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Die Kuchenfrage

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Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Hinter dir liegen anstrengende, nervenzehrende Wochen, vielleicht sogar Monate. Du hast in dieser Zeit immer vollen Einsatz gezeigt. Bist selbstverständlich abends auch mal länger geblieben, wenn es nötig war. Du hast dich von Anfang an bemüht, niemanden mit deinen Fragen zum Intranet zu nerven, und kurze Privattelefonate natürlich immer über dein Handy abgewickelt. Aus dem Flurfunk hast du dich diplomatisch rausgehalten und ansonsten einen anspruchsvollen Sozialslalom um sämtliche Fettnäpfchen absolviert, auch um jene, von denen du nicht wissen konntest, wo sie stehen. Du hast verstanden, dass Kollegen sich deinen Namen auch nach der dritten Wiederholung einfach noch nicht merken konnten. Du warst dir trotzdem nicht zu fein, die besonders dämlichen Aufgaben von diesen Kollegen zu übernehmen, auf die sie nachvollziehbarerweise keine Lust hatten, bist dir auch nie zu schade gewesen, kopieren zu gehen oder Kaffee zu kochen. Eh klar. Und vor allem hast du dich natürlich niemals in irgendeiner Weise über irgendetwas beschwert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Du hast all das auf dich genommen, weil du bei diesem Arbeitgeber ein paar jener wertvollen Arbeitserfahrungen sammeln und mit deiner Nase endlich einmal an dieser wohlriechenden Praxisluft schnuppern durftest, von der die Kommilitonen im Semester über dir so geschwärmt haben. Womöglich konntest du die Geruchsprobe sogar an einer besonders respektablen Stelle nehmen, bei den Vereinten Nationen, im Hauptstadtstudio oder zumindest bei einem Mittelständler, im Fundament unseres Wohlstandes also. Nun gut, für dich im Speziellen gestaltete sich die finanzielle Seite dieser Angelegenheit eher suboptimal, je nach Branche hast du für ’n Appel und ’n Ei oder noch weniger rangeklotzt. Aber es ging hier ja auch nicht ums Geldverdienen, sondern um die Sache. Denn du warst Praktikant beziehungsweise bist es noch - bis einschließlich morgen. Du gehörst also der devotesten aller Lebensformen an, die uns bekannt sind. Völlig zu Recht fragst du dich daher, was für einen Kuchen du zu deinem Ausstand mitbringen sollst und wie du beim Backen auf die Glutenunverträglichkeit der Buchhaltungskollegin Rücksicht nehmen kannst. Wenn du in deinem Leben bereits Grundkenntnisse im Soft Skill Kuchenbacken erworben hast, weißt du allerdings: Mit einem Apfel und einem Ei allein kommst du in der Backstube nicht weit.

Es gibt jetzt mehrere Möglichkeiten: Du wurdest vom lieben Gott mit einer großen Freude am Backen und zwei Knethaken als Händen beschenkt. Dann bitte - schreite zur Tat. Falls du allerdings keinen Spaß daran hast, es nicht kannst oder beides, dann bring morgen doch lieber eine Packung Kekse mit.

Kuchen wird völlig überbewertet - nicht geschmacklich, sondern als Praktikantengeste. Du glaubst, du demonstrierst mit einem selbst gebackenen Kuchen deine Sozialkompetenz? Wer von dir erwartet, dass du dich, nachdem du dich als billige Arbeitskraft aufgerieben hast, auch noch stundenlang in die Küche stellst, der sollte einmal an seiner Sozialkompetenz feilen. Du hoffst, du kannst mit einem leckeren Kuchen zum Abschluss noch mal einen positiven Eindruck hinterlassen? Falls dein Ziel in diesem Praktikum darin bestand, den Mitarbeitern als begabter Zuckerbäcker in Erinnerung zu bleiben, sicherlich eine gute Idee. Ansonsten aber gilt: Wenn dich dein Chef und die Kollegen für einen Vollpfosten halten, wird sie auch dein fantastischer Schoko-Kirsch-Kuchen nach Omas geheimem Familienrezept nicht vom Gegenteil überzeugen können. Niemand wird dir deiner Backkünste und -mühen wegen einen Job geben.

Indem du nichts Selbstgebackenes mitbringst, kannst du dafür ein ziemlich wichtiges Signal aussenden. Nämlich dass du weißt, was du wert bist: wesentlich mehr, als du bisher für deine Anstrengungen bekommen hast. Auch wenn das tollste, weil fairste und lehrreichste Praktikum überhaupt hinter dir liegt, ist es vollkommen ausreichend und außerdem zu empfehlen, wenn du dich lediglich bei deinen Kollegen persönlich für die gute Zeit mit ihnen bedankst (und mit den Keksen demonstrierst, dass du die Abschiedskonventionen nicht vollständig ignorierst). Wenn du den Vorabend nicht kuchengestresst in der Backstube verbringst, kann dein letzter Tag so der erste werden, an dem du die Devotheit des Praktikantendaseins hinter dir lässt.  

Was du nach dem letzten Praktikumstag dagegen unbedingt tun solltest: ein großes Stück Kuchen essen. Egal ob selbst gebacken oder gekauft. Das hast du dir jetzt nämlich verdient.

Text: juliane-frisse - Illustration: Filipek

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