer sehr am Internet und an Politik interessiert“, erklärt der Ösi-Flo. „Es kann schon mal vorkommen, dass wir die ganze Nacht hier am Tisch sitzen und diskutieren“, sagt der Geschichts- und Philosophiestudent und öffnet eine Flasche Bier. Während einer dieser Diskussionen fassten die Wohnungsgenossen den Entschluss, auch Parteifreunde zu werden. „Das war gar nicht so leicht,“ gesteht Susan, „Wir mussten alle erstmal lernen, wie das geht: in einer Partei sein.“ Die 27-Jährige, die an der FH Technische Physik studiert, erzählt von den ersten Treffen vor der Gründung des Landesverbandes: „Wir haben da mit zwanzig Leuten gesessen und angefangen, eine Geschäftsordnung zu schreiben. Das hätte ich auch nie gedacht, dass ich mal an einer Geschäftsordnung mitarbeite, aber das war dringend nötig.“ Bei aller Anstrengung und Bürokratie dieser Treffen sind die WG-Piraten dennoch froh, jetzt Parteimitglieder zu sein. Sie sitzen gemeinsam am Küchentisch und versuchen das Besondere an den Piraten zu erklären: Klaus: Natürlich gibt es auch Abende, da sitzt du nur rum und hörst dir lange Debatten an. Aber bei uns kann man direkt was bewegen. Das ist anders als bei den bestehenden Parteien. Susan: Bei denen kriegt man lediglich Dinge vorgesetzt, die man dann übernehmen muss. Und wenn man versucht, Kontakt aufzunehmen, bekommt man vielleicht einen Brief von irgendeiner Schreibkraft. Bei uns kann man über das Forum, über unser Wiki und bei den Treffen vor Ort direkt Kontakt aufnehmen. So kann ich auch selber was bewegen. . . Informatiker-Flo: . . . jeder, der in Aktion tritt, merkt sofort ein Resultat . . . Susan: . . . und bei jeder Aktion lernt man auch für sich selber verdammt viel dazu, z.B. über Teamarbeit und wie man Kompromisse macht. Und das mit Leuten, mit denen man auch vernünftige Gespräche führen kann. Klaus: Das stimmt, ich habe durch die Partei richtig coole Leute getroffen. Menschen, die so ähnlich denken wie ich. Informatiker-Flo: Ein Haufen Leute, die gut zu dir passen. Und alle haben es satt, nur rumzureden. Die wollen alle was machen. Nach dem Motto: „Fresse halten, selber machen.“ Klaus: Uns liegen alle die gleichen Themen am Herzen und trotzdem haben wir ein breites Spektrum an unterschiedliche Sichtweisen. Kein Feindbild, kein Haß Die Themen, um die es bei den Piraten geht, trägt der Informatiker-Flo immer bei sich; auf einem kleinen Info-Zettel, den er auf der Tasche holt, wenn er auf die Piraten angesprochen wird. Darauf steht „Für Freiheit – gegen Überwachung“. Was damit gemeint ist, kann der 23-jährige Informatiker aber besser zusammenfassen als es das Flugblatt tut: „Es geht um die alte Hacker-Maxime: Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen.“ Und Susan ergänzt: „Das ist wohl das Verbindende aller Piraten: Uns allen liegt die offene Gesellschaft am Herzen.“
Das klingt so abstrakt wie auch der Wunsch der WG nach Veränderungen abstrakt bleibt. Die Münchner Piraten erfreuen sich lediglich daran, aktiv zu werden, sich zu engagieren – auf einem neuen Feld, auf dem manchem noch die Begriffe fehlen. Sie wollen, dass ihre Themen öffentlich Gehör finden. Viel dreht sich dabei ums Internet um digitale Nutzerrechte. Darum, wie einerseits persönliche Daten im Netz genutzt und missbraucht und Rechte andererseits beschnitten werden.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Klaus Mueller, 27, und Florian Faleder, 21 Die Partei ist jung, da gibt es kaum Floskeln, keine Standardsätze aus einem Parteiprogramm. Aber anders als bei früheren Bewegungen gibt es auch kein konkretes Feindbild, das bekämpft werden soll. Wut oder gar Hass auf einen politischen Gegner gibt es am Küchentisch der WG nicht. Fragt man nach einer politischen Einordnung, tun sich die Piraten schwer: Klaus: Das alte Muster von links und rechts funktioniert bei uns nicht, das wäre mir auch zu eindimensional. Informatiker-Flo: Man kann das wirklich nur schwer einordnen, wir sind ja bisher auch nur eine Ein-Themenpartei. Wahrscheinlich wird das schwieriger, wenn wir uns später auch zu anderen Themen wie Zuwanderung oder so äußern müssen. Da würde ich aber denken, dass wir eher Richtung links tendieren. Ösi-Flo: Ihr seid wahrscheinlich weder links oder rechts, weil es nicht um Vermögensfragen oder soziale Gerechtigkeit geht. Es geht um einen Aspekt: um Wissen und Information. Dabei seid ihr meiner Meinung nach aber sehr weit links. Klaus: Wobei mir auch der liberale Ansatz der FDP sehr nahe liegt, das Freiheitliche. Klar, das ist in der Realität bei der FDP nicht stark vertreten, aber grundsätzlich gefällt mir der Gedanke. Informatiker-Flo: Also, ich würde niemals die FDP wählen. Klaus: Ich hab schon mal drüber nachgedacht. Zumindest als ich so mit 16 anfing, mich politisch zu orientieren. Der Graben, darauf einigen sich die Piraten am Küchentisch später, verläuft vielleicht gar nicht mehr zwischen rechts und links. Es ist ein anderer Graben, den auch der Gründer der schwedischen Piratenpartei Rickard Falvinge ausgemacht hat: Anfang 2006 rief der 34-Jährige in Stockholm die weltweit erste Piratenpartei ins Leben. Organisationen in Italien Amerika und Frankreich folgten. Bei der Gründung erklärte Falkvinge, es gehe ihm darum, politisch darauf zu reagieren, „wie die junge Generation mit dem Medium Internet umgeht. Davon haben die heutigen Politiker keine Ahnung, es existiert ein großer kultureller Graben innerhalb der Gesellschaft.“ Es ist ein Graben zwischen jenen, die mit dem Netz aufgewachsen sind und denen, die nicht daran glauben wollen, dass sich die Welt durch das Internet verändert hat. Susan, Klaus und die beiden Flos glauben daran und sie wollen darauf reagieren. Deshalb mögen sie die Piraten, deshalb engagieren sie sich. Und spätestens hier ist ihre Geschichte dann doch eine von gesellschaftlichen Veränderungen und kulturellen Missverständnissen. Dazu muss man sich nur den Putzplan der WG anschauen, den haben sie online über ein Wiki organisiert. Mehr über die Piraten auf jetzt.de im Themenschwerpunkt Urheberrecht. Mehr im Netz unter: piratenpartei-bayern.de Fotos: David Freudenthal