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Geteilte Welt
Ich bin viel reicher als alle anderen. So fühlt es sich zumindest an. Ich bin fertig mit dem Studium, ich arbeite, ich zahle meine Miete und meine Krankenkasse und außerdem Steuern und kann mir trotzdem mehr leisten als viele meiner Freunde. Weil sie noch studieren. Das Beste an richtig guten Freunden ist ja, dass man mit ihnen so viel teilt. Interessen, Erinnerungen, die Vorliebe für Granatapfelkerne im Joghurt. Aber weil dennoch jeder seinen eigenen Weg geht, gibt es etwas, das man nicht immer teilen kann: die aktuelle Lebensphase. Und das führt zu komischen, manchmal sogar unangenehmen Situationen. Vor allem, wenn man auf einmal arbeitet, während die anderen noch zur Uni gehen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Seit ich einen Job habe, fallen mir laufend die Unterschiede zwischen mir und Studenten auf, die mir andersherum, als ich noch studierte, während andere schon arbeiteten, nie so bewusst waren. Wie gesagt gibt es da einmal die Sache mit dem Geld. Wenn ich meinen Kühlschrank mit dem einer studierenden Freundin vergleiche, dann sind bei mir die teureren Sachen drin. Ich mache auch den teureren Urlaub: den, für den der Flug mehr kostet als der monatliche BaföG-Satz hergibt. Und ich habe auf einmal viel mehr Klamotten als früher. Ich muss mir weniger Sorgen um Geld machen und dadurch fühle ich mich unter Studier-Freunden manchmal geradezu dekadent. Weil ich nicht auf die Karte schauen muss, bevor ich mich für eine Bar entscheide, sondern nur darauf, ob sie mir gefällt. Weil ich ein Taxi nach Hause nehmen kann, wenn die nächste S-Bahn erst in 20 Minuten kommt. Und weil ich mir ein neues Handy leisten kann, wenn beim alten der Akku schwächelt. Ich schäme mich dann, ich versuche, mich zu rechtfertigen, und ich hoffe, dass das Taxi mich nicht aus Versehen ganz weit von meinen Freunden wegfährt, weil sie es versnobt finden, dass ich nicht 20 Minuten auf die S-Bahn warte. Dann ist da noch die Sache mit der Zeit. Ob ich denn „dann und dann“ „da und da“ sein könne – Fragen dieser Art konnte ich früher, trotz Uni und Studentenjob, sehr oft mit Ja beantworten –, auch wenn das „dann und dann“ ein Mittwochnachmittag um drei war. Neulich waren zwei Freundinnen aus einer anderen Stadt in meiner Stadt zu Besuch. Eine andere Freundin, die hier wohnt und noch studiert, konnte die ganze Zeit mit ihnen zusammen sein, ich nur am Wochenende und an den Abenden. Weil ich arbeiten musste. Wenn ich mehr Zeit mit meinen Freunden verbringen will, muss ich dafür auf einmal Urlaub nehmen, anstatt einfach drei Vorlesungen ausfallen zu lassen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Und die Woche ist auf einmal viel mehr eine wirkliche Woche, wie sie sich der Erfinder der Woche so gedacht hat. Während früher die Wochentage verschwammen und ich den Unterschied zwischen einem Donnerstag und einem Sonntag nur vage wahrnahm (Geschäfte auf – Geschäfte zu), hat der Sonntag jetzt erheblich an Bedeutung gewonnen. Vor meinen Freunden traue ich mich kaum, das zuzugeben – aber ich möchte an diesem Tag am liebsten das Bett gar nicht erst verlassen, höchstens, um wie eine alte Dame im Park spazieren zu gehen, was eher keine Studenten-Sonntagsbeschäftigung ist. Ich möchte Luftholen vor der Arbeitswoche, in der jeder Tag gleich lang ist, und es vor allem nicht mehr in meinem eigenen Ermessen liegt, wann ich was mache. Ich kann mich nicht mehr nachmittags zum Kaffee treffen und dafür dann abends in die Bibliothek gehen. Ich kann mich nur noch abends zum Kaffee treffen. Aber dann will niemand mehr Kaffee trinken.
Ich fühle mich nicht nur reicher, ich fühle mich auch älter als meine Freunde an der Uni. Wahrscheinlich ist es nicht nur ein Gefühl, wahrscheinlich ist es wahr. Mein Lebensstandard hat sich verschoben, meine Prioritäten haben sich ebenfalls verschoben. Manchmal möchte ich meine Freunde in ein Zeitreise-Taxi setzen und sie damit ins Berufsleben fahren lassen, ich würd’s auch zahlen, kann’s mir ja leisten. Aber ich fürchte, das geht nicht. Ich fürchte, ich muss abwarten und dann kommen sie ganz von alleine dort an. Und dann nehmen wir Samstagnacht, wenn wir alle frei haben, zusammen ein Taxi nach Hause. Ist ja günstiger, wenn man es teilen kann.
Text: nadja-schlueter - Illustration: Christina Gransow